Hamburg. Polizeieinsatz nach Tweet gegen Hamburgs Innensenator sorgt bundesweit für Aufregung. Aber ist „Pimmel“ überhaupt beleidigend?
Bundesweit steht Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Affäre um eine Hausdurchsuchung nach einem Tweet gegen Grote war am Donnerstag unter dem Hashtag „Pimmelgate“ der Twitter-Trend Nummer eins. Der Auslöser für Tausende Kommentare und Vorwürfe auf Amtsmissbrauch war eine mehrere Monate alte Antwort auf einen Tweet von Andy Grote (SPD), die am Mittwochmorgen zu einer Durchsuchung an der Bernhard-Nocht-Straße auf St. Pauli geführt hatte.
"Pimmelgate": Andy Grote weist Vorwürfe entschieden zurück
Ein Nutzer hatte Grotes Ende Mai bei Twitter veröffentlichten Beitrag zu den ausufernden Feiern im Schanzenviertel mit den Worten „Du bist so 1 Pimmel“ kommentiert. In der Kritik steht nun aber vor allem Grote, da er danach einen entsprechenden Strafantrag stellte. Der unflätige Kommentar selbst wird dagegen von großen Teilen der Netzgemeinde, aber auch in Hamburger Behörden und Politik eher als Nichtigkeit gesehen. Auch aus den Reihen der Polizei kommt teilweise scharfe Kritik.
Gegenüber dem Abendblatt wies auch Andy Grote, der mit dem Vorfall sogar in "The Washington Post" landete, selbst am Donnerstag die Vorwürfe auf einen Amtsmissbrauch entschieden zurück. „Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass es hier keine Sonderbehandlung für mich gegeben hat, und es sollte sie auch für Senatoren im Fall von Beleidigungen nicht geben“, sagte Grote. Niemand müsse sich in Deutschland beleidigen lassen – das gelte auch für Politiker wie ihn. Er habe aber keinerlei Einfluss auf die Ermittlungen genommen, betont Grote.
„Pimmelgate“: Staatsanwaltschaft spricht von „verhältnismäßiger“ Aktion
Tatsächlich war der fragliche Tweet nach Abendblatt-Informationen zuerst dem Social-Media-Team der Hamburger Polizeipressestelle aufgefallen. Diese schrieb daraufhin eine Strafanzeige. Die eingeschalteten Ermittler gingen in der Folge auf Andy Grote zu – und dieser stellte selbst einen entsprechenden Strafantrag, damit Polizei und Staatsanwaltschaft weiter aktiv werden konnten.
Wie es in Polizeikreisen heißt, habe die Entscheidung für eine Durchsuchung danach allein bei der Staatsanwaltschaft gelegen. Den Schritt hätten die ermittelnden Polizisten nicht selbst angeregt, wie das in den meisten Verfahren mit einer späteren Razzia der Fall sei. Der Urheber des Tweets sagte der „taz“, dass er vor der Durchsuchung bereits mit den Ermittlern gesprochen habe und deshalb von der Aktion überrascht worden sei. Sie hätten nämlich angedeutet, dass das Verfahren wohl wegen Geringfügigkeit eingestellt werden würde.
Die Staatsanwaltschaft verwies am Donnerstag auf Anfrage auf die noch laufenden Ermittlungen und wollte deshalb nicht detailliert zu den Abläufen Stellung nehmen. Die Durchsuchung sei jedoch notwendig geworden, da sich der Urheber des Tweets gegen Grote „nicht kooperativ“ verhalten habe – und sie sei „verhältnismäßig durchgeführt“ worden. „Allein die Feststellung, dass ein Beschuldigter Nutzer des Accounts ist, von dem ein strafbarer Inhalt verbreitet wurde, reicht für den Tatnachweis in der Regel nicht aus“, erklärt die Staatsanwaltschaft dazu.
Bund Deutscher Kriminalbeamter stellt Hausdurchsuchung infrage
Der Amtsrichter, der die Durchsuchung genehmigt habe, stehe kurz vor der Pensionierung und sei bekannt für seine Unabhängigkeit, heißt es in Ermittlungskreisen. Mutmaßungen, es habe quasi einen Bonus für den Innensenator bei der Verfolgung dieser Beleidigung gegeben, seien daher falsch.
Dennoch riss die Kritik an Grotes Vorgehen am Donnerstag nicht ab. Auch viele Beamte sind verwundert über die Hausdurchsuchung. „Polizistinnen und Polizisten in Hamburg sind ebenso Repräsentanten des Staates wie Herr Grote – und sie sind jeden Tag Beleidigungen ausgesetzt“, sagte Jan Reinecke, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
„Da fallen meist noch sehr viel härtere Wörter. Und viele dieser Äußerungen werden auch zur Anzeige gebracht – die Verfahren jedoch oftmals eingestellt.“ Mit Blick auf die Hausdurchsuchung sagte Reinecke zum aktuellen Fall: „Diese Rückendeckung würden wir uns häufig wünschen.“ Hinter den Kulissen reden einzelne Beamte von einem „VIP-Bonus“, den Grote offenbar sehr wohl genossen habe. Andere halten die Aufregung für überzogen.
„Duden“ kennt Pimmel nicht als Beleidigung
Neben vielen spöttischen Kommentaren wurde in den sozialen Medien auch Empörung laut. Unter dem Pseudonym „riegeros“ schrieb die Autorin und Poetry-Slammerin Veronika Rieger: „Bei meinem letzten Shitstorm habe ich drei Gewalt- und Vergewaltigungsandrohungen angezeigt, alles wurde fallen gelassen mit der Begründung da könne man nicht ermitteln. Aber Hauptsache, die Beleidigung als Pimmel führt zur Hausdurchsuchung.“ Der bekannte Satiriker Jan Böhmermann retweetete den Beitrag.
Juristisch ist zumindest umstritten, ob der Tweet gegen Grote überhaupt einen Straftatbestand erfüllt. „Rechtlich gesehen ist das gar nichts“, sagt der renommierte Strafverteidiger Gerhard Strate. Anders könne dies zwar bewertet werden, falls der Urheber des Tweets etwa auch behauptet hätte, dass Grote ein kleines Geschlechtsteil habe. „So ist diese Äußerung aber keine Beleidigung und auch nicht ,Hate Speech‘.“ Im Duden wird der Begriff „Pimmel“ wie folgt definiert: „Substantiv, maskulin. Gebrauch: umgangssprachlich, oft familiär.“
Grote will „Pimmelgate“-Affäre aussitzen
Die Kritik an Grotes Reaktion und seinem ursprünglichen Tweet zu den Feiern im Schanzenviertel fällt auch deshalb so scharf aus, weil Grote selbst im vergangenen Jahr einen illegalen „Umtrunk“ ausgerichtet hatte. Am Donnerstag betonte Grote, dass das Verfahren durch die Polizei nun von Amts wegen eingeleitet wurde. „Es war dabei gewiss nicht die einzige Beleidigung, die ich in den vergangenen Jahren erfahren habe – und bei Weitem nicht die Schlimmste.“
Es sei jedoch ausdrücklich politisch gewollt, dass „Hate Speech“ im Netz viel stärker und niedrigschwelliger bekämpft werden solle. Auch Hausdurchsuchungen würden dabei verstärkt durchgeführt. Grote ermutigt zudem alle Opfer von „Hate Speech“, entsprechende Strafanzeigen zu stellen.
Die bundesweite Aufmerksamkeit und Häme seien für ihn und auch sein persönliches Umfeld „nicht schön“, er werde sie aber ertragen wie auch die Beleidigungen gegen ihn. „Ich trete für einen respektvollen Diskurs ein. Wir sollten dabei aber denjenigen, die Beleidigungen äußern, nicht erlauben, sich nur als Opfer darzustellen“, sagte Grote.