Hamburg. Wissenschaftssenatorin greift nach der Macht in Hamburg. Manche Genossen wünschen sich jetzt einen resoluteren Umgang mit den Grünen.

Es ist ja auch wirklich nicht einfach. Da haben Sozialdemokraten und Grüne seit 2015 in Hamburg alles in allem recht harmonisch gemeinsam regiert. Die persönlichen Verhältnisse über die Parteigrenzen hinweg sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ausgesprochen kollegial bis freundschaftlich. Doch nun ist die politische Tatsache, dass die beiden Regierungspartner die Hauptkonkurrenten bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 sind, höchst offiziell und gewissermaßen in Stein gemeißelt: Mit der Ankündigung der Grünen-Spitzenkandidatin und Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank, Erste Bürgermeisterin werden zu wollen und damit Amtsinhaber Peter Tschentscher (SPD) herauszufordern, ist seit dem Wochenende der direkte Kampf um das Spitzenamt gut viereinhalb Monate vor der Wahl eröffnet.

Das erste Aufeinandertreffen der roten und grünen Kombattanten nach der nicht wirklich überraschenden Ansage der grünen Frontfrau fand in der regulären Senatssitzung am Dienstag statt. Teilnehmer berichten von einer sachliche Atmosphäre, bei der das Thema grüne Bürgermeisterkandidatur keine Rolle gespielt habe. Vielleicht traf es sich dennoch ganz gut, dass Tschentscher an der Sitzung nicht teilnahm und stattdessen Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) die Geschäfte führte. Tschentscher war in Berlin beim Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin.

Akteure bemühen sich auffällig um Normalität

Dass es dennoch kein ganz gewöhnlicher Dienstag war, zeigte sich mittags in der Landespressekonferenz. Und wie so häufig in der Politik offenbarten sich die atmosphärischen Veränderungen in Kleinigkeiten. In diesem Fall bemühten sich die Akteure auffällig um Normalität. Man stellte Nähe zur Schau, um ja keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass nun Zwietracht im Senat regiere.

Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) sprach bei der Vorstellung des rot-grünen Plans zum Ausbau der Wohnheimplätze für Studierende und Auszubildende Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) vertraut mit dem Vornamen an, was vor laufenden Kameras eher unüblich ist. Und Dressel seinerseits sprach kurz darauf von „Jens“ und meinte damit den grünen Umweltsenator Jens Kerstan, der neben ihm saß, als es um die Verlängerung des Erbbaurechtsvertrags mit dem Flughafen und neue Vereinbarungen zum Lärmschutz ging. Dass in Wahrheit der Machtkampf längst eröffnet ist, machte Kerstan in bewährter Manier schnell deutlich. Auf die Frage, ob ihm die Vereinbarungen zum Lärmschutz in Sachen Flugverkehr denn ausreichten, sagte der Grüne: „Was wir vorhaben, werden wir im Wahlkampf deutlich machen.“ Es klang, als wolle Kerstan sagen, dass ihm der aktuelle Senatsbeschluss nicht allzu viel bedeute.

Die SPD war von Fegebanks Ankündigung nicht geschockt

Dass die Sozialdemokraten von Fegebanks Ankündigung nicht geschockt waren, weil sie ohnehin damit gerechnet hatten, liegt auf der Hand. Dennoch ist es verblüffend, wie passiv der nach wie vor größere Regierungspartner auf die Herausforderung des kleineren reagiert, besser gesagt: Die SPD reagiert gar nicht. Weder Tschentscher noch Parteichefin Melanie Leonhard meldeten sich zu Wort. Hinter vorgehaltener Hand sagten einige Spitzengenossen, dass es gut sei, dass Fegebanks Anspruch auf das Spitzenamt im Senat nun offiziell sei. „Jetzt muss man nicht mehr um den rosa Elefanten im Raum herumschreiten“, lautete ein Kommentar.

Mancher Sozialdemokrat tröstet sich mit dem Hinweis auf andere Bundesländer. Überall, wo die Grünen ohnehin stark seien, läge das Thema grüner Ministerpräsident angesichts des Umfragehochs auf dem Tisch. Die SPD-Strategen in der Parteizentrale Kurt-Schumacher-Haus wissen allerdings, dass es bei etlichen Sozialdemokraten noch kein eingeübtes Verhalten ist, die Grünen als echte Konkurrenz auf Augenhöhe zu betrachten. Besonders deutlich wurde das in Eimsbüttel, wo die Grünen bei den Bezirksversammlungswahlen stärkste Kraft geworden sind und die SPD nach Jahrzehnten in dieser Rolle abgelöst haben.

Bald auch in Hamburg-Nord ein Grüner an der Spitze der Verwaltung?

Die Sozialdemokraten konnten oder wollten nicht akzeptieren, dass die Grünen ziemlich forsch Anspruch darauf erhoben, den Posten des Bezirksamtsleiters mit einem Parteifreund oder einer Parteifreundin zu besetzen und Kay Gätgens (SPD) damit aus dem Amt zu jagen. Da schwenkten die Grünen flugs zur CDU um, die mit der designierten Bezirksamtschefin, der Biologin Katja Husen (Grüne), offensichtlich kein Problem haben. Nach 25 Jahren Rot-Grün in Eimsbüttel war das für Sozialdemokraten offenbar schwer auszuhalten.

In der Bezirksversammlung Altona ist mit der Ex-Bürgerschaftsabgeordneten Stefanie von Berg bereits eine Grüne zur Bezirksamtsleiterin gewählt worden. Auch in Hamburg-Nord wird wohl bald ein Grüner an der Spitze der Verwaltung stehen. In beiden Bezirken läuft die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse allerdings wesentlich geräuschloser als in Eimsbüttel. Nur in Hamburg-Mitte erweist sich die Lage derzeit noch als kompliziert und unübersichtlich (siehe Text unten auf der Seite).

In der SPD wird der Ruf nach der Abteilung Attacke lauter

Dass die SPD-Spitze das Gelassenheits-Mantra weiter befolgt und in Ruhe verharrt, stößt in Teilen der Partei, aber gerade auch in der Bürgerschaftsfraktion auf Kritik. Viele der 59 SPD-Abgeordneten fürchten zurecht um ihr Mandat und rechnen schon mal aus, bei welchem Ergebnis wie viele Sitze verloren gehen. Im Februar 2015 war die SPD auf 45,6 Prozent der Stimmen gekommen. In den Umfragen der zurückliegenden Monate sind es nur noch rund 30 Prozent.

„Wir brauchen im Führungsteam auch einen, der für die Abteilung Attacke zuständig ist“, sagt ein SPD-Abgeordneter. Vielen leuchtet ein, dass der Bürgermeister nicht derjenige sein kann. Es entspricht weder Tschentschers politischem Profil noch seinem Charakter oder seiner Rolle als Senatspräsident. Doch auch sonst ist niemand in Sicht, der den gelegentlichen Nadelstichen der Grünen öffentlich Paroli bieten könnte. Weder Finanzsenator Dressel noch Parteichefin und Sozialsenatorin Leonhard sind für diese Rolle prädestiniert. Und auch Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Kienscherf achtet sehr auf den Gleichklang mit seinem Pendant bei den Grünen, Anjes Tjarks.

Klimaschutz: SPD bleibt blass gegenüber den Grünen

In der aktuell vielleicht wichtigsten politischen Debatte, in der es um wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz geht, bleibt die SPD aus Sicht mancher Genossen ziemlich blass gegenüber den Grünen, denen es natürlich leichtfällt, auf der Fridays-for-Future-Welle zu reiten. Zwar haben die SPD und gerade auch Tschentscher persönlich deutlich gemacht, dass der Klimaschutz ein zentrales politisches Thema ist. „Aber was bedeutet das für uns genau? Diese Frage wird nicht ernsthaft gestellt“, sagt ein Abgeordneter.

Vor knapp neun Jahren konnte die SPD aus der Opposition heraus mit dem Spitzenkandidaten Olaf Scholz die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft erringen. Scholz gewann damals nicht zuletzt mit dem Versprechen des „ordentlichen Regierens“. Er setzte sich damit nach Meinung vieler Hamburger glaubhaft von einer in der Regierungsverantwortung ausgelaugten und zunehmend chaotischen CDU ab.

SPD wird wohl Fahrplan zur Bürgerschaftswahl beibehalten

Angesichts des Megatrends Klimaschutz mit seinem enormen emotionalen Potenzial reiche das Versprechen des „ordentlichen Regierens“ nicht mehr aus, sorgen sich manche Sozialdemokraten. Da die verbleibende Zeit bis zur Wahl immer knapper wird, werden die Umschreibungen deutlicher. Schon ist von „Angststarre“ die Rede, in der sich die SPD befinde. „Es hat noch kein Kaninchen überlebt, das vor der Schlange sitzen geblieben ist“, sagt einer.

Trotz der Bedenken in den eigenen Reihen wird es wohl dabei bleiben, dass die SPD ihren Fahrplan zur Bürgerschaftswahl beibehält. Und das heißt unter anderem, keine Profilierung auf Kosten des Regierungspartners und Hauptgegners, der Grünen eben. Mancher Spitzengenosse hofft darauf, dass offenbar wird, dass die Grünen thematisch nicht so breit aufgestellt sind wie die SPD. „Wenn man Bürgermeister-Kandidatin ist, muss man auch Bürgermeister-Fragen beantworten. Da reicht die gewinnende Erscheinung allein nicht mehr aus“, ist aus der SPD-Führungsetage zu hören. Da ist sie dann doch, die kleine Spitze gegen Katharina Fegebank.