Norderstedt. Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein diskutierte mit Experten über Hass im Netz. Was jeder Einzelne tun kann.
„Gegen Online-Hass“ – so lautete das Thema einer Online-Veranstaltung, zu der jetzt die in Norderstedt an der Rathausallee ansässige Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) eingeladen hatte. Die zentrale Frage war: Wie verändert digitale Hassrede die Gesellschaft? Durch das Webinar führte Nicole Diekmann, Korrespondentin des ZDF-Hauptstadtstudios.
Deutschland eine „Shitstorm-Republik“
Sie betonte zu Beginn, dass wir alle in der „heutigen Shitstorm-Republik” verbaler Gewalt im Netz ausgesetzt seien wie nie zuvor. Gefährlich werde es, wenn diese Gewalt ins reale Leben überschwappe – wie 2019, als der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet wurde. Auch der MA-HSH-Medienratsvorsitzende Lothar Hay hob in seiner Eingangsrede den Fall Lübcke hervor: Die Kommentare unter den Youtube-Videos zu Lübcke seien „von Hass und Hähne durchzogen – und Youtube löschte nur vereinzelnd“, sagte er bestürzt.
Hay: „Hassrede im Netz ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und damit auf unsere demokratische Grundordnung.“ Die MA HSH gehe verschiedene Wege, um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Wenn der Urheber eines Hass-Kommentars ausfindig gemacht werden könne, setze die Medienanstalt auch auf eine strafrechtliche Verfolgung. Sie verfüge zudem über einen bevorzugten Meldestatus mit direkter Kontaktmöglichkeit bei Youtube, Facebook, Instagram und seit Kurzem auch bei TikTok, wodurch von ihr gemeldete Inhalte priorisiert überprüft würden, so Hay.
Online-Hass: Kommentare oft strafrechtlich relevant
Die Medienanstalt kann zumindest kleine Erfolge verkünden: 300 Hass-Kommentare mussten im vergangenen Jahr von den verschiedenen sogenannten sozialen Medien entfernt werden – sie wurden auch an die Staatsanwaltschaft in Hamburg gemeldet. In den Dimensionen der digitalen Welt erscheine diese Zahl klein, aber: „Das Netz darf kein rechtsfreier Raum sein“, sagt die HateAid-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg in ihrem Vortrag. In der analogen Welt wären 300 Beleidigungen und Drohungen eine ganze Menge.
Von Hodenberg betonte, dass die Justiz das Thema „Hass im Internet“ ernster nehmen müsse. Die Journalistin hat den Verein HateAid gegründet und unterhält seit zwei Jahren nach eigenen Angaben die einzige Beratungsstelle in Deutschland, die ausschließlich Betroffene von digitaler Gewalt unterstützt. 1400 Männer und Frauen hat der Berliner Verein nach eigenen Angaben bereits beraten, 400 Fälle landeten vor Gericht – die Kosten trägt HateAid. „Das ist ein riesiger Schritt nach vorn“, betonte die Geschäftsführerin.
Wegen mangelhaften Zeugenschutzes oder fehlender Beweissicherung fürchteten sich viele Betroffene, zur Polizei zu gehen. Häufig würden Betroffene nicht ernst genommen und abgewiesen. „Das ist doch normal so im Internet“, heißt es dann. Anna-Lena von Hodenberg fordert deshalb eine Reform im öffentlichen Dienst: ein stärkeres Bewusstsein für die Thematik, bundesweite Anlaufstellen für Betroffene sowie mehr Sicherheit im Zeugen- und Datenschutz. „Das Internet ist doch nicht erst seit gestern Bestandteil der sozialen Teilhabe“, mahnte sie.
Betroffene von Online-Hass werden mundtot gemacht
Online-Hass könne nicht einfach „abgeschaltet” oder gar als freie Meinungsäußerung deklariert werden, wie es das Berliner Landgericht beim Fall Künast getan habe. Eine schlimme Folge von Hass im Internet, so von Hodenberg, sei der sogenannte Silencing-Effekt: Die Betroffenen würden mundtot gemacht und hätten Angst, ihre Meinung öffentlich zu äußern. „Man hat mich da wirklich still bekommen.“ Solche Sätze bekommt von Hodenberg in ihrer Beratungsstelle immer wieder zu hören, meistens von Journalisten und Politikern.
Dass es auch eine Gefahr für die Demokratie und den Journalismus darstellt, machen Zahlen deutlich: 37 Prozent der Bürgermeister verzichteten derzeit auf Social Media, 62 Prozent der Journalisten seien von Online-Hass betroffen, und mehr als die Hälfte der Medienschaffenden zeige Verständnis fürs „Silencing“. Kein Wunder.
Wer die sozialen Medien nutzt, stößt schnell auf Nachrichten, die unter die Gürtellinie gehen: „Dickpics“, die in den Direktnachrichten vieler Frauen landen, angebliche Nacktfotos von Annalena Baerbock als ,,lustige Memes“ verpackt, Veröffentlichungen von Daten („Doxing“) sowie Beleidigungen und Morddrohungen. Das alles seien Straftaten, die auch strafrechtlich verfolgt werden müssten, so von Hodenberg. Doch das Recht hinke da hinterher, betonte Elisa Hoven. Die Uni-Professorin und Richterin stellte ihre aktuelle Studie „Digitaler Hass“ vor. Sie befragte gemeinsam mit Studenten der Uni Leipzig Menschen zur Betroffenheit von Online-Hass, führte Interviews und wertete Kommentare im Internet sowie in Akten aus.
2500 Ermittlungsverfahren wegen Hass im Netz
Das Ergebnis: Knapp 20 Prozent der Befragten sind von Hassrede betroffen. Darunter häufig jüngere Menschen. Auffällig ist, dass meistens bestimmte Gruppen herabgewürdigt würden – vor allem Frauen. Mit Sprüchen wie „geh zurück in die Küche“ versuchten Hater beispielsweise, Frauen in alte Rollenbilder zu drängen. Sexualisierte Diffamierung ist an der Tagesordnung.
Immer mehr lasse sich auch das Phänomen der „Feindeslisten“ beobachten. Walter Lübcke stand auf einer. Hoven betonte, dass der strafrechtliche Schutz der Politiker unbedingt ausgeweitet werden müsse. Auch den schlaflosen Nächten der Betroffenen könne man so ein Ende bereiten. Die Vielzahl der Hasskommentare und die ständige Angst, Morddrohungen an die Familie oder an einen selbst könnten jeden Moment wahr werden, bestimmen irgendwann den Alltag.
Experte Benjamin Krause ist einer der führenden Köpfe der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Der Oberstaatsanwalt errichtete gemeinsam mit der hessischen Landesregierung die Meldestelle „Hessen Gegen Hetze“. Mehr als 7000 Meldungen hat die Meldestelle schon erhalten, davon seien 1500 strafrechtlich relevant gewesen, so Krause.
2500 Ermittlungsverfahren seien eingeleitet worden, 836 Tatverdächtige konnten identifiziert werden. Es sei noch mehr möglich, so der Jurist, doch das deutsche Recht allein reiche nicht aus. Youtube, Facebook & Co seien bekanntlich US-Unternehmen. Krause: „Wenn sie deutsche Unternehmen wären, sehe alles anders aus. Sie wären zu Kooperationen wie #KeineMachtdemHass verpflichtet.“ Genau das ist es, was fehle: Die Straftatbestände seien bereits modernisiert, die Werkzeuge aber nicht.
Verfolgung von Online-Hass immer noch mühsam
Um das Angebot an Meldeplattformen zu vereinfachen, entwickelten Benjamin Krause und Anna-Lena von Hodenberg mit dem hessischen Justizministerium und HateAid die App „MeldeHelden“. Die dort gemeldeten Inhalte werden dann an die Organisationen weitergeleitet. Trotzdem sei die Verfolgung von Online-Hass ohne jegliche Kooperationen mit den US-Unternehmen immer noch mühsam, so der Oberstaatsanwalt.
Die letzte Rednerin der Veranstaltung, Hamburgs Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, Anna Gallina (Grüne), stellte den Teilnehmenden den ,,Hamburger Weg“ vor. „OHNe Hass“ nennt sich das Projekt, das im April an den Start gegangen ist.
Gemeinsam mit 20 Partnern, darunter die Medienanstalt, der NDR, weitere Medienunternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Strafverfolgungsbehörden, entwickelte die Stadt Hamburg eine Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Online-Hass. Mehr Strafanzeigen und eine effektivere Strafverfolgung sind das Ziel. Denn „auch immer mehr ehrenamtliche Menschen rücken in das Licht der Hater“, betonte Gallina.