Hans-Peter de Lorent hat eine Untersuchung zu Nazi-Laufbahnen im Hamburger Schulwesen und zur Entnazifizierung nach 1945 vorgelegt.
Es ging nur um den Austausch eines Buchstabens – ein L für ein T. Nicht wirklich bedeutend, könnte man meinen. Aber davon kann viel abhängen, wenn man Hitler heißt und der Zweite Weltkrieg erst wenige Monate zuvor beendet worden ist. Am 1. Oktober 1945 schrieb Alois Hitler, wohnhaft am Timm-Kröger-Weg 35 in Fuhlsbüttel, an das Polizeiamt Hamburg an der Drehbahn, dem heutigen Sitz der Justizbehörde: „Mit diesem Schreiben bitte ich den Oberst und Kommandeur der Polizei Hamburg meinen Familiennamen Hitler in Hiller umändern zu wollen.“
"Ich bin ein Halbbruder von Adolf Hitler"
Der Bittsteller („Ich bin selbständiger Kaufmann und habe von 1919 bis 1928 in Hamburg gelebt“) ließ den Polizeikommandeur nicht lange über die Herkunft seines Namens im Unklaren. „Die bestehende Verwandtschaft zum ehemaligen Führer Adolf Hitler – ich bin ein Halbbruder von Adolf Hitler – ist von der englischen Militärbehörde und der Deutschen Polizei untersucht und während einer vierwöchigen Haft ab Mitte Juni 1945 überprüft worden“, schreibt Alois Hitler. Und setzte hinzu: „Ich habe der NSDAP nicht angehört, ebenso keiner ihrer Gliederungen.“ Das war allerdings gelogen.
Doch damals wurde offensichtlich nicht so genau nachgefragt. Nach nur vier Wochen wurde der Antrag auf Namensänderung genehmigt. „Nachteiliges über den Antragsteller ist hier nicht bekannt geworden.“ 50 Reichsmark Gebühr musste Alois Hitler bezahlen, damit in allen Registern sein Name in Hiller geändert wurde.
„Die Hamburger Verwaltung war völlig überfordert mit den Entnazifizierungsverfahren“, sagt Hans-Peter de Lorent, der die längst vergessene Geschichte von Hitlers Halbbruder ausgegraben und umfassend recherchiert hat. „Im Fall Alois Hitler wurden irgendwelche Leumundszeugnisse herangezogen, statt sich in Berlin rückzuversichern.“ Dann wäre wohl herausgekommen, was de Lorent jetzt aus Akten und Archiven herausgefiltert hat.
Alois Hitler betrieb bekannte Kneipe
Alois Hitler betrieb während der Nazizeit in prominenter Berliner Lage am Wittenbergplatz ein Restaurant mit dem Namen „Alois“, das laut de Lorent ein „beliebter Szenetreff von SA- und SS-Leuten“ war. Alois Hitler war im Grunde eine verkrachte Existenz – mehrfach vorbestraft und inhaftiert unter anderem wegen Diebstahls und Betruges. Einer Anklage wegen Bigamie entging er, weil seine erste Frau die Scheidung einreichte. Zeugenaussagen legen nahe, dass er seinen Aufstieg zum erfolgreichen Gastronomen Ende der 30er-Jahre nicht zuletzt der Protektion von Adolf Hitler verdankte.
Der Fall mag exemplarisch für die laxe Praxis der Entnazifizierungsverfahren Ende der 40er-Jahre sein, für de Lorent war er nur ein „Beifang“ seiner wissenschaftlichen Arbeit. Der langjährige Lehrer, leitende Oberschulrat, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Ex-Grünen-Politiker hat die Biografien von mehr als 40 in der Schulbehörde Verantwortlichen, Schulleitern und Lehrern der Nazizeit recherchiert, darunter viele glühende Nationalsozialisten und schlimme Rassisten. Etliche der Pädagogen gelangten nach Gründung der Bundesrepublik und erfolgreicher Entnazifizierung zurück in den Schuldienst oder erhielten eine reguläre Pension. De Lorent konnte neben den Unterlagen der Entnazifizierungsverfahren als Quellen die Personalakten der Pädagogen nutzen.
Entstanden sind beklemmende Porträts von Männern (nur eine Frau ist darunter!), die sich nach 1933 schnell als anpassungsfähige Karrieristen erwiesen und die Nazi-Ideologie in Klassenzimmern und Ansprachen propagierten. Aber es gab auch die Überzeugungstäter, die der NSDAP schon weit vor 1933 beitraten und nach der Machtübernahme der Nazis ihre große Stunde gekommen sahen.
Zur ersten Kategorie gehörte Werner Fuss, Latein- und Griechischlehrer am Johanneum – die „Speckrolle“ aus Ralph Giordanos autobiografischem Roman „Die Bertinis“. Fuss trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein und war seit dem 1. April 1934 aktiv in der SA. Bis 1945 stieg der klassische Philologe, der in SA-Uniform unterrichtete, in der SA-Hierarchie bis zum „Sturmführer“ auf. De Lorent zeichnet auch die peinlichen Versuche des Pädagogen im Entnazifizierungsverfahren nach 1945 nach, ihn entlastende Zeugen zu finden. Allerdings ohne großen Erfolg.
„Dr. Fuss betonte seine nationalsozialistische und militärische Einstellung in einer so aufdringlichen Art und Weise, dass die Kollegen (darunter viele Parteigenossen) von seinen politischen Phrasen teils belustigt, teils angewidert waren ... Er lehrte den Rassenhass“, schrieb ein Mitglied des Johanneum-Kollegiums im Juli 1946 über Fuss, der „bei Kollegen und Schülern als der aktivste, geradezu fanatische Anhänger Hitlers“ galt.
Giordano wurde durch diesen wahrlich furchtbaren Lehrer, der ihn durchgehend ignorierte, 1938 in einen Selbstmordversuch getrieben. In den Schuldienst konnte Fuss nicht zurückkehren, aber er wurde 1948 mit der Pension eines Studienrats in den Ruhestand versetzt und als „Mitläufer“ (Kategorie IV) eingestuft. Er starb 1950.
De Lorent kommt nach Sichtung der Quellen zu bemerkenswerten Ergebnissen: Bis 1935 waren 55 Prozent der Schulleiter, die 1932/33 im Amt waren, ersetzt worden. Im Rahmen der großen Säuberungsaktion nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurden 637 Lehrer aus dem Schuldienst entfernt. Erstaunlich hoch ist die Zahl der vorzeitigen Pensionierungen mit 555. Im Gegenzug wurden immerhin 468 arbeitslose junge Lehrer neu eingestellt, die schon deswegen loyal waren, weil sie den Nazis ihren Job verdankten.
„Hamburg war nicht schlimmer als andere Länder, aber auch nicht weniger schlimm“, lautet de Lorents Fazit. „Man musste in die Partei eintreten, wenn man Karriere machen wollte. Aber kein Lehrer wurde nach 1935 entlassen, weil er nicht Mitglied der NSDAP werden wollte.“ Entsetzt hat den pensionierten Pädagogen die laxe Praxis der Entnazifizierungsverfahren. Er spricht von einer „unvollendeten Entnazifizierung“. Aber, so schränkt der Historiker ein, „Wissenschaft ist Klugheit im Nachhinein“. Im Übrigen hätten nicht alle durch die Nazizeit belasteten Menschen nach 1945 herausgehalten werden können. „Max Brauer hat gesagt, dass man mit den fünf Prozent nicht verstrickter Menschen kein Land aufbauen kann“, zitiert de Lorent den Nachkriegsbürgermeister.
Die Beschäftigung mit der Schule unterm Hakenkreuz ist für den Ex-Lehrer längst zur Lebensaufgabe geworden. De Lorent sitzt schon an Band II seiner „Täterprofile“, deren erster Teil mit mehr als 800 Seiten bereits ein Mammutwerk ist. Material zu rund 300 Personen aus Behörde und Schulen hat de Lorent im Laufe von rund 30 Jahren gesammelt. „Angesichts der Breite wird das Entsetzen schon groß“, so der Autor. Begonnen hat alles 1985 mit dem Band „Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz“. De Lorent: „Damals ging es darum, die Opfer des Nationalsozialismus zu würdigen und ihnen ein kleines Denkmal zu setzen.“