Hamburg. SPD und Grüne stellen heute ihren Koalitionsvertrag vor. Welche Partei sich bei welchen Themen durchgesetzt hat.

Seit dem 23. April haben SPD und Grüne in 13 großen und diversen kleinen Runden über eine Fortsetzung ihrer seit 2015 bestehenden Zusammenarbeit verhandelt und jeweils Zwischenergebnisse vorgestellt. Am Dienstag soll der Koalitionsvertrag vorgestellt werden.

Vieles war dabei unstrittig und konnte harmonisch geklärt werden, etwa in den Bereichen Finanzen, Soziales oder Schule. Es gab jedoch auch etliche Punkte, um die hart gerungen wurde – das Abendblatt erklärt, wer sich bei welchem Thema durchgesetzt hat.

A 26-Ost (Hafenpassage) wird gebaut

Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm dargelegt, dass es aus ihrer Sicht nicht sinnvoll sei, „zwei Querungen über den Köhlbrand in einem sehr kurzen Abstand zu finanzieren, die zusammen mehr Verkehr produzieren werden“. Sie hatte daher eine „kritische Überprüfung der A 26-Ost“ gefordert. Dagegen hielt die SPD immer beides für nötig: die Hafenpassage und eine neue Köhlbrandquerung. Die A 26-Ost sei aus ihrer Sicht eine „wichtige Entlastung für den Verkehr im Hamburger Süden und eine verbesserte Anbindung der südlichen Hafenflächen“, hatte die SPD vor der Wahl formuliert – und sich damit nun auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Köhlbrandbrücke wird (voraussichtlich durch einen Tunnel inklusive „Innovationstrasse“) ersetzt – und die A 26-Ost wird auch gebaut.
Punkt für die SPD

Die Innenstadt wird autoärmer

Die künftige Verkehrsgestaltung der Innenstadt war ein heiß diskutiertes Thema im Wahlkampf. „Hamburgs Innenstadt gehört den Menschen, nicht den Autos“, lautete der Slogan im Wahlprogramm der Grünen, die ein umfangreiches Konzept vorgelegt hatten. Unter anderem sollte die Achse Kaiser-Wilhelm-Straße – Stadthausbrücke – Rödingsmarkt für den Durchgangsverkehr gesperrt werden. Die SPD war zurückhaltender, übernahm aber in ihr Konzept mehrere Vorschläge der Grünen, die dann in den Koalitionsverhandlungen auch beschlossen wurden: Sperrung des Jungfernstiegs für den motorisierten Individualverkehr, schrittweise Verlagerung der Buslinien von der Mönckebergstraße in die Steinstraße und eine (autofreie) Neugestaltung des Burchardplatzes. Offen ist, ob und in welchem Umfang der Autoverkehr in den Großen Bleichen und auf dem Neuen Wall reglementiert wird. Alle Maßnahmen sollen mit Anwohnern, Geschäftsleuten und Grundeigentümern diskutiert werden.
Kompromiss

Vier Frauen, acht Männer: Das ist der neue Senat

Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister.
Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister. © HA | Marcelo Hernandez
Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin der Hansestadt.
Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin der Hansestadt. © HA | Andreas Laible
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). © Thorsten Ahlf
Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD).
Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). © HA | Marcelo Hernandez
Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne).
Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). © HA | Marcelo Hernandez
Schulsenator Ties Rabe (SPD).
Schulsenator Ties Rabe (SPD). © HA | Roland Magunia
Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos).
Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos). © HA | Marcelo Hernandez
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). © HA | Marcelo Hernandez
Innensenator Andy Grote (SPD).
Innensenator Andy Grote (SPD). © HA | Marcelo Hernandez
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). © HA | Roland Magunia
Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne).
Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services
Kultursenator Carsten Brosda (SPD).
Kultursenator Carsten Brosda (SPD). © HA | Roland Magunia
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60 bis 80 Kilometer neue Radwege pro Jahr

Der Erfolg der Mobilitätswende, die sich SPD und Grüne vorgenommen haben, hängt auch davon ab, wie gut das Radwegenetz ausgebaut ist. „Wir wollen die personellen und finanziellen Ressourcen bereitstellen, um die sanierten und gebauten Radwege auf 100 Kilometer pro Jahr zu steigern“, schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogramm. In den vergangenen Jahren erreichte Rot-Grün nur 30 bis 40 Kilometer pro Jahr statt der 50 Kilometer, die beide Parteien 2015 als jährliche Zielmarke vereinbart hatten. Der SPD hätte es genügt, das Tempo von 30 bis 40 Kilometern neuer Radwege pro Jahr fortzusetzen. In den Koalitionsverhandlungen einigten sich beide Parteien auf eine Verdoppelung auf 60 bis 80 Kilometer. Die magischen 100 Kilometer sollen laut dem künftigen Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) „mittelfristig“ erreicht werden.
Kompromiss

Verkehrsversuche

Um Alternativen zum Autoverkehr zu erproben, soll es künftig pro Jahr einen Verkehrsversuch wie etwa „Ottensen macht Platz“ geben. Dabei soll es allerdings nicht nur um autofreie Zonen gehen. Stattdessen könnte es auch vermehrt sogenannte „Pop-up-Bike-Lanes“ geben – sehr schnell hergestellte Spuren für Radfahrer. Diese sind während der Corona-Beschränkungen in vielen Städten auf früheren Autospuren entstanden. In Hamburg soll ein solcher temporärer Radweg zunächst auf der Strecke vom Rödingsmarkt über den Sandtorkai bis zum Brooktorkai in der Speicherstadt eingerichtet werden.
Punkt für die Grünen

HVV-Tickets:

Hier standen sich zwei sehr unterschiedliche Konzepte gegenüber: Auf der einen Seite das Wahlversprechen von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), ein kostenloses HVV-Ticket für Schüler einzuführen, auf der anderen Seite ein sehr viel differenzierteres, vor allem auf Familien und Berufsanfänger ausgerichtetes Modell der Grünen. Ergebnis: Das Schülerticket kommt – unklar ist nur noch, wann und wie es genau aussehen wird. Die Grünen konnten allerdings auch einige Elemente durchsetzen, etwa ein günstiges „Jobstarter-Ticket“ für Azubis (analog zum Semester-Ticket) und Änderungen am Tarifsystem, daher:
Kompromiss

Keine Entkriminalisierung von Schwarzfahren:

„Wir wollen das Erschleichen von Beförderungsleistungen zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen und es damit auf die gleiche Stufe stellen wie Falschparken und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Schwarzfahrer beschäftigen Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Vollzug unnötig“, heißt es im Wahlprogramm der Grünen. Dazu wird es nicht kommen, das Nein von Innensenator Andy Grote (SPD) in den Koalitionsverhandlungen war deutlich: „Beim Schwarzfahren wird sich nichts ändern. Es wird keine Ordnungswidrigkeit werden.“
Punkt SPD

Polizeibeauftragter kommt nicht:

Die Grünen fordern seit Langem eine unabhängige Stelle, an die sich Bürger bei Übergriffen und unangemessenem Verhalten von Polizeibeamten wenden können – wie auch Beamte, wenn sie Fehlverhalten von Kollegen offenbaren wollen. Doch diesen „unabhängigen Polizeibeauftragten“ (Wahlprogramm der Grünen) wollte die SPD nicht. Die Polizeigewerkschaften sehen darin ein Misstrauensvotum gegen die Polizei. Vereinbart haben SPD und Grüne eine polizeiliche Beschwerdestelle, die beim Polizeipräsidenten angebunden ist. Laut Innensenator Andy Grote soll die Beschwerdestelle „vertraulich und weisungsunabhängig“ arbeiten und in Jahresberichten an die Bürgerschaft über Fehlverhalten und Beschwerden berichten.
Punkt SPD

Moorburg:

Anders als von den Grünen gefordert, soll der Stadtteil Moorburg nicht aus dem Hafenentwicklungsgebiet entlassen werden. Auch beim bisherigen Kohlekraftwerk setzte sich die SPD mit einer bereits im Wahlkampf von Bürgermeister Peter Tschentscher propagierten Idee durch. Das Kraftwerk soll demnach so schnell wie möglich aus der Kohleverfeuerung aussteigen: „Die Idee ist, die Hälfte des Kraftwerks abzuschalten und die andere Hälfte auf ein modernes GuD-Kraftwerk umzurüsten und zugleich den Standort zu nutzen für einen der weltweit größten Elektrolyseure für grünen Wasserstoff.“ Angeblich steht das Ganze aber nicht in Konkurrenz zu den Plänen des grünen Umweltsenators Jens Kerstan zum Umbau der Fernwärme.
Punkt SPD

Alles zum neuen rot-grünen Senat:

Vollhöfner Wald

Der durch Selbstaussaat entstandene Wald bei Altenwerder ist ein Kuriosum: Der rot-grüne Senat hatte schon 2016 beschlossen, dass die ehemaligen Weiden der Hafenerweiterung weichen sollen. Doch als Mitte 2019 Umweltschützer den Wald besetzten, um eine mögliche Rodung (die tatsächlich wohl nicht vor 2023 erfolgt wäre) zu verhindern, schwenkte Umweltsenator Jens Kerstan um. Über den Wald, der in den Wahlprogrammen der Parteien gar nicht vorkommt, werde in den Koalitionsverhandlungen zu reden sein. So kam es auch. Ergebnis: Der Wald bleibt und soll möglichst unter Naturschutz gestellt werden.
Punkt Grüne

Flughafen

Die Grünen waren mit der Forderung in den Wahlkampf gegangen, der Flughafen müsse leiser und nachhaltiger werden. Sie wollten Flüge nach 23 Uhr grundsätzlich verbieten und sie in den Tagesrandzeiten (6–7 und 22–23 Uhr) durch einen „speziellen Lärm­deckel“ reduzieren. Damit setzten sich die Grünen nicht durch, stattdessen wurde vereinbart, die Betriebsregeln und -zeiten nicht zu verändern – ein Punkt für die SPD. Der Flughafen darf aber auch weiterhin nicht lauter werden und das CO2-Budget von 2019 auch künftig nicht mehr überschreiten. Zudem soll es eine CO2-abhängige Komponente des Flughafenentgelts geben, mit dessen Einnahmen umweltfreundliche Kraftstoffe entwickelt werden sollen – ein Punkt für die Grünen. Die zwar nicht im Wahlprogramm, aber in den Ver­handlungen erhobene Forderung der SPD, die Start-und-Lande-Bahnen zu „ent­kreuzen“ und so mehr Flüge möglich zu machen, wiesen die Grünen erfolgreich zurück. Vorerst soll es „keine Maßnahmen zur Erweiterung der luftseitigen Kapazität­ des Flughafens“ geben.
Kompromiss

Mehr Klimaschutz

Die Grünen wollten Hamburg bereits 2035 zu einer klimaneutralen Stadt machen, die SPD 2050. Nun einigte man sich darauf, dass Hamburg beim Klimaschutz jedenfalls noch ehrgeiziger werden wolle als bisher. „Wir wollen Hamburg zu einer Modellstadt für den Klimaschutz machen“, sagte Kerstan. Um das 1,5-Grad-Ziel von Paris zu erreichen, müsse Hamburg „deutlich vor 2050“ klimaneutral werden. Eine Jahreszahl nannten SPD und Grüne bisher nicht. Kompromiss

Straffreiheit für junge Drogen-Delinquenten

In der Drogenpolitik soll künftig das Prinzip „Schnelle Hilfe statt Strafe“ gelten: Junge Menschen, die von der Polizei mit illegalen Drogen aufgegriffen werden, sollen binnen 72 Stunden einer Suchtberatung vorgestellt werden und weiterführende Hilfe bekommen, die Strafverfolgung entfällt dafür. Was auf den ersten Blick nach klassisch grüner Politik aussieht (und es auch ist), steht in Wahrheit 1:1 so im SPD-Programm. Also kein Konflikt, Punkt für beide

Cannabis-Legalisierung

Die Grünen hätten gern ein „Modellprojekt zur kon­trollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene“ eingeführt. Diskutiert wurde darüber in den Verhandlungen auch, doch letztlich lehnte die SPD diese Forderung ab.
Punkt SPD

Mehr Geld für Hochschulen

Vergleicht man nur die Wahlprogramme von SPD und Grünen, haben sie sich beide für eine kräftige Steigerung der Hochschulfinanzierung um mindestens drei Prozent pro Jahr ausgesprochen. In der Realität waren es aber vor allem die Grünen um ihre Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, die im Verbund mit den Hochschulen dafür gekämpft haben, die in SPD-Zeiten für fast ein Jahrzehnt zementierte Ministeigerung von 0,88 Prozent pro Jahr abzulösen. Man einigte sich darauf, dass die Hochschulen einen jährlichen Ausgleich für Tarifsteigerungen und Inflation von maximal zwei Prozent erhalten und zudem weitere Mittel für Neubauten und Gebäudesanierung. So komme man insgesamt auf Steigerungen von jährlich mehr als drei Prozent, sagte Katharina Fegebank. Das war schon ihr Ziel, als sie vor fünf Jahren angetreten ist, jetzt ist es vollbracht. Punkt Grüne

Gesamtergebnis

  • Sechs Punkte gehen an die SPD
  • Vier Punkte bekommen die Grünen
  • In fünf Punkten haben beide Parteien einen Kompromiss erzielt