Hamburg. Der neue Verkehrssenator Anjes Tjarks verrät seine Vision vom Stadtverkehr der Zukunft und wo es weniger Parkplätze geben wird.

Der Besprechungstisch wackelt noch, und das Büro am Alten Steinweg ist bis auf zwei Blumentöpfe kahl und karg. Das hindert den frisch gekürten Verkehrssenator Anjes Tjarks aber nicht, an seinem ersten Arbeitstag in einem Interview mit dem Abendblatt seine Vorstellungen von der Verkehrswende zu erklären – und deutlich zu machen, warum ein Zurückdrängen des Autos aus seiner Sicht unerlässlich ist.

Hamburger Abendblatt: Herr Tjarks, wie sind Sie als neuer Verkehrssenator am ersten Tag in Ihre Behörde gekommen?

Anjes Tjarks: Mit dem 3er-Bus, der fährt direkt vor meiner Haustür in Altona.

Warum nicht mit dem Rad?

Tjarks: Es hat geregnet.

Haben Sie schon entschieden, ob Sie künftig einen Dienstwagen in Anspruch nehmen?

Tjarks: Nein, noch nicht. Viele haben mir dazu geraten, weil man im Auto arbeiten kann. Aber ich will weiter viel Fahrrad fahren, weil ich jemand bin, der unbedingt Bewegung braucht. Gleichzeitig muss der Arbeitsalltag aber auch zu bewältigen sein – wobei ich auch einen hohen Anspruch an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf habe. Das lass ich jetzt alles mal auf mich wirken, und dann werde ich eine Entscheidung treffen.

Autoarme Innenstadt, Verkehrswende, Fahrradstadt. Die Erwartungen an Sie sind enorm. Wie hoch ist der Druck?

Tjarks: Ich glaube, dass die Gesellschaft bei der Mobilitätswende mitziehen wird. Vor diesem Hintergrund versuchen wir, sie jetzt zu organisieren.

Als Chef der Senatskommission für Klimaschutz und Mobilitätswende hat dann aber der SPD-Bürgermeister auch in Verkehrsfragen das letzte Wort, oder?

Tjarks: Wir Grüne haben die Einrichtung einer solchen Kommission angeregt. Fachlich zuständig sind die Fachbehörden, also die Umweltbehörde von Jens Kerstan und meine Behörde. Aber durch die Kommission macht sich der ganze Senat den Klimaschutz und die Mobilitätswende zu eigen. Das finde ich gut, denn das Thema Klimaschutz ist so gewaltig, das werden wir als Grüne alleine nicht bewältigen. Dazu brauchen wir den ganzen Senat und große Teile der Gesellschaft. Das ist bei der Mobilitätswende ähnlich.

Und der Bürgermeister hat dann bei beiden grünen Topthemen das letzte Wort?

Tjarks: Es ist eine Kommission für Klimaschutz und Mobilitätswende. Diesem Vorhaben sind wir verpflichtet.

Ziel Ihrer Grünen ist es, den Autoverkehr zugunsten von Radfahrern, Fußgängern, Bussen und Bahnen zurückzudrängen. Wie genau wollen Sie das erreichen?

Tjarks: Zum einen wollen wir den Radwegeausbau auf 60 bis 80 Kilometer pro Jahr steigern. Auch die Sanierung von Rad- und Fußwegen treiben wir voran. Wir bauen die Schnellbahnen aus. Und wir haben uns verständigt auf den Hamburg-Takt beim HVV, das bedeutet: Das Angebot wird ausgeweitet, und Fahrpläne sollen möglichst überflüssig werden, weil Sie 2030 tagsüber überall in der Stadt binnen fünf Minuten ein Mobilitätsangebot erreichen.

Mehr Radwege und Busse bedeuten aber nicht automatisch weniger Autos. Wollen Sie, wie andere große Städte es handhaben, das Autofahren auch unattraktiver machen – etwa indem Sie Fahrspuren wegnehmen oder das Parken teurer machen?

Tjarks: Das eine bedingt das andere. Das Grundproblem ist doch: Die Verkehrsleistung der Stadt Hamburg hat sich zuletzt dramatisch erhöht: von 50 Millionen auf 70 Millionen Personenkilometern pro Tag. Es sind immer mehr Menschen unterwegs auf allen Straßen und Wegen und mit allen Verkehrsmitteln. Und die Zahl der Einwohner nimmt weiter zu. Die Fläche, die uns zur Verfügung steht, ist aber nicht beliebig vermehrbar. Wenn wir Hamburg mobil halten wollen, muss also jeder Einzelne künftig weniger Fläche für seine Mobilität in Anspruch nehmen.

Und am meisten Fläche pro Person beanspruchen Autofahrer.

Tjarks: Ja. Angesichts der Ausgangslage ist die Verkehrswende weg vom Pkw und hin zu mehr Nutzung von Rad und ÖPNV die Voraussetzung für funktionierenden Verkehr. Und für Klimaschutz, saubere Luft, weniger Lärm und mehr Aufenthaltsqualität in der Stadt sowieso.

Große Städte haben den Autoverkehr in ihren Innenbereichen massiv eingeschränkt. Was genau haben Sie in Hamburg vor?

Tjarks: Wir wollen Hamburgs Innenstadt zu einer lebenswerten und autoarmen Innenstadt machen. Zugleich läuft mit „Ottensen macht Platz“ ein ähnliches Projekt in Altona. Sobald Sie Gebiete autoarm gestalten, breiten sich dort andere Verkehre aus, dann gibt es mehr Fußgänger und Radfahrer. Das ist ein Prozess. In Kopenhagen wurden uns mal zwei Fotos eines zentralen Platzes gezeigt. 1977 war der total zugeparkt. Heute ist er frei und wird von Menschen genutzt. Dann wurde die Frage gestellt: Wann gab es wohl mehr Verkehr? Die Antwort war: An dem Verkehrsaufkommen hat sich nichts geändert. Nur wird heute weniger Auto gefahren, deswegen gibt es viel mehr Platz für die Menschen.

Und wo und wie fangen Sie konkret an, den Autos Platz wegzunehmen?

Tjarks: Im Koalitionsvertrag haben wir drei „Pop-up-Bikelanes“ vereinbart, beispielsweise am Sandtorkai/Brooktorkai. Genau da werden wir eine Radspur auf der Fahrbahn einrichten. So geht das los.

Vor Corona ist die Zahl der in Hamburg registrierten Pkw stetig gestiegen, obwohl die Menschen weniger Auto fahren. Offenbar hängen die Menschen am eigenen Pkw.

Tjarks: Man muss die Anmeldezahlen in Relation zu der Einwohnerzahl sehen, und die ist auch jedes Jahr gewachsen. Wir sind ja auch nicht in einer Planwirtschaft, in der wir den Kauf von Autos unterbinden können. Der Zuwachs hat sicher auch mit zehn Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs zu tun. Es bleibt dabei: Je mehr gute andere Angebote wir schaffen, umso mehr Menschen werden auf ein Auto verzichten.

Sie sind nun auch für die Parkraumbewirtschaftung zuständig. Wird es weniger Parkplätze geben und wird Parken teurer?

Tjarks: In der City werden wir im Zuge des Projektes „Autoarme lebendige Innenstadt“ Straßenparkplätze abbauen, dafür werden die Parkhäuser weiter erreichbar sein. Deswegen ist das Parken selbst kein Problem – was auch für die Gewerbetreibenden wichtig ist. Aber wir werden an einigen Straßen und Plätzen die Parkstände deutlich reduzieren. Nehmen Sie mal den Ballindamm. Das ist der Ort an der Binnenalster, an dem die Abendsonne auf Hamburgs gute Stube scheint. Und ausgerechnet dieser Ort wurde bisher als dreispuriger Autoparkplatz genutzt. Das ist eigentlich ein Ort, an dem Sie eine hochwertige Aufenthaltsqualität haben könnten, um die uns jede Stadt der Welt beneiden würde – deswegen bauen wir den jetzt um. Das ist am Burchardplatz genauso. Natürlich sind manche Veränderungen umstritten, aber in der Regel stoßen solche Umbauten am Ende auf breite Akzeptanz. Das sehen Sie auch am Klosterstern. Da gab es auch erst Kritik, heute sind fast alle zufrieden.

Auch außerhalb der City sind zuletzt Parkplätze weggefallen. Wird sich das ändern?

Tjarks: Es werden immer mal Parkplätze wegfallen. Wir wollen sichere und breitere Radwege bauen, das wird sich nicht immer alles unter einen Hut bringen lassen.

Das heißt: Autofahrer müssen sich in ganz Hamburg darauf einstellen, dass es überall weniger Parkplätze geben wird?

Tjarks: Es wird an einigen Stellen im öffentlichen Raum weniger Parkplätze geben. Da wird aber nicht die ganze Stadt betroffen sein.

Verkehrsminister Scheuer will eine Neuregelung zurücknehmen, nach der Autofahrer den Führerschein schon verlieren, wenn sie 20 Kilometer pro Stunde zu schnell fahren, also in Hamburg 70. Was halten Sie davon?

Tjarks: Wer so schnell in der Stadt fährt, gefährdet andere Menschen, deswegen war die Änderung richtig – und es gibt keinen Grund, das zurückzunehmen.

Mickrige 4500 von 787.000 Pkw sind in Hamburg E-Autos – nach Jahren der Reden über die Verkehrswende. Woran liegt das, und was wollen Sie hier tun?

Tjarks: Der Schlüssel dafür liegt nicht in Hamburg. Die Bundesregierung wollte 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf deutschen Straßen haben, davon sind wir Lichtjahre entfernt. Ich bin aber optimistisch, weil der weltgrößte Autobauer Volkswagen stark in E-Mobilität investiert, dadurch kommt eine ganz andere Angebotspalette auf den Markt. Wir in Hamburg werden die Zahl der Ladestellen verdoppeln.

Der HVV erlebt wegen der Corona-Pandemie massive Einbrüche. Was wollen Sie tun, um eine Renaissance des Autos zu verhindern?

Tjarks: Der HVV hat ja jetzt eine zusätzliche Reinigung der Kontaktflächen eingeführt. Und wir werden demnächst eine PR-Kampagne aufsetzen, die klarmacht: Es ist sicher, im HVV zu fahren. Irgendwann wird es einen Impfstoff geben, dann wird sich das alles normalisieren.

Der Hauptbahnhof ist DAS Verkehrsnadelöhr des Nordens. Was muss dort passieren?

Tjarks: Kurzfristig sind die Treppenaufgänge von den Metronomzügen zur Steintorbrücke wichtig, damit sich nicht alles auf dem Südsteg drängt. Mittelfristig wird die neue S 4 den Hauptbahnhof entlasten. Langfristig kommen dann die großen Ausbaupläne mit der Überdachung der Steintorbrücke hinzu. Außerdem wird über einen neuen S-Bahn-Tunnel unter dem Hauptbahnhof hindurch zum Fernbahnhof Diebsteich nachgedacht. Das wäre eine Riesenchance für Hamburg – auch wenn es kompliziert ist, weil der Tunnel quer durch die bebaute Stadt führen würde und unter dem Hauptbahnhof ein Bunker liegt. Dem wollen wir uns aber stellen und die Pläne vorantreiben.

Sie wollen 60 bis 80 Kilometer Radwege pro Jahr bauen. Wie wollen Sie das schaffen?

Tjarks: Das ist ein Prozess. Olaf Scholz hat auch nicht 6000 Baugenehmigungen im ersten Jahr erteilt. Wir haben aber die Grundlagen im Rahmen der Einigung mit dem Radentscheid geschaffen, sodass wir die personelle und finanzielle Ausstattung bekommen. Wir werden neben dem laufenden Veloroutenprogramm weitere Programme aufbauen – zu Radschnellwegen und Schul- und bezirklichen Radwegen. Und beim Straßenerhalt werden wir auch Nebenflächen erneuern, also Fuß- und Radwege. Es wird in diesem Jahr weiteres Geld für Radwege geben. Wir werden das Bündnis für den Radverkehr zusammen mit den Bezirken erneuern – und diesmal auch den Fußverkehr einbeziehen.

Sie haben sich in Kopenhagen Anregungen zum Radverkehr geholt, was wollen Sie davon künftig in Hamburg umsetzen?

Tjarks: Wir wollen die Politik der Schutzstreifen auf den Fahrbahnen weiterentwickeln zu einer Politik, die eine stärkere Trennung von Rad- und Autoverkehr vorsieht. Da wollen wir uns auch an Kopenhagen orientieren, wo Autos und Fahrräder zwar nebeneinander fahren, aber höhenversetzt. Wir sind auch offen für das Amsterdamer Modell mit ganz eigenständigen Radstraßen neben den Autostraßen. Aber dafür brauchen Sie eine Straßenbreite, die wir nur selten haben.

Betrifft das nur neue Planungen, oder sollen bestehende Programme verändert werden?

Tjarks: Bei Neuplanungen werden wir uns in diese Richtung bewegen. Bestehen Pläne, wollen wir uns diese auch noch einmal anschauen. Aber Umplanung darf nicht dazu führen, dass lange gar nicht gebaut wird.

Welche Radfahrer- und Fußgängerbrücken wie in Kopenhagen können Sie sich auch für Hamburg vorstellen?

Tjarks: Wir haben vereinbart, dass wir eine solche Radfahrer-und-Fußgänger-Brücke zum Kleinen Grasbrook prüfen sollten. Derzeit wird eine Geh-und-Radweg-Brücke, die Teil der Alsterfahrradachse ist, an der Hohenfelder Bucht gebaut.

Beim Lärmschutz gab es oft Reibereien zwischen Umwelt- und Wirtschaftsbehörde. Nun sind zwei Grüne zuständig. Wird es mehr Schutz vor Straßenlärm auch durch mehr Tempo 30 geben?

Tjarks: Ich sehe da Potenzial. Man muss sich das jeweils konkret ansehen.

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Sie gelten ja – etwa im Vergleich zu Umweltsenator Kerstan – als eher harmoniebedürftig. Nun leiten Sie das Ressort, in dem jeder Experte ist und viele immer furchtbar sauer werden. Sind Sie darauf eingestellt, künftig auch viel Prügel einstecken zu müssen?

Tjarks: Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Und ich bin durchaus konfliktfähig. Ich habe den Wählerauftrag, die Mobilitätswende umzusetzen. Und das werde ich tun. Ich bin selber von dem Thema begeistert. Und ich denke, es wird mir gelingen, auch viele andere Hamburgerinnen und Hamburger zu begeistern.