Hamburg. Beim Klimaschutz zeigen sich die Genossen in Hamburg unerwartet nachgiebig. Gleichzeitig geht die Schlammschlacht weiter.
Am Anfang war man sich über die Suppe uneinig – und am Ende auch über die Ergebnisse des Treffens. Als die Senatoren, Staatsräte und Fraktionschefs von SPD und Grünen am Montag dieser Woche um 20 Uhr im Gästehaus des Senats an der Alster in Hamburg zusammenkamen, sind laut Teilnehmern nicht alle sicher gewesen, was ihnen da zu Beginn der Sitzung vorgesetzt worden war. Eine Frage beim Caterer half: Passend zur Jahreszeit hatte man zum Verhandlungsauftakt Kürbissuppe serviert – ganz sicher aus regionaler Produktion.
Das ökologisch korrekte Menü passte perfekt zum einzigen Thema des Abends: dem Klimaschutz. SPD und Grüne verfolgen dabei ein ehrgeiziges Ziel. Bis Anfang Dezember wollen sie einen neuen Klimaplan mit Dutzenden Maßnahmen erarbeiten, durch die Hamburgs CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden soll. Mehr noch: Damit nachfolgende Regierungen das Großvorhaben nicht einfach wieder beerdigen können, soll das Ganze auch in eine Neufassung des Hamburger Klimaschutzgesetzes gegossen werden.
Bürgerschaftswahl 2020: SPD und Grüne sind Hauptkonkurrenten
So vernünftig das klingt, es geht dabei nicht allein um Sachfragen – sondern auch darum, wer bei einem der wichtigsten Wahlkampfthemen die Oberhand behält. Bekanntlich sind die Koalitionspartner Hauptkonkurrenten bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020. Für SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher geht es darum, sein Amt zu verteidigen – während die Grünen ihn durch Katharina Fegebank als erste Senatschefin der Hamburger Geschichte ersetzen wollen.
Die Grünen argwöhnen schon lange, dass Tschentscher in diesem Zweikampf eine Methode anwende, die er sich von CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel abgeguckt habe: die „asymmetrische Demobilisierung“. Dabei geht es darum, die Themen des Gegners zu übernehmen und Streit aus dem Weg zu gehen. So sollen Anhänger der Konkurrenz mehr oder weniger eingeschläfert und letztlich vom Wählen abgehalten werden.
Was am Montagabend im Senatsgästehaus geschah, passt gut zu dieser These. Als der grüne Umweltsenator Jens Kerstan seinen rund 70 Seiten starken Klimaplan-Entwurf und etwa genauso umfangreiche Ausführungen zu einem neuen Klimaschutzgesetz präsentierte, gab es laut Teilnehmern des Treffens nicht etwa Widerstand von der SPD. Im Gegenteil. „Die Grünen haben wohl erwartet, dass wir lauter grundsätzliche Einwände erheben“, sagt einer von der roten Seite. „Und dann waren sie perplex, dass das nicht passierte.“
Kerstan: Einbau von Ölheizungen soll verboten werden
Nach Kerstans Vorstellungen soll es künftig etwa eine Pflicht zur Installation von Solaranlagen auf Hausdächern geben, wenn das technisch möglich ist. Der Einbau von Ölheizungen soll verboten und ein Pflichtanteil von regenerativen Energien bei neuen Heizungen festgeschrieben werden. Eine große Rolle bei der CO2-Reduktion spielen der Umbau der Fernwärme und die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs, aber auch die Erhöhung der jährlichen Sanierungsrate von Gebäuden von derzeit unter einem auf zwei Prozent.
Es gehe um das „schärfste Klimaschutzgesetz Deutschlands“, heißt es von grüner Seite. Dass die SPD zu allem Ja und Amen sage, könne man nur als Taktik verstehen. Schließlich werde das Gesetz vermutlich gar nicht mehr in dieser Wahlperiode verabschiedet. Wenn es konkret werde, mauerten die Sozis überdies – weil sie am Ende nie jemandem wehtun wollten. Daher sei man sich keinesfalls durchweg einig.
SPD positioniert sich neu gegenüber den Grünen
Umso irritierter zeigten sich Grüne, als Tschentscher am Dienstag eine auch für viele Medienvertreter seltsame Pressemitteilung herausgeben ließ. Der Senat habe bei seinem Montagstreffen „die konkreten Maßnahmen des Hamburger Klimaplans für die Jahre bis 2030 festgelegt“, stand darin. Dass kein Wort über diese angeblich beschlossenen Maßnahmen mitgeteilt wurde (auch nicht auf Nachfrage), hatte nach Grünen-Auslegung eine einfache Ursache: Man habe sich gar nicht in allen Punkten geeinigt.
Das Ganze zeigt, dass man sich in der SPD gut drei Monate vor der Wahl strategisch neu gegenüber den Grünen positioniert. Dabei fahren die Genossen zweigleisig. Während Tschentscher den Zusammenführer und „Good Guy“ gibt und den Grünen bei ihren zentralen Themen bis über die SPD-Schmerzgrenze entgegenzukommen scheint, laufen sich auch die „Bad Guys“ der Genossen warm.
SPD Hamburg setzt klares Signal
Da wird nicht nur gestreut, die Grünen seien handwerklich schwach, was sie vorlegten, sei unausgegoren und schlecht vorbereitet. Nun ventilierten Genossen über die „Hamburger Morgenpost“ auch gleich mal, dass sie niemals als Juniorpartner der Grünen in eine Koalition gehen würden. Zwar versuchten Spitzengenossen das am Freitag als „Hinterbänkler-Meinung“ abzutun. In Wahrheit aber streuen auch Teile der Führung diese Botschaft seit Langem. Das Signal ist klar: Wer auch in Zukunft eine Zusammenarbeit von SPD und Grünen wolle, dürfe nicht Grün wählen. Sonst liefere er die Stadt denen aus, die unentwegt klug redeten, es, wenn es darauf ankomme, aber „nicht können“, wie Johannes Kahrs gern formuliert.
Der Bundestagsabgeordnete und Chef der SPD Mitte, der ohnedies eine lebenslange Garantie auf die Rolle des „Bad Guy“ gebucht hat, drischt derzeit besonders gerne auf die Grünen ein – wegen deren Umgang mit zwei der eigenen Abgeordneten nach der Bezirksversammlungswahl im Frühjahr in Mitte. Nachdem die Grünen die zwei eigenen Bezirksabgeordneten des Extremismus verdächtigt und sich die Fraktion gespalten hatte, nutzte Stratege Kahrs bekanntlich die Lage und holte die zwei plus vier weitere Ex-Grüne in die SPD und deren Bezirksfraktion. Nun regieren die Genossen mit CDU und FDP – und weder die Abtrünnigen noch die Vertreter der „Deutschland-Koalition“ scheint zu interessieren, dass das vor allem eines bedeutet: einen Verrat an den Wählern.
Wählerwille wird ignoriert
Der Souverän hatte die Grünen klar zur stärksten Fraktion gemacht – ein Auftrag zum Gestalten. Dass der Wählerwille nun ignoriert wird, hat zwar viel mit dem Agieren der Grünen-Spitze zu tun, die die beiden Männer erst aufstellen und wählen ließ, um sie nach der Wahl plötzlich einer keinesfalls ausreichend belegten Nähe zum Islamismus zu verdächtigen. Dass auch weitere vier Abgeordnete die Fraktion verließen, könnte auch mit persönlichen Ambitionen einzelner Akteurinnen und Akteure zu tun haben, die sich in der Grünen-Fraktion nicht befriedigen ließen.
Selbstkritik ist in dieser Sache bis heute von niemandem zu hören: weder von der unprofessionell agierenden Grünen-Führung noch von der SPD, die sich aktiv an der Verkehrung des Wählerwillens beteiligte. Auch die Abgeordneten, die sich im Mai als Grüne wählen ließen, um jetzt SPD-Politik zu machen, haben offenbar kein Problem mit dem Betrug am Wähler und wähnen sich als moralische Sieger der Schlammschlacht.
Strafanzeige gegen die Grünen-Parteichefs
Die wurde in dieser Woche gerade ein weiteres Mal verlängert: Die beiden im Juni des Extremismus verdächtigten Abgeordneten erstatteten „Strafanzeige wegen des Verdachts auf Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ gegen die Grünen-Parteichefs. Strafmaß: bis zu fünf Jahren Haft. Einer der beiden sagte dem Abendblatt, er habe seinen Job durch die aus seiner Sicht haltlosen Vorwürfe verloren. Es habe keinerlei Entschuldigung vonseiten der Grünen gegeben. Daher könne man „das Verhalten der Grünen-Parteispitze nicht ohne Konsequenzen auf sich beruhen lassen“.
Von den Grünen wird die Anzeige dagegen als politisches Manöver im Wahlkampf gewertet – womöglich aus der SPD inspiriert. Schon ein einziges Detail zeige, dass ein anderer Hintergrund unwahrscheinlich sei, heißt es: Strafanzeigen wegen solcher Delikte müssten binnen drei Monaten erstattet werden. Diese Frist sei lange abgelaufen.