Hamburg. Parteitag stellt Landesliste für Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 auf. Kultursenator Carsten Brosda kandidiert zum ersten Mal.

Vor ziemlich genau 30 Jahren, als die Mauer erst bröckelte und dann fiel, war in der Hamburger SPD die Hölle los. Rechte und linke Sozialdemokraten gingen Anfang November 1989 ohne Rücksicht auf Verluste und persönliche Verletzungen aufeinander los, als die Wiederwahl der Landesvorsitzenden Traute Müller – der ersten Frau auf dem Posten – anstand. Die Parteirechte mit dem Ersten Bürgermeister Henning Voscherau an der Spitze forderte schlankweg die Abwahl der aus dem linken Lager stammenden Müller, der sie mangelnde Unterstützung und komplettes Führungsversagen vorwarfen.

Voscherau drohte indirekt sogar mit seinem Rücktritt, falls sich Müller gegen die kurzfristig aufgestellte Gegenkandidatin aus dem Mitte-rechts-Lager, Ex-Justizsenatorin Eva Leithäuser, durchsetzen sollte.

Doch genau so kam es: Traute Müller wurde gewählt – und Voscherau blieb dennoch im Amt. Nicht einmal zwei Jahre später holte er am 2. Juni 1991 mit der SPD bei der Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit und war auf dem Gipfel seiner Macht.

Viele Abgeordnete fürchten um den Verlust ihres Mandats

Vielleicht muss man sich Vorgänge wie diesen in Erinnerung rufen, um zu ermessen, wie sich diese Partei gewandelt hat. Wenn die Sozialdemokraten am heutigen Sonnabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg zusammenkommen, um die Landesliste für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 aufzustellen, dann rechnen die meisten Teilnehmer mit einer Harmonieveranstaltung.

Nun gibt es keine klassischen Flügel mehr in der Partei, die sich bei Personalentscheidungen leidenschaftlich befehden könnten. Andererseits: Viele Abgeordnete müssen mit dem Verlust ihres Mandats rechnen, und Newcomer haben es schwerer, sich durchzusetzen, weil die Umfragewerte für SPD-Verhältnisse in Hamburg schlecht sind und auf ein Ergebnis von 30 Prozent plus hindeuten.

Am 15. Februar 2015 hatte die SPD 45,6 Prozent geholt und stellt seitdem 58 der 121 Abgeordneten der Bürgerschaft. Normalerweise sorgt das drohende Absacken dann bei der Listenaufstellung für erheblichen Druck derjenigen, die sich übergangen fühlen.

Jusos fühlten sich zu weit hinten auf der Liste

Doch gegen die Vorschlagsliste mit den traditionell 60 Namen von Kandidaten, die sich heute in der Landesvertreterversammlung zur Wahl stellen, sind bislang keine Gegenkandidaturen angemeldet. Das spricht dafür, dass Parteichefin Melanie Leonhard und der Landesvorstand die divergierenden (Eigen-) Interessen weitgehend auszugleichen vermochten. Gelungen ist das nicht zuletzt deswegen, weil sich die mächtigen Kreisverbände mit ihren Wünschen durchgesetzt haben.

Peter Ulrich Meyer
Peter Ulrich Meyer leitet das Ressort Landespolitik des Hamburger Abendblatts. © HA / A.Laible | HA / A.Laible

Allerdings: Ganz ohne Knatsch ging es im Vorfeld aber doch nicht ab. Leonhard hatte den Jusos für ihren Vorsitzenden Alexander Mohrenberg Platz 31 angeboten. Das war dem selbstbewussten SPD-Nachwuchs eindeutig zu weit hinten auf der Liste, schließlich spekulierten sie auf einen sichtbareren Platz unter den ersten zehn Kandidaten. Doch die Jusos scheiterten daran, dass die sieben Kreisverbände darauf bestanden, ihre jeweiligen Topkandidaten direkt im Anschluss an das gesetzte Spitzenquartett mit Bürgermeister Peter Tschentscher, Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, Fraktionschef Dirk Kienscherf und Parteichefin Leonhard zu platzieren.

Urs Tabbert verzichtete auf den für ihn geplanten Platz 17

Für Mohrenberg war auch im sogenannten „Kasten“ kein Platz – einer Spezialität der Hamburger Sozialdemokraten. Der Landesvorstand kann auf den Plätzen zwölf bis 14 „eigene“ Kandidaten jenseits des Kreisverbandsproporzes vorschlagen, um politische Schwerpunkte zu setzen. Traditionell geht einer dieser Plätze an einen Gewerkschafter.

Diesmal tritt Jan Koltze, der Bezirksleiter der IG Bergbau, Chemie und Energie (BCE), an, nachdem Ex-Ver.di-Chef Wolfgang Rose nicht mehr kandidiert. Kazim Abaci, Geschäftsführer von Unternehmer ohne Grenzen, und Ernst-Deutsch-Theater-Intendantin Isabella Vértes-Schütter vertreten die Bereiche Migration und Kultur und folgen auf den weiteren Plätzen des „Kastens“. Auch auf den folgenden Plätzen drängten die Kreisverbände wiederum darauf, ihre Kandidaten durchzubringen.

Am Ende half ein scheinbar großzügiges Entgegenkommen Leonhard aus der Patsche: Urs Tabbert, justizpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion aus dem Kreisverband Hamburg-Nord, verzichtete auf den für ihn geplanten Platz 17 und wechselte im Gegenzug nach hinten auf Platz 31. Mohrenberg konnte vorrücken.

Ein nicht ganz uneigennütziger Vorschlag

Ganz so uneigennützig war Tabberts Verzicht allerdings nicht. Platz 31 auf der SPD-Liste gilt als Sonnenplatz: Der Name des Kandidaten steht ganz oben auf der zweiten Seite des SPD-Kandidatenbogens und fällt den Wählerinnen und Wählern relativ leicht ins Auge. Und wer auffällt, wird bei dem ausdifferenzierten Wahlsystem, bei dem Stimmenhäufung auf einen Kandidaten möglich ist, leichter gewählt. Tabbert war 2015 auf Platz 31 schon einmal erfolgreich und zog dank der für ihn abgegebenen Personenstimmen in die Bürgerschaft ein. Vielleicht wussten die Jusos das nicht ...

Leonhard wollte zudem Kultursenator Carsten Brosda als prominentes Zugpferd weit vorne auf der Liste platzieren. Aber auch Brosda, der zum ersten Mal für die Bürgerschaft kandidiert, musste mit einem Platz im Mittelfeld vorliebnehmen, weil die „Kreisfürsten“ nicht bereit waren, einen der vorderen Listenplätze zu räumen. Brosda, der in der Kulturszene einen sehr guten Ruf hat, wird nun auf Rang 19 antreten.

Allerdings ist die Positionierung auf der Liste für Brosda nicht ganz so entscheidend, weil er als Senator bekannter ist als manche Mitbewerber und möglicherweise mehr Personenstimmen auf sich zieht. Das Gleiche dürfte auch für Juso-Chef Mohrenberg gelten, dessen Mitstreiter für ihn engagiert Wahlkampf machen werden.

Mohrenberg wäre einer der jüngsten Abgeordneten

Sollte Mohrenberg in die Bürgerschaft gewählt werden, dürfte er mit seinen 24 Jahren einer der jüngsten Abgeordneten sein. Obwohl er erst seit gut einem Jahr Juso-Chef ist, hat er bereits Kostproben seines politischen Talents der Zuspitzung gegeben. Im Zusammenhang mit der Absage eines Auftritts des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner in Räumen der Universität hatte Mohrenberg Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) „Fehler in der Kommunikation und fehlende Kontrolle“ vorgeworfen.

„Wenn Katharina Fegebank schon mit einer kleinen Krise auf Papier überfordert ist, was passiert, wenn in Wilhelmsburg die Deiche brechen?“, fragte der Juso-Chef provokativ. Es gibt nicht viele in der bislang vornehm-zurückhaltenden SPD, die Fegebank, Koalitionspartnerin und Herausforderin von Bürgermeister Tschen­tscher, so offen angehen.

Dora Heyenn auf dem letzten Platz der SPD-Vorschlagsliste

Mohrenberg schont auch die eigenen Leute bisweilen nicht. Auch nicht den Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert. Jener Kühnert, ein politisches Schwergewicht in der SPD, hatte im Zuge der Kür der SPD-Bundesvorsitzenden zu Beginn der Regionalkonferenzen eine Wahlempfehlung zugunsten von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken abgegeben. „Wir erwarten mehr Respekt vor der parteiinternen Debatte und Willensbildung“, beschied der Hamburger Juso-Landeschef den Bundesvorsitzenden. Sollte Mohrenberg in die Bürgerschaft einziehen, könnte es bei der SPD etwas temperamentvoller zugehen.

Auf dem letzten Platz der SPD-Vorschlagsliste steht der Name Dora He­yenn, die 2015 noch auf Platz eins der Linken angetreten war. Heyenn überwarf sich bald nach der Wahl mit ihren „Parteifreunden“, trat aus der Fraktion aus, verließ Die Linke schließlich und wurde wieder Mitglied der SPD, die sie einst wegen der Agenda-Politik von Gerhard Schröder verlassen hatte. Listenplatz 60 gilt als besonders günstig, weil er vielen ins Auge fällt. Isabella Vértes-Schütter war 2011 von dort überraschend der Einzug in die Bürgerschaft gelungen.