Hamburg. Juristen bezweifeln, dass die Razzia nach einem Tweet gegen Innensenator Grote angemessen war. Der Fall schlägt Wellen bis Washington.

Die Aufregung in der Twitter-Affäre um Innensenator Andy Grote (SPD) reißt nicht ab – selbst die „Washington Post“ berichtet über die Razzia beim Urheber eines Tweets, in dem Grote als „Pimmel“ bezeichnet worden war. Die Kritik an dem Vorgehen richtet sich nun aber verstärkt gegen die Staatsanwaltschaft. Auch profilierte Juristen sprechen von einem überzogenen Vorgehen. Aus der Politik werden Fragen laut, wie die Staatsanwaltschaft mit ihren begrenzten Ressourcen haushaltet.

Der ehemalige Vorsitzende Richter des Hamburger Landgerichts, Claus Rabe, sprach gegenüber dem Abendblatt von einer „krassen rechtswidrigen Fehleinschätzung“. Zwar hält Rabe das Wort „Pimmel“ – etwa im Gegensatz zum renommierten Strafverteidiger Gerhard Strate – sehr wohl für eine „Verächtlichmachung und Herabwürdigung im Sinne einer strafrechtlich relevanten Beleidigung“. Aber: Diese sei rechtlich als kaum gravierend einzuschätzen, sodass das Verfahren wegen einer solchen Äußerung mit großer Sicherheit eingestellt werden müsse.

Innensenator Andy Grote (SPD) stellte einen Strafantrag in dem Fall.
Innensenator Andy Grote (SPD) stellte einen Strafantrag in dem Fall. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services

Wie berichtet, hatte das Social-Media-Team der Polizei den fraglichen Tweet entdeckt und Grote daraufhin einen Strafantrag gestellt, sodass die Ermittler weiter aktiv werden konnten. Im Umfeld des Senators wird beteuert, Grote habe nicht mit einer Hausdurchsuchung gerechnet – und keinen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft genommen, die ohnehin eigenständig arbeitet und verwaltungstechnisch der Justizbehörde unterstellt ist.

Staatsanwaltschaft soll Razzia angestrebt haben

Nach Abendblatt-Informationen wurde die Razzia in diesem Fall nicht wie sonst häufig von der Polizei angeregt, sondern von der Staatsanwaltschaft selbst avisiert. Bereits Ende August war der 37-jährige Verfasser des Tweets, der wegen einzelner Straftaten aktenkundig, aber nie im Zusammenhang mit politisch motivierten Delikten aufgefallen war, im Polizeipräsidium bei der Staatsschutzabteilung gewesen. Dort hatte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht und angekündigt, einen Anwalt einzuschalten.

Ab diesem Punkt unterscheidet sich die Darstellung des Mannes bei Twitter, in der auch von Kindern in dem Haushalt die Rede war, von der internen Darstellung der Polizei. Denn nur sie war demnach am 8. September in der Wohnung an der Bernhard-Nocht-Straße anwesend, als die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss an der Tür klingelte.

Hausdurchsuchung war offenbar ein Fehlschlag

Wie es in einem Polizeibericht heißt, soll sich die Frau kooperativ verhalten und den Beamten in den einzigen Computer in der Wohnung, einen Laptop, Einblick gewährt haben. Die Beamten zogen danach wieder ab. Den Laptop behielt die Frau. Der 37-Jährige selbst soll zu dem Zeitpunkt zwar unter der Adresse gemeldet gewesen sein, aber faktisch dort nicht mehr wohnen. Insofern war die Durchsuchung ein Fehlschlag. Der Twitter-Account läuft zwar über die Kneipe, die ihr gehört, allerdings hatte ausschließlich der 37-Jährige Zugriff darauf.

Bereits am Donnerstag hatte die Staatsanwaltschaft detaillierte Antworten zu den Abläufen mit Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen verweigert. Sie gab aber an, dass die Razzia nötig geworden sei, da der Verfasser des Tweets sich „nicht kooperativ verhalten“ habe. Ziel der Aktion war demnach, mögliche „relevante Beweismittel“ aufzufinden. „Allein die Feststellung, dass ein Beschuldigter Nutzer des Accounts ist, von dem ein strafbarer Inhalt verbreitet wurde, reicht für den Tatnachweis in der Regel nicht aus“, hieß es.

Ex-Richter kritisiert Staatsanwaltschaft scharf

Etwa nach Ansicht des ehemaligen Landrichters Rabe war dieser Schritt aber völlig unverhältnismäßig. Der Verweis auf die angebliche Nicht-Kooperation lasse zudem außer Acht, dass sich Verdächtige nicht selbst belasten müssten. Eine Gesprächsanfrage des Abendblattes dazu lehnte die Staatsanwaltschaft am Freitag erneut mit Blick auf das laufende Verfahren ab. Sie hatte aber auch darauf hingewiesen, dass sie erst aktiv geworden sei, da eben ein Strafantrag von Grote gestellt worden ist. Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft auch durch das sogenannte Legalitätsprinzip verpflichtet, mögliche Straftaten aufzuklären.

Der Senatssprecher Marcel Schweitzer sagte auf Anfrage zu der Affäre des Innensenators, dass jedem eine Strafanzeige freistehe, der sich von einer bestimmten Äußerung beleidigt fühle: „Es gibt bislang noch keine abschließende Liste mit Beleidigungen, die strafbar sind.“ In den Einzelfällen ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaften dann unabhängig, bevor Gerichte darüber entschieden, was eine Straftat ist. „Mittelfristig wird es also einfacher einzuschätzen werden, ob eine Beleidigung strafbar ist oder ob man etwas erdulden muss“, so Schweitzer. Grundsätzlich sei die Arbeit gegen Hate Speech „eine Arbeit gegen die Verrohung der Gesellschaft und für mehr Respekt“.

Politik sieht Verantwortung bei Staatsanwaltschaft

Unter anderem war aber auch aus Polizeikreisen deutliche Kritik daran laut geworden, dass es in diesem Fall gleich eine Razzia gegeben habe. „Diese Rückendeckung würden wir uns sehr häufig wünschen“, sagte etwa der Gewerkschafter Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) mit Blick auf alltägliche Beleidigungen gegen Polizisten, bei denen die Ermittlungen aber meist eingestellt würden. Einige Beamte und Teile der Opposition warfen Grote dabei ein „dünnhäutiges Verhalten“ vor und hinterfragten die Verhältnismäßigkeit – die AfD reichte zudem eine Schriftliche Kleine Anfrage an den Senat ein.

Die bundesweite Empörung über die Affäre entzündete sich vor allem daran, dass Verfahren bei diversen schweren Beleidigungen – etwa gegen prominente Frauen – häufig eingestellt würden. In Senatskreisen heißt es dazu, die Entscheidung über die jeweiligen Maßnahmen lägen allein bei der unabhängigen Staatsanwaltschaft. Politisch habe man die Offensive gegen „Hate Speech“ auch mit zusätzlichem Personal unterlegt. „Wie die Justiz diese Ressourcen einsetzt, ist aber wiederum allein ihre Sache. Darauf darf Politik gar keinen Einfluss nehmen.“