Hamburg. Hamburgs Bürgermeister setzt beim Klimaschutz auf technologischen Fortschritt und spricht sich gegen eine Verbotspolitik aus.

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht den Klimaschutz neben Digitalisierung und der Alterung der Gesellschaft als den „Megatrend“ unserer Zeit. In seiner Rede vor dem Übersee-Club am Dienstagabend bezeichnete der Senatschef das Phänomen aber keineswegs nur als Herausforderung, sondern ebenso als Chance für die Wirtschaft: „Klimaschutz ist keine ökologische Wunschvorstellung“, sagte Tschentscher vor rund 500 Zuhörern in der Bucerius Law School (Neustadt). „Er ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit, die mit großen Chancen auf eine hohe Wertschöpfung verbunden ist.“

Der Bürgermeister forderte die Industrie in Hamburg auf, sich der Herausforderung zu stellen und bot ihr sogar ein „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ an – nach dem Vorbild des Bündnisses für das Wohnen, in dem Senat, Bezirke und Wohnungswirtschaft gemeinsam Zehntausende neuer Wohnungen errichtet haben.

Politik und Unternehmen sollen zusammenarbeiten

Politik und Unternehmen in der Stadt sollten sich zusammensetzen, „um praktische Maßnahmen zur Überwindung von Investitionshemmnissen, Verbesserungen des regulatorischen Rahmens und neue Projekt für den Klimaschutz zu entwickeln“, so der Bürgermeister.

„Wirksamer Klimaschutz ist nicht gegen, sondern nur mit der Industrie gemeinsam umzusetzen“, sagte Tschentscher und betonte: „Ich sehe die Industrie beim Klimaschutz nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung.“

Ausführlich zählte er in seiner rund 45-minütigen Rede auf, welche Fortschritte Hamburg auf diesem Gebiet bereits gemacht habe und welche Herausforderungen noch gelöst werden müssten. So gelte die Hansestadt als das „europäische Silicon Valley“ der zivilen Luftfahrtindustrie, und diese reduziere systematisch den Energiebedarf der Flugzeuge.

Hamburg soll Strombedarf bis 2035 komplett aus regenerativen Energien decken

Das Hamburger Mercedes-Benz-Werk habe sich zum Ziel gesetzt, 2022 vollkommen klimaneutral zu produzieren, und die gesamte östliche HafenCity werde mit industrieller Abwärme aus der Kupferproduktion von Aurubis beheizt. Aurubis und weitere Unternehmen der Grundstoffindustrie arbeiteten daran, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren.

Zudem wollten Hamburg und Schleswig-Holstein bis 2035 den gesamten Strombedarf beider Länder zu 100 Prozent aus regenerativen Energien gewinnen, und Hamburg werde nach dem Kauf des Fernwärmenetzes dieses so umbauen, dass jährlich rund 350.000 Tonnen CO2 weniger anfallen.

Tschentscher offenbar gegen Grünen-Strategie

„Das sind Maßnahmen, die mir gefallen“, so Tschentscher. Ebenfalls gemeinsam mit Schleswig-Holstein plane Hamburg die Norddeutsche Energiewende – NEW 4.0. Ziel sei es, die Hansestadt mit Windkraft aus dem Norden zu versorgen – am Strommarkt, bei der Erzeugung von Gebäudewärme, von Kraftstoffen und nachhaltiger Mobilität.

Ohne den Koalitionspartner direkt zu erwähnen, sprach sich der Bürgermeister gegen das aktuelle Strategiepapier prominenter Grüner – unter ihnen die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank – aus, Hamburg bis 2050 „klimaneutral“ zu machen. „Es kommt nicht darauf an, immer neue Forderungen zur CO2-Reduzierung aufzusatteln und diese mit apokalyptischen Szenarien zu untermauern“, sagte Tschentscher. „Wir haben ehrgeizige Ziele im Hamburger Klimaplan und werden diese fortschreiben.“

Hamburg verfehlt ursprüngliches CO2-Ziel

Dabei verwies der SPD-Politiker zwar darauf, dass Deutschland seine Klimaschutzziele nicht erreiche, erwähnte aber nicht, dass auch Hamburg das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 und bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren, nach aktuellem Stand verfehlen wird. Auch Hamburg wird seine Anstrengungen also verstärken müssen.

Um beim Klimaschutz noch schneller voranzukommen, definierte Tschentscher sieben Handlungsfelder. „An erster Stelle steht die weitere Förderung von Wissenschaft und Forschung im Bereich der Umwelttechnologien“, sagte der Bürgermeister. Im Zentrum der Energiewende stehe für ihn zweitens elektrischer Strom, der sich zwar aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft gewinnen lasse und zur Herstellung von Wasserstoff, Flüssigerdgas (LNG) oder Kerosin genutzt werden könne.

Doch beim Transport hapere es: „Um die vorhandenen natürlichen Energiequellen besser nutzen zu können, muss der Bund den Ausbau der Übertragungsnetze in Deutschland beschleunigen. Wir benötigen nach den aktuellen Planungen rund 7700 Kilometer Hochspannungs-Übertragungsleitungen in Deutschland, von denen erst 950 Kilometer realisiert sind.“

„Hemmnisse“ für den sinnvollen Einsatz von Strom, etwa bei Landstrom für Schiffe im Hafen, „müssen wir beseitigen“, so der Bürgermeister. Bei der Wärmeversorgung von Gebäuden plädierte Tschentscher dafür, einen gewissen Energiebedarf zu akzeptieren, und diesen dann klimaneutral zu decken.

Klimaschutz ist auch eine nationale Herausforderung

Zwar stünde im Prinzip genügend Energie zur Verfügung aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft weltweit zur Verfügung. „Es geht darum, die Technologien weiterzuentwickeln, in einen industriellen Maßstab zu bringen und diese auch wirtschaftlich zu nutzen“, sagte Tschentscher. Ausdrücklich definierte der Bürgermeister die Aufgaben als nationale Herausforderung: „Die Nationen, die bei der Entwicklung klimafreundlicher Technologien erfolgreich sind, werden wirtschaftlich gewinnen, die anderen zurückfallen.“

Für Deutschland bestehe das Risiko, den technologischen Vorsprung zu verlieren. „Aber mit der richtigen Strategie haben wir die Chance, den technologischen Vorsprung zu halten, ihn sogar auszubauen und damit die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand für die kommenden Generationen zu sichern“, sagte der Senatschef, der Hamburg in einer Vorreiterrolle sieht: „Die großen Metropolen sind nicht nur die politischen und ökonomischen Zentren ihrer Nationalstaaten, sie haben auch die Kraft und die moralische Verpflichtung, auf die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts die richtigen Antworten zu geben.“

„Verbote sind nicht der Kern der Lösung“

Tschentscher erteilte einer Verbotspolitik eine ziemlich klare Absage. „Verbote, Beschränkungen und Regulierungen sind nicht der Kern der Lösung. Ich bin sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Leben weiterhin frei gestalten wollen und nicht akzeptieren, wenn die Politik ihnen dazu Vorschriften macht“, sagte Tschentscher.

Reden Hamburger Bürgermeister vor dem Übersee-Club haben eine lange Tradition. In den 80er-Jahren nutzte der damalige Senatspräsident Klaus von Dohnanyi (SPD) gleich dreimal das Forum, um seine Visionen für die Entwicklung der Stadt und das „Unternehmen Hamburg“ darzulegen. Henning Voscherau (SPD) wählte 1997 diesen Rahmen, um seine Pläne für die HafenCity vorzustellen. Und Ole von Beust (CDU) ließ 2003 vor dem Übersee-Club erstmals durchblicken, dass er sich nach anfänglicher Ablehnung doch ein neues Konzerthaus im Hafen vorstellen könne. Auch Olaf Scholz (SPD) hielt zwei Reden vor dem Übersee-Club, zuletzt 2017 zur Bedeutung der Wissenschaft für die Zukunft Hamburgs.