Hamburg. Spitzenkandidat Marcus Weinberg: „Wir sind mehrfach in Orkane geraten.“ Fraktionschef schließt Koalition aus.
Kein großes Aufstöhnen, keine wilden Diskussionen, zuerst nur Leere. Die 250 Gäste auf der CDU-Wahlparty schauen mit glasigem Blick auf die Leinwand, hören die Worte in der ARD, „Debakel“, „zweitschlechtestes Ergebnis für die CDU in der bundesdeutschen Geschichte“. Spitzenkandidat Marcus Weinberg schaut im Moment des Aufschlags weniger überrascht als resigniert. Als hätten sich die 11,5 Prozent für seine Partei laut erster Prognose (um 23 Uhr waren es 11,2) am Ende kaum vermeiden lassen. Zumindest ist das seine Version.
Ein „politisches Gewitter“ habe seine Partei soeben erfasst, sagt Weinberg wenige Minuten später auf der kleinen Bühne im „Trend Studio Loft“ an der Großen Elbstraße. Er lobt den eigenen Wahlkampf, die „spannende Werbelinie“. Aber „all das hat heute nicht gewirkt“. Während draußen der Regen prasselt, greift Weinberg zu einer Metapher: Die CDU sei in Hamburg nur ein „kleiner Kutter“ mit stolzer Besatzung. „Wir sind in den vergangenen Wochen mehrfach in Orkane geraten, die nicht mehr zu bewältigen waren“, so Weinberg. „Das hat uns tief, tief, tief, tief beschädigt.“
Politische Kinnhaken für die Hamburger CDU
Er meint die Ereignisse in Thüringen, den angekündigten Rückzug der Bundesparteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Politische Kinnhaken bei dem Versuch, wenigstens das bescheidene Ergebnis von 15,9 Prozent bei der vergangenen Bürgerschaftswahl zu überbieten. Die müsse bei aller anstehenden Selbstkritik berücksichtigt werden. Die Gäste an großen Holzstehtischen applaudieren ihm, und sie jubeln wenigstens einmal, als Weinberg es auch als Verdienst der demokratischen Parteien bezeichnet, dass die AfD voraussichtlich keinen Platz im Parlament mehr habe. „Wir wachsen zusammen“, prangt noch auf den Wahlzeitungen neben Weinbergs Gesicht, auf das der Wahlkampf der CDU ausgerichtet war.
Er eilt in die Fernsehstudios, die Gäste bleiben an der Großen Elbstraße mit den Fragen zurück. Wie viel wirklich nur Pech und wie viel Unvermögen war. Wie der große Schnitt in der Partei aussieht, den sie fast alle für nötig halten. Und welche Rolle Weinberg dabei noch spielen soll. Bemerkenswert viele in der Hamburger CDU hatten schon vor der ersten Wahlprognose eine klare Meinung dazu gefasst.
Weinberg blieb lange kaum sichtbar
Es sei schwer vorstellbar, die kommenden fünf Jahre mit Weinberg an der Spitze zu bestreiten, sagt ein CDU-Abgeordneter. „Das hat nicht nur, aber auch mit seiner Person zu tun.“ Es war eine merkwürdige Mischung, mit der viele in der Partei auf seine Kandidatur blickten: zum einen Respekt dafür, dass er nach den krankheitsbedingten Absagen der niedersächsischen Sozialminister Aygül Özkan und des Hamburger Ex-Staatsrats Nikolas Hill in die Bresche sprang, zum anderen kaum verhohlene Zweifel, ob er als Kandidat zugkräftig genug sei.
Weinberg blieb noch lange nach seiner Ernennung in Hamburg kaum sichtbar, bis wenige Monate vor der Wahl. Hinter den Kulissen wurde teilweise hart um die richtige Strategie gerungen. Am Ende verzichtete die CDU darauf, mit dem Bildungspolitiker Weinberg im Wahlkampf auch eine neue Grundsatzdebatte um die Schulpolitik anzuzetteln. Stattdessen suchte er etwa über die Forderung nach einer Stadtbahn ein Thema. „Wenn man ehrlich ist, hatten wir nicht mal mehr als zwei Tage, in denen wir mit einem Thema richtig stattgefunden haben“, sagt ein führendes CDU-Mitglied.
Kapitän ohne Autorität
Der Personenwahlkampf geriet ebenso glücklos. Mit Slogans wie „Mut statt Murks“ lächelte Weinberg von den Plakaten, aber war zu wenig bekannt und zu wenig relevant, sagen Mitglieder inzwischen. Als größtes Plus des liberalen Weinberg galt von Beginn an seine „Anschlussfähigkeit“ an andere Parteien – kaum hatte Weinberg aber aus taktischen Gründen eine sogenannte Deutschland-Koalition öffentlich ins Auge gefasst, trommelte Altbürgermeister Ole von Beust (CDU) für eine Koalition mit den Grünen. Der „Kutter“ der CDU war schon vor Thüringen längst in schwerer See. Und Weinberg ein Kapitän ohne die letzte Autorität.
Nach der Wahl ist aber noch unklar, wohin der Weg des Kandidaten führt. Ob Weinberg über die Landesliste ein Abgeordnetenmandat der Bürgerschaft erhält, wird erst nach der Auszählung der Wahlkreisstimmen am Montag feststehen. Andernfalls würde er weiterhin sein Bundestagsmandat in Berlin ausüben. „Vom Typ und der inhaltlichen Ausrichtung her ist Weinberg nicht für die Rolle eines Oppositionsführers gegen Rot-Grün geboren“, sagt ein CDU-Abgeordneter. Im Gespräch mit dem Abendblatt stellte Weinberg jedoch in Aussicht, weiter eine führende Rolle in der Hamburger CDU ausüben zu wollen. „Ich habe gesagt, ich mache keine halben Sachen“, so Weinberg. Sollte er ein Mandat in der Bürgerschaft erhalten, würde er dafür seinen Abgeordnetensitz im Bundestag abgeben. Und auch der Fraktionsvorsitz könne eine „klare Konsequenz“ sein. „Insoweit ist das durchaus eine sehr naheliegende Option“, sagte Weinberg. Gleichwohl habe auch er Fehler gemacht und werde sich „natürlich auch zur Disposition stellen“
Quälgeist Thering an die Spitze?
Gegen 19.30 Uhr tritt am Abend CDU-Landeschef Roland Heintze auf die Bühne und formuliert als erste Lehre aus dem Wahldesaster, dass man in der politischen Auseinandersetzung mehr zuspitzen und weniger abwägen müsse. Es ist das Geschäft, dass der bisherige Fraktionschef André Trepoll versiert versteht. Mit ihm als Spitzenkandidaten und dem konservativen Kurs wäre man vermutlich zumindest nicht weiter abgestürzt, unken jetzt einige in der CDU.
Auch Trepoll gilt in Parteikreisen als beschädigt. Er habe sich nicht getraut, selbst anzutreten, Weinberg erst gedrängt und dann zu taktischen Fehlern genötigt. Seine Wiederwahl wäre ebenfalls alles andere als selbstverständlich. Als weiterer möglicher Konkurrent gilt der Abgeordnete Dennis Thering, der sich als Quälgeist des Senats in der Verkehrspolitik hervorgetan hat und die CDU in den Walddörfern vertritt. Noch offen ist jedoch, ob Thering den Schritt an die Spitze selbst sucht.
Dass über ein rot-schwarzes Bündnis noch ein Weg auf die Senatsbank führen könnte, hält die CDU-Führung selbst offenbar für weniger realistisch. Wahrscheinlicher werde Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Option nur als Druckmittel gegenüber den Grünen offenhalten, heißt es auf der Wahlparty.
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„Wir sind offen für Gespräche“, sagte Weinberg am Abend – man könne sich nun aber nicht hinstellen und das Ergebnis zum Gestaltungsauftrag umdeuten. Allerdings erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende André Trepoll, dass seine Partei nicht für eine Koalition zur Verfügung stehe. Parteikollegen wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse machten die Dimension des Scheiterns deutlich.: „Hanseatisch ausgedrückt ist das Ergebnis für die CDU suboptimal. Auf Deutsch heißt das: grottenschlecht.“
CDU-Landeschef Heintze sagt den Gästen der Wahlparty, man habe immer noch die Rolle der Volkspartei im Gedächtnis, „aber wir sind jetzt zum zweiten Mal in der Rolle einer Unter-20-Prozent-Partei“ gelandet. Es werde „einiges zu begucken und einiges zu ändern“ geben. Die erneute Selbstfindung der CDU hat erst begonnen.