Hamburg. Grote und die Razzia haben heftige Diskussionen angestoßen – was hilft wirklich bei „Hate Speech“ in sozialen Netzwerken?

Meine Tochter, Anfang 20, hat auf ­Instagram fast 100.000 Follower – und sich neulich bei ihrer Community, die thematisch bedingt hauptsächlich aus Studentinnen und Studenten besteht, bedankt. Allerdings diesmal nicht, weil ihr immer mehr User folgen. Sondern dafür, dass sie persönlich auf dieser Plattform, im Gegensatz zu vielen anderen Influencern, fast nie „Hate Speech“ erdulden muss.

„Hate Speech“ wird das genannt, was sich im Internet als Hass und Häme über immer mehr Menschen ergießt. Wer heutzutage auf den sogenannten sozialen Netzwerken unterwegs ist, der erlebt leider viel zu oft, wie asozial manche Kommentatoren auf die Botschaften anderer reagieren. Das Feld der Anwürfe ist groß und reicht von einfachen Verunglimpfungen über Mobbing und übelste Beleidigungen bis hin zur Androhung schwerer Gewalttaten inklusive Mord.

Grote-Razzia halten viele für unverhältnismäßig

Muss man sich das alles gefallen lassen? Und wer kann wirklich helfen, wenn man sich via Internet angegriffen fühlt? Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hat diese Fragen für sich selbst niederschwellig beantwortet, wie die Stadt (und nicht nur die) seit #pimmelgate weiß. Zur Erinnerung: Weil jemand auf Twitter den Kommentar „Du bist so 1 Pimmel“ unter einen Tweet Grotes gesetzt hatte, gab es für den mutmaßlichen Absender eine Anzeige wegen Beleidigung, einen Strafantrag und in der Folge um 6 Uhr morgens eine Hausdurchsuchung mit mehreren Beamten.

Das Vorgehen der Justiz halten viele für unverhältnismäßig und einen Machtmissbrauch des Senators. In der Tat ist es schon sehr bemerkenswert, dass 2021 in Hamburg bis zur Grote-Razzia offenbar nur sechs weitere Durchsuchungen von der eigens eingerichteten Abteilung gegen Hasskommentare initiiert worden waren – also nicht einmal, wie zuvor von den Behörden behauptet, „eine mittlere zweistellige Zahl“.

Grote wollte als Vorbild dienen

Grote selbst, der seit Bekanntwerden des Vorgangs nun mit Beschimpfungen ganz anderen Kalibers zu tun hat („Hirngeficktes Opfer“, „Nimm dir einen Strick“), wählt das Mittel der Vorwärtsverteidigung und betont, er wollte mit seiner Reaktion als Vorbild dienen und andere ermuntern, ebenfalls stärker gegen Hass und Beleidigungen im Netz vorzugehen.

Blendet man die Frage der Verhältnismäßigkeit im Fall Grote einmal aus, so wäre es durchaus wünschenswert, wenn der Verrohung im Internet – und oft auch der im leibhaftigen alltäglichen Umgang – Einhalt geboten werden könnte. Im § 185 Strafgesetzbuch sind für Beleidigungen Sanktionen bis zur Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren aufgeführt, tatsächlich werden aber nur wenige Fälle zur Anzeige gebracht.

Fast immer stellt Staatsanwaltschaft Verfahren ein

Der Grund: Fast immer sieht die Staatsanwaltschaft die Sachlage als Bagatelldelikt an und stellt das Verfahren ein. Ausnahmen gibt es höchstens für Übergriffe im Straßenverkehr – oder wenn der Beleidigte ein Polizist, Justizbeamter oder Behördenmitarbeiter ist.

Wer nicht in diese Gruppe fällt, dürfte es auch künftig schwer haben, gegen Angriffe im Netz erfolgreich vorzugehen. Erinnert sei hier an die ehemalige Bundesministerin Renate Künast (Grüne), die bis zum Berliner Kammergericht klagte, um sich gegen Onlinekommentare wie „Drecks-Schwein“ und „Schlampe“ sowie noch drastischere Ausdrücke zu wehren. Das Landgericht hatte diese zuvor tatsächlich noch als „hinzunehmende Meinungsäußerungen“ eingestuft. Was auffällt: Oft verstecken sich die übelsten Tonangeber im Internet hinter Aliasnamen.

Klarnamen könnten helfen

Ist man in einem Netzwerk unterwegs, in dem Klarnamen Pflicht sind, wird der Ton schnell moderater. Vielleicht liegt hier am Ende ein möglicher Weg, um das Problem etwas besser in den Griff zu bekommen.