Hamburg. Justizsenatorin und Innensenator Andy Grote geraten durch Anfragen an Senat unter Druck. Sollte Öffentlichkeit getäuscht werden?

Es dauerte nicht lange, da mischte sich in Spott und Kritik auch offener Hass: „Hirngeficktes Opfer“, „Hurensohn“, „Nimm dir einen Strick“, schrieben Twitter-Nutzer im Verlauf der vergangenen 14 Tage an Innensenator Andy Grote (SPD) – bis hin zu Morddrohungen.

Grote war in die Kritik geraten, weil er wegen des Satzes „Du bist so 1 Pimmel“ einen Strafantrag gestellt hatte und die Staatsanwaltschaft daraufhin eine Hausdurchsuchung veranlasste. Wie es aus seiner Behörde heißt, sollen nun auch diese Äußerungen geprüft und zumindest teilweise zur Anzeige gebracht werden.

Beleidigung: Razzien wie in "Pimmelgate"-Affäre sind selten

Grote begründete sein Vorgehen in der „Pimmelgate“-Affäre mit der Offensive gegen Beleidigungen und „Hate Speech“ im Internet, bei den er mit seinem Strafantrag auch als Vorbild dienen wollte. Ebenjenes Vorhaben, Beleidigungen schneller und entschiedener zu ahnden, kommt aber offenbar kaum voran.

Wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der CDU-Abgeordneten Dennis Gladiator und Richard Seelmaecker hervorgeht, stieg im Gegenteil die Zahl der eingestellten Verfahren deutlich an. Zudem war die Aktion gegen den Absender des „Pimmel“-Tweets nach Ergebnissen einer weiteren Senatsanfrage des Linken-Abgeordneten Deniz Celik eine von bis dahin nur sieben Razzien der eigens eingerichteten Abteilung gegen „Hate Speech“ in diesem Jahr.

Fast 6000 Verfahren wegen Beleidigung im Jahr 2021

Vom 1. Januar bis zum 13. September 2021 führte die Staatsanwaltschaft den Senatsdaten zufolge insgesamt 5831 Verfahren wegen Beleidigung – nach 8750 Fällen im gesamten Vorjahr. Damit sinken die Zahlen nach jetzigem Stand eher, als dass aus ihnen mehr Anzeigen von Betroffenen sprechen, die sich die Politik erhofft. Wie viele Razzien es dabei insgesamt genau gab, ist nicht bekannt.

In der vorvergangenen Woche sprach die Polizei von einer „mittleren zweistelligen Zahl“ von Durchsuchungen seit Jahresbeginn. Wie viele der Beleidigungen im Internet und wie viele im echten Leben gefallen sind, ist ebenfalls unklar. Etwa bei Beleidigungen im Straßenverkehr – einem mutmaßlich erheblichen Teil der Fälle – braucht es fast nie eine Hausdurchsuchung. Die Staatsanwaltschaft stützt sich dort eher auf Zeugen.

1300 Beleidigungs-Verfahren sind noch offen

Die Zahl der Anklagen und Anträge auf einen Strafbefehl lag den Daten zufolge bis Mitte September wiederum bei 591 – also bei nur gut einem Drittel der Gesamtzahl aus 2020. Gleichzeitig wurden von Januar bis Mitte September mehr als 2200 Fälle eingestellt – bereits knapp doppelt so viele wie im gesamten Vorjahr.

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1300 Verfahren sind nach aktuellem Stand noch offen. Bislang wurden damit in diesem Jahr aber bereits drei mal so viele Fälle eingestellt, wie es zu einer Anklage oder einem Strafantrag kam. Und nur in 41 Fällen wurde dabei wegen Geringfügigkeit auf weitere Ermittlungen verzichtet.

"Pimmelgate": CDU und Linke kritisieren Gallina und Grote

Die Fragesteller von der CDU und der Linken erheben deshalb weitere Vorwürfe gegen die zuständige Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), aber auch gegen Innensenator Grote im Zuge der aktuellen Affäre. Der Linke-Abgeordnete Deniz Celik warf dem Senat vor, die Öffentlichkeit im Zuge der „Pimmelgate“-Affäre getäuscht zu haben – weil von Seiten der Polizei zuletzt nicht nur von sechs, sondern einer „mittleren zweistelligen Zahl“ von Durchsuchungen wegen ähnlicher Fälle die Rede gewesen war. Dass kurz darauf zwölf weitere Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt wurden, ist für Celik ein „peinlicher Versuch“, die bescheidene Statistik aufzubessern.

Der CDU-Abgeordnete Gladiator sieht in den neuen Zahlen einen Beleg dafür, dass „Ankündigungen nicht reichen, um wirksam gegen ,Hate Speech’ vorzugehen“. Rot-Grün müsse die Justiz endlich in die Lage versetzen, konsequent gegen jede Form von „Hate Speech“ vorgehen zu können. „Anspruch und Wirklichkeit fallen bei diesem Senat wieder einmal weit auseinander.“

„Wir wollen die Zahl der Strafanzeigen erhöhen"

Die Behörde von Justizsenatorin Anna Gallina verwies auf die bereits angestoßenen Maßnahmen. „Wir wollen die Zahl der Strafanzeigen erhöhen und die Strafverfolgung in diesem Bereich noch effektiver machen. Es muss jedem klar sein: Wer Hass und Hetze verbreitet, muss mit juristischen Konsequenzen rechnen.“

Mitte April sei ein Online-Dienst zur Meldung von Hasskommentaren freigeschaltet worden. „Deshalb ist der Zeitraum zu kurz, um zum jetzigen Zeitpunkt schon Effekte zu sehen.“ Die unterjährigen Zahlen wollte die Behörde nicht im Detail kommentieren. „Es handelt sich um einen laufenden Prozess, der sich dynamisch verändert.“

Hass im Netz: Durchsuchungsbeschluss überraschte Grote

Wie berichtet, war der fragliche Tweet in der Affäre um Innensenator Andy Grote (SPD) zuerst Mitarbeitern des Social-Media-Teams der Polizei aufgefallen. Auf ihre Nachfrage hin stellte Grote daraufhin einen Strafantrag. „Niemand muss sich in Deutschland beleidigen lassen“, sagte Grote nach Bekanntwerden der folgenden Razzia dazu.

Nicht nur der Innensenator, sondern auch die ermittelnden Polizisten waren nach Angaben aus ihrem Umfeld davon überrascht worden, dass die Staatsanwaltschaft in der Folge einen Durchsuchungsbeschluss beantragt hatte.

Anders als bei den meisten Beleidigungsfällen im Netz hatten die ermittelnden Polizisten diesen Schritt nicht selbst angeregt. Die Staatsanwaltschaft hatte betont, dass es oft nicht ohne eine Sicherstellung von Handy- oder Computern möglich sei, die Absender von Hassbotschaften zu überführen. Der Schritt sei auch in diesem Fall verhältnismäßig gewesen.