Hamburg. Im Abendblatt-Interview äußert sich der Bürgermeister zum Umfrage-Absturz, zur Koalition und zu einem Jahrhundertprojekt.
Seit knapp zehn Monaten ist er im Amt, in einem Jahr stellt er sich zur Wiederwahl: Anlass für eine Zwischenbilanz mit Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). In den Räumen des Landesbetriebs Immobilienmanagement und Grundvermögen am Millerntorplatz ging es – bei tollem Blick auf Hamburg – auch um die aktuelle Umfrage im Auftrag des Abendblatts.
Herr Bürgermeister, nachdem Sie bei Amtsbeginn noch knapp 40 Prozent der Hamburger unbekannt waren, kennen Sie unserer Umfrage zufolge mittlerweile 85 Prozent der Hamburger. Ist das viel oder wenig?
Peter Tschentscher: Das ist viel. Ich habe in den letzten Monaten bewusst viele öffentliche Veranstaltungen besucht und mich dabei als neuer Bürgermeister vorgestellt. Dabei habe ich auch eine gute Rückmeldung bekommen, wie die Menschen unsere Stadt sehen.
Und: Wie fallen die Reaktionen aus?
Tschentscher: Mir gegenüber sehr positiv, auch bei denen, die ich zufällig treffe. Die Hamburger sind ja dezent und höflich. Sie sprechen ihre Themen und Probleme an, sind dabei aber interessiert und freundlich.
Gehen Sie noch selbst am Wochenende zum Bäcker?
Tschentscher: Ja, auch zur Reinigung und zum Bioladen. Aber dort wurde ich nur zu Anfang auf das neue Amt angesprochen. Das ist jetzt nichts Besonderes mehr.
Wie wichtig ist Bekanntheit für Sie?
Tschentscher: Für einen Bürgermeister, der politisch wirken will, ist es natürlich wichtig, bekannt zu sein, um Botschaften vermitteln zu können. Dafür sind 85 Prozent ein guter Wert. Man muss ja auch akzeptieren, wenn sich Menschen nicht besonders für Politik interessieren. Mindestens so wichtig finde ich allerdings, dass 51 Prozent der Befragten mit meiner Arbeit zufrieden sind. Das ist im Vergleich mit anderen Bürgermeistern großer Städte ein guter Wert. Im August gab es eine Umfrage zum Ansehen der Bürgermeister der größten deutschen Städte. Da lag ich schon mit 44 Prozent auf Platz sieben.
Als Sie vor zehn Monaten Bürgermeister wurden, war das ein Kaltstart – mitten in der Wahlperiode. Dazu traten Sie das Erbe von Olaf Scholz an, was nicht einfach war. Wirkt das noch nach, oder ist das alles abgehakt?
Tschentscher: Das war eine schwierige Lage, weil der Wechsel im Bürgermeisteramt zu diesem Zeitpunkt nicht geplant war. Zudem gab es nach dem G-20-Gipfel eine Verunsicherung in der Stadt. Es gab Kritik daran, wie Politik gemacht wurde und dass den Menschen zu wenig zugehört wurde. Ein Amtswechsel im laufenden Betrieb ist immer ein Risiko. Wichtige Projekte müssen ja weiterlaufen: Doppelhaushalt aufstellen, Elbvertiefung beginnen, HSH Nordbank verkaufen, Fernwärmenetz zurückkaufen – da durfte nichts schiefgehen. Ehrlich gesagt: Mein Ziel war, zunächst einmal keine Fehler zu machen. Das ist gelungen.
Also ist der Start abgehakt?
Tschentscher: Wenn Sie so wollen: Ja. Die ersten Wochen musste ich mich erst daran gewöhnen, Bürgermeister zu sein. Jetzt mache ich das „gefühlt“ schon Jahre – dabei ist noch nicht einmal ein Jahr um.
In Hamburg kommt die SPD auf 30 Prozent, doppelt so viel wie im Bund, aber 15 Punkte weniger als bei der letzten Bürgerschaftswahl. Macht Ihnen das Sorgen?
Tschentscher: Deutschlandweit ist die SPD derzeit bei Wahlen und Umfragen in einer schwierigen Lage. Es war nicht zu erwarten, dass dieser Trend an Hamburg vorbeigeht. Die Arbeit des Senats hat großen Zuspruch, und die SPD steht in Hamburg weiterhin deutlich besser da als in allen anderen Ländern. Das ist ermutigend. Insofern bin ich optimistisch, dass wir klar stärkste Kraft bleiben.
Muss sich die SPD stärker profilieren, auch gegen die starken Grünen?
Tschentscher: Parteien sollten sich nicht gegeneinander profilieren. Es hat niemand ein Thema für sich gepachtet. Als Regierungspartei muss die SPD den Anspruch haben, in allen Themen die richtigen Weichen zu stellen – nicht nur in solchen, die für die nächste Wahl wichtig sind. Nehmen Sie die Wissenschaftsstrategie: Das ist vielleicht kein Wahlkampfschlager, aber trotzdem enorm wichtig für Hamburg. Wir müssen unsere Ziele benennen, den Kurs halten und vernünftig handeln, auch wenn unpopuläre Entscheidungen nötig sind.
Welche zum Beispiel?
Tschentscher: Nehmen Sie die Baustellen. Ich weiß, dass es nervt, wenn eine Straße gesperrt ist. Aber wir müssen die Stadt in Ordnung bringen. Die Sanierung unserer Straßen und Siele, der Bau von Wohnungen und die Verlegung von Glasfaserkabeln – das muss weitergehen. Um das zu verbessern, führen wir jetzt eine IT-gestützte Koordinierung ein, die alles einbezieht. Wir dürfen das Notwendige nicht unterlassen, sondern müssen es so machen, wie es am besten gelingt.
Wie passt Ihre Aussage, sich nicht auf Kosten der Grünen profilieren zu wollen, zu der Ansage von SPD-Chefin Melanie Leonhard, ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf zu gehen? Das ist ja schon eine parteipolitische Abgrenzung ...
Tschentscher: … aber keine Profilierung gegen andere. Wir als Hamburger SPD haben den Anspruch, diese Stadt gut zu regieren. Dass wir das allein können, haben wir von 2011 bis 2015 bewiesen. Es ist doch klar, dass wir uns um ein möglichst starkes Mandat bemühen. Und wenn es nicht allein reicht, suchen wir uns einen Partner. So haben wir es auch vor den Wahlen 2011 und 2015 gesagt.
Aber genau diese fast selbstverständliche Rolle als stärkste Kraft machen Ihnen jetzt die Grünen streitig. Sie liegen nur noch sechs Punkte hinter der SPD.
Tschentscher: Das ist eine aktuelle Stimmungslage, mit einem starken Einfluss des Bundestrends. Die beiden Senatsparteien kommen zusammen auf 54 Prozent. Das ist annähernd so viel wie zu Beginn der Koalition vor vier Jahren. Welche andere Landesregierung kann das von sich behaupten?
Macht Ihnen der Höhenflug der Grünen Angst?
Tschentscher: Nein. Der Wahlkampf kommt erst noch. Dafür haben wir gute Themen und gute Argumente.
Anders gefragt: Sind die Grünen so eine Art neue Wohlfühlpartei, während die SPD für die Baustellen bestraft wird?
Tschentscher: (lächelt) Das höre ich oft. Wir sind der größere Koalitionspartner, bohren die dicken Bretter und kümmern uns um die grundlegenden Themen: Wirtschaft, innere Sicherheit, Finanzen, Wohnungsbau. Und wir halten das Schiff insgesamt auf Kurs. Aber letztlich ist das Regierungsgeschäft Teamwork. Ich freue mich über den großen Zuspruch für den Senat als Ganzes.
Verkehr ist für die Hamburger mit Abstand das wichtigste Thema, noch vor Wohnen. Überrascht Sie das?
Tschentscher: Nein. Das war bei jedem Stadtteilgespräch ein großes Thema – mit vielen Wünschen, Kritik und Verbesserungsvorschlägen.
Und was entgegnen Sie den Menschen?
Tschentscher: Dass in großen Metropolen wie Hamburg die schienengebundenen Schnellbahnsysteme – also U- und S-Bahnen – die leistungsfähigsten Verkehrsmittel sind. Wir verbessern daher das Angebot an Bussen und Bahnen, bauen neue U- und S-Bahn-Stationen und eine völlig neue U 5. Zusätzlich schaffen wir neue Radwege. Zum Fahrplanwechsel im Dezember haben wir die Kapazität von Bussen und Bahnen insgesamt um 20 Prozent gesteigert, indem wir längere Fahrzeuge einsetzen und diese in den Hauptverkehrszeiten häufiger fahren.
Stichwort U 5: Wann wird die Koalition die Trasse festlegen; und wann rechnen Sie mit einem Baubeginn?
Tschentscher: Wir haben die Machbarkeitsuntersuchung abgeschlossen und wissen damit, in welchen Varianten die U 5 verlaufen kann, wo Haltestellen technisch machbar sind. Mit welchem Verlauf und welchen Haltestellen sich die U 5 am besten in die Stadt einfügt, wird jetzt in einem öffentlichen Beteiligungsverfahren erörtert.
Sie hatten in Ihrer Regierungserklärung im April gesagt, die U 5 werde über den Siemersplatz in Lokstedt führen. Bleibt es dabei?
Tschentscher: Ja. Die U 5 soll nicht – wie zunächst vorgesehen – am Siemersplatz enden, sondern über diesen hinaus in den Westen weitergebaut werden. Die möglichen Varianten dazu sind in der Machbarkeitsstudie dargestellt. In jedem Fall wird der Verkehrsraum Siemersplatz an die U 5 angeschlossen.
Und der Baubeginn?
Tschentscher: Sobald wie möglich. Der Senat hat bisher keinen konkreten Baubeginn festgelegt. Das ist ein Jahrhundertbauwerk. Da geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Sobald die Planung steht, geht der Bau los.
Trotz der hohen Zahl von Baugenehmigungen – gut 11.000 waren es im vergangenen Jahr – gibt es wenig Entspannung am Wohnungsmarkt. Woran liegt das?
Tschentscher: Im Vergleich mit anderen Städten wie München, Frankfurt oder Berlin ist die Lage bei uns bereits entspannter. Durch den zusätzlichen Wohnraum steigen die Mieten nicht mehr so stark wie sonst in Deutschland. Der durchschnittliche Mietenanstieg war in den letzten Jahren in München doppelt so hoch wie in Hamburg. Bei uns liegt die durchschnittliche Miete bei 8,50 Euro pro Quadratmeter, in München bei 11,20 Euro. Ohne das 2011 begonnene Wohnungsbauprogramm hätten wir jetzt einen echten Wohnungsnotstand, denn es gab in den Jahren zuvor große Versäumnisse.
Wie lange lässt sich das hohe Bautempo durchhalten? Viele Bürger sorgen sich um den Enthalt von Grünflächen.
Tschentscher: Bei jedem großen Bauprojekt entstehen neue Grünanlagen, und wir schaffen auch unabhängig davon neue Grünverbindungen. Ich bin überzeugt, dass Hamburg wachsen kann, ohne seine Struktur und den Charakter als grüne Stadt zu verlieren. Es geht nicht darum, die Einwohnerzahl zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Selbst ein Zuwachs von 180.000 Einwohnern wäre ein Wachstum um zehn Prozent. Es geht also um ein sehr begrenztes, mäßiges Wachstum. Das brauchen wir allerdings, um das Wohnen in Hamburg bezahlbar zu machen und niemanden aus der Stadt zu drängen. Das dafür nötige Wachstum ist gut machbar, wenn wir es richtig gestalten. Denken Sie daran: Hamburg ist fast so groß wie Berlin, hat aber nur halb so viele Einwohner.
Welches Wahlziel haben Sie für die Bezirkswahlen im Mai?
Tschentscher: Es wäre gut, wenn die SPD in allen Bezirken stärkste Kraft bleibt. Das ist auch für ganz Hamburg wichtig. Senat und Bezirke müssen zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen, sonst gibt es Blockaden. Das ist in den letzten Jahren gut gelungen.
Und wenn die Grünen in dem einen oder anderen Bezirk vor der SPD liegen sollten: Wäre ein grüner Bezirksamtsleiter eine Blockade?
Tschentscher: (lacht) Es ist die letzten sieben Jahre jedenfalls gut gelaufen. Die SPD ist als Hamburg-Partei in allen Bezirken und Stadtteilen gut verankert und macht dort gute Arbeit.
Was ist die wichtigste Botschaft, mit der Sie sich bei den Hamburgern um die Wiederwahl in gut einem Jahr bewerben wollen?
Tschentscher: Dass wir mit Zuversicht auf die kommenden Jahre blicken können. Es gibt zu viel Skepsis und Befürchtungen. Ich bin überzeugt: Wir haben große Chancen und Stärken in Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft. Wir haben innovative Unternehmen, viele engagierte Menschen und großen Spirit in Sport und Kultur. Wenn eine Stadt die Herausforderungen der Zukunft gut bewältigen kann, dann ist es Hamburg!
Wir beobachten, dass Ihre Frau bei Ihnen auch eine öffentliche Rolle spielt – im Gegensatz zu Ihren Vorgängern. Ist Ihre Frau als First Lady Teil Ihrer Politik?
Tschentscher: Sie beteiligt sich nicht an der Politik, interessiert sich aber für die Stadt und hat mich auch früher als Senator bei vielen Anlässen begleitet. Sie unterstützt mich, wenn es nötig ist. Als Bürgermeister hat man von morgens bis abends Termine. Da ist es gut, wenn wir einiges auch gemeinsam machen können.