Hamburg. Eine Anklage, ein Verfahren eingestellt, politische Folgen: Was über die Ermittlungen zum Konzert der Rolling Stones bekannt ist.

Was war das für ein rauschendes, rockiges Fest! 82.000 Besucher feierten beim Konzert der Rolling Stones am 9. September 2017 im Hamburger Stadtpark die wohl dienstälteste Rockband der Welt. Doch für etliche städtische Beamte und Behördenmitarbeiter endete das Mega-Ereignis mit einem veritablen Kater: Seit inzwischen 14 Monaten beschäftigt die Affäre um die Frei- und die leicht ermäßigten Kaufkarten für das Stones-Konzert die Hamburger Justiz. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was wird den Beschuldigten vorgeworfen?

Bestechung, Bestechlichkeit und Vorteilsannahme. Der Hauptvorwurf richtet sich gegen den inzwischen pensionierten Chef des Bezirksamts Nord, Harald Rösler (SPD). Sein Amt hatte damals die Genehmigung für das Stones-Konzert im Stadtpark erteilt. Rösler soll im Gegenzug 100 Freikarten für das Bezirksamt und 300 Vorzugskarten vom Konzertveranstalter FKP Scorpio verlangt haben. Die Freikarten sollen zu einem großen Teil Bezirksamtsmitarbeiter erhalten haben. Gegen Verantwortliche von Scorpio wiederum wird wegen Bestechung ermittelt.

Der ehemalige Bezirksamtsleiter Harald Rösler.
Der ehemalige Bezirksamtsleiter Harald Rösler. © Klaus Bodig

In weiteren Fällen geht die Staatsanwaltschaft dem Verdacht der Vorteilsannahme nach. Dabei wird geprüft, ob Amtsträger ihre Position ausgenutzt haben, um an leicht vergünstigte Konzertkarten zu kommen. Ein Vorteil könnte aber auch schon darin bestanden haben, dass es sich bei den von Rösler mutmaßlich erlangten Kaufkarten um Vorzugskarten handelte.

Das heißt: Die Begünstigten mussten sich nicht in einer Schlange anstellen und keine Tickets auf dem Schwarzmarkt erwerben – dort wurden die Stones-Karten für bis zu 900 Euro gehandelt. Wichtig: Beamte dürfen nach Paragraf 74 des Hamburgischen Beamtengesetzes, selbst im Ruhestand, keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf das Amt annehmen. Ausnahmen müssen von der vorgesetzten Behörde genehmigt werden.

Es gibt einige wenige Ausnahmen, die sogenannten „geringwertigen Aufmerksamkeiten“ , beispielsweise „Massenwerbeartikel wie Kugelschreiber, Kalender, Schreibblocks“. Ganz sicher nicht dazu zählen Freikarten für ein Konzert und wohl auch nicht Kaufkarten, da den Käufern durch den exklusiven Zugriff auf die dem regulären Verkauf entzogenen Eintrittskarten ein immaterieller Vorteil erwachsen sein könnte.

Im Video: Rolling Stones in Hamburg

Gegen wen wird ermittelt?

Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 22 Personen. Dabei handelt es sich unter anderem um die designierte Nord-Bezirksamtsleiterin Yvonne Nische, Röslers Nachfolgerin (Vorteilsannahme- und gewährung). Sie soll Freikarten unberechtigt angenommen und weitergegeben haben. Geprüft wird zudem, ob sich die Staatsräte Andreas Rieckhof (SPD, Verkehrsbehörde) und Matthias Kock (parteilos, Stadtentwicklungsbehörde) wegen Vorteilsannahme strafbar gemacht haben.

Yvonne Nische, designierte neue Bezirksamtsleiterin in Hamburg Nord.
Yvonne Nische, designierte neue Bezirksamtsleiterin in Hamburg Nord. © HA | Andreas Laible

Sie sollen allerdings keine Frei-, sondern „nur“ Vorzugskarten zu einem möglicherweise leicht vergünstigten Preis (ohne Gebühren) erworben haben. Unter diesem Verdacht stehen auch sieben hochrangige Angestellte öffentlicher Unternehmen, darunter der Flughafen, die Saga-Unternehmensgruppe und die Hamburger Friedhöfe. Außerdem sind vier Disziplinarverfahren gegen Behördenmitarbeiter durch Vorgesetzte eingeleitet worden.

Was droht den Beschuldigten?

Das hängt vom Vorwurf und von der Position ab. Hochrangige Amtsträger müssen schon allein aus generalpräventiven Gründen mit einer empfindlicheren Strafe rechnen als Subalterne. So ist beispielsweise bei den Staatsräten, sofern ein strafbares Verhalten aus Sicht der Staatsanwaltschaft und dann der Richter nachgewiesen ist, eine Verurteilung auf dem Strafbefehlswege denkbar. Die Strafe wird sich mit Sicherheit auf eine Geldstrafe beschränken.

Da die Höhe der Tagessätze vom Einkommen bzw. den Bezügen der Beschuldigten abhängt, kann diese aber auch bei einer Verurteilung zu wenigen Tagessätzen sehr hoch ausfallen. Bei einem Strafbefehl über 30 Tagessätze beispielsweise betrüge die Geldstrafe etwa ein Monatsgehalt – ein Staatsrat erhält monatlich rund 12.000 Euro. Sollten die Beschuldigten Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen, käme es zu einer Hauptverhandlung.

Bei den Beschuldigten in eher niedriger Position könnten die Verfahren wegen geringer Schuld nach Paragraf 153a gegen Geldbuße eingestellt werden. Gegen einen Beschuldigten ist das Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsannahme bereits eingestellt worden. Er habe sein Fehlverhalten vorbehaltlos eingeräumt, sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach. Im Übrigen droht allen beschuldigten Beamten nach Abschluss der Strafverfahren noch ein Disziplinarverfahren wegen der in Rede stehenden Dienstvergehen.

Deutlich weniger glimpflich könnte die Sache für den Hauptbeschuldigten Harald Rösler ausgehen – falls es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren und einer Verurteilung kommt. Bestechlichkeit im Amt wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet. Sollte die Freiheitsstrafe bei einer Verurteilung mindestens sechs Monate betragen, droht Rösler zudem das Erlöschen seiner Versorgungsbezüge. Grund: Bestechlichkeit ist, wie in Paragraf 24 des Beamtenstatusgesetzes aufgeführt, wie auch Hochverrat mit härteren Sanktionen und beamtenrechtlichen Konsequenzen belegt als viele andere vorsätzliche Straftaten.

In der Regel verlieren Beamte erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ihre Beamtenrechte. Beamten, die eine Straftat nach Antritt ihres Ruhestands begehen, drohen derartige Konsequenzen übrigens erst ab einer Verurteilung zu mindestens zwei Jahren Haft.

Gibt es bereits Konsequenzen?

Ja! Elke Badde (SPD), Staatsrätin der Gesundheitsbehörde und zur vermeintlichen "Tatzeit" der Finanzbehörde und damit für die Bezirke zuständig, wurde im Oktober in den Einstweiligen Ruhestand versetzt, weil die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sie wegen Vorteilsannahme und Verleitung eines Untergeben zu einer Straftat erhoben hatte.

Elke Badde
Elke Badde © picture alliance

Ihre monatlichen Bezüge erhält sie in voller Höhe weiterhin. Laut Anklage soll Badde ein Dokument auf einen Tag im August, also Wochen vor dem Konzert, zurückdatiert haben. Darin soll sie Rösler, ihrem Untergebenen, die Nutzung von Freikarten genehmigt haben. Dieser Anklagepunkt wiegt gegenüber der Vorteilsannahme deutlich schwerer, denn hier gilt der Strafrahmen, der sich aus der rechtswidrigen Tat des Untergebenen ergibt – Rösler wird Bestechlichkeit vorgeworfen, damit steht eine Haftstrafe von maximal zehn Jahren im Raum.

Ob der Fall vor dem Amtsgericht oder wegen des überragenden öffentlichen Interesses vor dem Landgericht verhandelt wird, steht noch nicht fest. Wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Yvonne Nische (SPD) wurde ihre Ernennung zur Bezirkschefin Nord zurückgestellt. 200 Visitenkarten waren bereits gedruckt worden und dürfen jetzt nicht benutzt werden. Eigentlich hätte sie das Amt am 1. Juli 2018 übernehmen sollen.

Warum dauern die Ermittlungen so lange?

Die Staatsanwaltschaft tut das, was sie tun muss: Sie ermittelt und geht in jedem einzelnen Fall einem begründeten Verdacht nach. Natürlich werden die Ermittlungen mit höchster Sorgfalt geführt, zumal den Beschuldigten zum Teil gravierende Konsequenzen drohen. „Es müssen eine Vielzahl von Unterlagen und Datenträgern ausgewertet werden, und jeder Fall muss in Hinblick auf eine Strafbarkeit der Beschuldigten gesondert geprüft werden“, sagt Oberstaatsanwältin Frombach auf Abendblatt-Anfrage.

Gleichwohl fordert Baddes Verteidiger Otmar Kury, jedwede Vorverurteilung im Zuge der Ermittlungen zu vermeiden. „Grundsätzlich müssen alle Rechtspflegeorgane streng darauf achten, dass außerhalb des Verfahrens liegende Nachteile für Menschen, für die die Unschuldsvermutung streitet, strengstens zu vermeiden sind“, so Kury.

Den schwarzen Peter für die andauernden Ermittlungen sieht André Trepoll, Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion, indes beim Senat. „Unter Rot-Grün ist die Justiz offensichtlich so überlastet, dass selbst solche politisch brisanten Verfahren nicht mehr in einer angemessen Zeit abgeschlossen werden können. Umso wichtiger ist, dass der Bürgermeister in seinem Umfeld jetzt selbst für Aufklärung sorgt“, so Trepoll.

Besonders kritisch sieht Trepoll die Rolle von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in der Affäre. „Immer neue Vorwürfe, immer neue Verdächtige und immer noch Schweigen des Bürgermeisters“, sagte Trepoll. Es mangele am „Aufklärungswillen“. Konsequenzen gebe es „höchstens als Antwort auf neue Enthüllungen und massiven öffentlichen Druck. Damit bleibt der Bürgermeister seiner Maxime treu: Erst handeln wenn es gar nicht mehr geht. Damit muss Schluss sein. Es bedarf endlich lückenloser Aufklärung, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen!“