Hamburg. Zu dem überraschend gewählten Quartett gehört auch ein „Kammerrebell“. Fegebank: Erst einmal müssen sie die Fraktion einen.

Wenn eine aufstrebende Vize-Fraktionsvorsitzende nicht nur ihre Ambitionen auf den Chefsessel begraben muss, sondern sogar ihren bisherigen Posten verliert, wenn dazu auch ein früherer stellvertretender Parteichef es nicht zum Vorsitzenden bringt, dafür aber den Parlamentarischen Geschäftsführer per Kampfkandidatur aus dem Amt drängt, und wenn dann zwei vergleichsweise unerfahrene Abgeordnete zur Doppelspitze gewählt werden – dann kam man von einem kleinen politischen Beben im Rathaus sprechen.

Einen Tag nach den Vorstandswahlen in der Bürgerschaftsfraktion der Grünen waren daher Analyse und Wundenlecken angesagt. Wer sind die neuen Vorsitzenden Jennifer Jasberg und Dominik Lorenzen? Was bedeutet ihre Wahl für die rot-grüne Koalition? Und wie reagieren die Unterlegenen?

Nun, zumindest Letzteres ist schnell abgehandelt. Mareike Engels, seit 2019 stellvertretende Fraktionsvorsitzende, äußerte sich gar nicht zu ihrem gescheiterten Anlauf auf den Posten, der frei wurde, nachdem Anjes Tjarks zum Verkehrssenator ernannt worden war. Auch Farid Müller, der als dienstältester Grünen-Abgeordneter gern Parlamentarischer Geschäftsführer geblieben wäre, war nicht nach Reden zumute: „Ich habe meine Erfahrungen und mein Engagement der neuen Fraktion angeboten, sie hat sich in einer Wahl anders entschieden“, ließ er schriftlich ausrichten und wünschte dem neuen Fraktionsvorstand „eine glückliche Hand“.

Spaß an Konfrontation? Jasberg wehrt sich

Müller war mit elf zu 17 Stimmen Michael Gwosdz unterlegen. Dieser hatte zusammen mit Engels die Bewerbung um den Fraktionsvorsitz zurückgezogen, nachdem schon eine Probeabstimmung eine Mehrheit für Jasberg/Lorenzen ergeben hatte.

Die 37 Jahre alte Jasberg gehört den Grünen zwar seit 2003 an, war landespolitisch aber erst einmal in Erscheinung getreten: als sie 2016 bei der Aufstellung der Bundestagsliste spontan gegen die Landesvorsitzende Anna Gallina antrat – und gewann.

Daraus und aus der Tatsache, dass sie nun als neu gewählte Abgeordnete gleich für den Fraktionsvorsitz kandidiert hat, könne man aber keinen Spaß an der Konfrontation ableiten, sagte sie dem Abendblatt: „Das ist eher Zufall. Es ist nicht so, dass ich wie Kai aus der Kiste komme, sondern ich mache seit 17 Jahren grüne Politik und habe nur häufig Gelegenheiten nicht genutzt, weil ich es mir in der jeweiligen persönlichen Situation nicht vorstellen konnte“, so die Bergedorferin. 2016 und jetzt sei es anders gewesen: „Ich habe kandidiert, weil es persönlich und politisch passte.“

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Da sie Lorenzen aus der Parteiarbeit viele Jahre kenne, seien beide als Duo angetreten – wobei die Bundesspitze der Partei aus Annalena Baerbock und Robert Habeck durchaus als Vorbild diente, so Jasberg. Politische Erfahrung bringt die Mutter einer Tochter unter anderem aus ihrem Job als politische Koordinatorin im schleswig-holsteinischen Umweltministerium mit, den sie für das Mandat in Hamburg aufgegeben hat.

Dass die rot-grüne Zusammenarbeit in der neuen Konstellation schwieriger wird, glaubt Jasberg nicht: „Ist doch klar, dass wir mit einer Fraktion, die sich mehr als verdoppelt hat, selbstbewusst auftreten können. Das schließt aber nicht aus, dass wir auch pflegeleicht sein können. Wir sind beide eher friedfertige Menschen und haben großes Interesse daran, dass diese Regierung funktioniert.“

Grünen: Was hat Lorenzen vor?

Ihr Co-Fraktionschef Lorenzen ist ein erfahrener Unternehmer – und damit vielleicht kein klassischer Grünenpolitiker. Schon nach dem Abi gründete der heute 42-Jährige einen Verlag für Jugendmedien, er studierte Betriebswirtschaftslehre und Politikwissenschaft, ließ das Studium aber für die Arbeit in den Firmen und für die Politik ohne Abschluss ruhen. Heute gehören ihm die Event-Agentur Teamgeist, zwei Unverpackt-Läden unter dem Namen „Stückgut“ und ein dazugehöriger Großhandel. Zusammen mit seinem Bruder führt er zudem ein Fitnessstudio in Barmbek.

Die Bewältigung der Wirtschaftskrise werde „eine Hauptaufgabe der nächsten Jahre sein“, sagt der bisherige Grünen-Fachsprecher für Wirtschaft und Hafen. „Wir müssen in höchstem Maße klug und kompetent agieren. Ganze Branchen drohen derzeit zu implodieren, ich weiß das sehr genau, weil ich als Unternehmer selbst stark betroffen bin.“

Ziel sei es, „eine große Fraktion mit 33 Abgeordneten schlagfertig zu organisieren“, so Lorenzen, der mit Frau und zwei Töchtern in Niendorf lebt. „Wir haben mit dem Koalitionsvertrag viele Hausaufgaben bekommen. Dabei steht die intensive Bemühung um den Klimaschutz ganz vorne, ebenso wie die Mobilitätswende.“ Zugleich steht Lorenzen für große Streitlust. „Eine Partei in Regierungsverantwortung kann nur geschlossen erfolgreich sein“, sagt er zwar. „Wir Grüne waren aber nach innen auch immer diskussionsfreudig. Das ist auch gut und wichtig, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Die Diskursfreudigkeit wird sicher nicht weniger werden.“

Lorenzen gehörte zu den Kammerrabellen

Dass er im Zweifel auch die Abteilung Attacke zu führen weiß, hat Lorenzen als Kammerrebell bewiesen. 2014 verklagte er die Handelskammer, weil er es für illegal hielt, dass deren Führung mit einer großen Öffentlichkeitskampagne gegen den Rückkauf der Energienetze kämpfte, obwohl viele der Zwangsmitglieder das Thema ganz anders sähen. Das Gericht gab ihm recht. „Ich selbst bin immer eine konstruktive Kraft gewesen – sei es in der Partei, in der Handelskammer oder bei meinen wirtschaftlichen Unternehmungen“, betont Lorenzen gleichwohl. „Das wird auch so bleiben. Wir werden auch die Senatsarbeit sehr konstruktiv begleiten.“

Gerüchte, wonach das Grünen-Establishment sich eher das Duo Engels/Gwosdz an der Fraktionsspitze gewünscht habe, bestätigte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank nicht. Es sei allerdings schade, dass Engels und Müller dem Fraktionsvorstand nicht mehr angehörten: „Die beiden haben einen sehr guten Job gemacht.“ Die Wahl des neuen Spitzenduos begrüßte Fegebank: „Die beiden sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich aber gut ergänzen.“ Dass Jasberg als Grünen-Kreisvorsitzende in Bergedorf mit dem SPD-Kreischef und Bildungssenator Ties Rabe einen Koalitionsvertrag aushandelte, habe ihr „sehr viel Respekt eingebracht“, sagte Fegebank.

Dem neuen Spitzenduo stehe aber viel Überzeugungsarbeit bevor: „Sie werden erst einmal alle Hände voll zu tun haben, die Fraktion zu einen“, sagte Fegebank, nachdem Jasberg nur mit 19 und Lorenzen mit 21 Jastimmen (bei 33 Abgeordneten) gewählt worden waren.

Bei der SPD reagierte man gelassen auf die neue Grünen-Doppelspitze. „Wir werden konstruktiv mit Jennifer Jasberg und Dominik Lorenzen zusammenarbeiten“, sagte der wiedergewählte Fraktionschef Dirk Kienscherf. Als gute Grundlage diene der Koalitionsvertrag. Reibereien befürchte er nicht.