Hamburg. Der Landesverband hat so viele Mitglieder wie nie. Zahl stieg seit der Wahl 2011 um ein Drittel. Was dahinter steckt.
Etwas schüchtern betreten die ersten Interessierten die Parteizentrale der Grünen in der Hamburger Innenstadt. Der Landesverband hat zum Infoabend für Neumitglieder und alle, die es werden wollen, geladen. Nach und nach füllt sich der Raum. An den vier runden Tischen bilden sich Grüppchen. Jung und alt, Männer und Frauen, eine bunte Mischung ist an diesem Abend zusammengekommen, die ein gemeinsamer Nenner eint: das Interesse an den Grünen.
Und damit sind sie nicht allein. Die Hamburger Grünen verzeichnen so viele Mitglieder wie noch nie seit der Gründung vor 39 Jahren. Anfang Juli waren es 1982 Mitglieder – inzwischen dürfte die 2000er-Marke geknackt sein. Über die genaue Zahl hält sich die Partei bedeckt. „Die bereinigte Mitgliederzahl haben wir noch nicht ermittelt“, sagt die Hamburger Parteivorsitzende Anna Gallina, aber „in letzter Zeit haben wir einen deutlichen Anstieg erfahren“.
Grüne erreichen Spitzenwert in Umfragen
In Umfragen erreichen die Grünen Spitzenwerte. In Bayern haben sie die SPD überholt, in Hamburg lagen sie bei der jüngsten Umfrage mit 19 Prozent sogar vor der CDU. Liegt es am „Habeck-Effekt“, der Aufbruchstimmung, die der charismatische Grünen-Politiker Robert Habeck mit seinem Wechsel aus dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium an die Bundesspitze der Partei auslöste? War es der tropische Sommer, der Rechtsruck oder die zerstrittene GroKo, die den Grünen in Hamburg einen Mitglieder-Boom bescherte?
„Für mich sind die Grünen die einzige Partei, die ein breites Spektrum an Themen abdeckt, die mich interessieren“, sagt Neumitglied Uwe Matern. „Das sind soziale und ökologische Themen, wobei die Grünen die Wirtschaft auch nicht aus dem Blick lassen sowie eine klare Positionierung gegen Rechts.“ Der 55-Jährige ist seit zwei Wochen Mitglied der Hamburger Grünen und zum Neumitgliederabend gekommen, um sich darüber zu informieren, wie er seine Kompetenzen in die Parteiarbeit einbringen kann.
Die Positionierung gegen Rechts wird an diesem Abend häufig als Grund für den Beitritt zu den Grünen genannt. „Jetzt muss man Stellung beziehen“, sagt die 29-jährige Laura Kunath, die seit einem Monat Mitglied ist.
Klimaschutz ist von zentraler Bedeutung
Und auch Neumitglied Linn Kuhlmann sagt, sie möchte ihren Teil dazu beitragen, den erstarkenden populistischen und europafeindlichen Parteien entgegenzuwirken. „Viele sagen, es ändert sich eh nichts.“ Für sie ein Satz, der in der derzeitigen politischen Lage nicht mehr gelten kann. Die Grünen seien für sie eine authentische Partei, durch die sie sich inspiriert fühlt. Schon länger habe sie mit dem Gedanken gespielt, Mitglied zu werden. Vor zwei Monaten trat sie dann in die Partei ein. „Spätestens seit den sich häufenden Hitzewellen mache ich mir ernsthaft Sorgen. Nach uns die Sintflut scheint seit Jahrzehnten die Devise zu sein, und ich finde, dass es Zeit ist, endlich Verantwortung zu übernehmen.“
Klimaschutz – das Kernthema der Grünen ist für die Neumitglieder neben der AfD-Abgrenzung ebenfalls von großer Bedeutung. Mit ihrer Einschätzung, warum es gerade so gut läuft für die Hamburger Grünen, liegt Parteichefin Anna Gallina dementsprechend richtig: „Wir sind ein klarer Gegenentwurf zur AfD“, und weiter: „Ein großer Treiber war sicherlich auch der heiße Sommer. Das Thema Klimaschutz ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Zudem versuche die Partei stärker auf das persönliche Gespräch zu setzen und mit den Bürgern in einen Dialog zu treten, anstatt reine Podiumsdiskussionen abzuhalten. So auch am kommenden Montag, an dem die Grünen „Auf’n Schnack mit Robert Habeck“ in die Fabrik laden. „Es hilft aber auch enorm, wenn man Einigkeit zeigt und als Partei miteinander diskutiert, anstatt sich an Personalien aufzureiben“, sagt die Parteivorsitzende Gallina.
Mitgliederzahl knackt nächste Rekordmarke
Während die Hamburger Grünen seit der Jahrtausendwende lange Zeit um die 1300 Mitglieder verzeichneten und sich seit 2011 zwischen 1500 und 1600 Mitgliedern bewegten, waren die 1798 Mitglieder zum Jahresende 2017 bereits ein enormer Sprung. Mit der 2000er-Marke wird nun eine neue Rekordmarke geknackt – eine vergleichbare Entwicklung kann keine andere Partei aufweisen, auch wenn die meisten in diesem Jahr gewachsen sind.
Die SPD hat sich seit Ende 2017 um 500 Mitglieder auf 11.800 gesteigert. Die Linke steigerte sich im Vergleich zu 2017 leicht von 1577 auf 1615 Mitglieder. Die CDU erhebt ihre Mitgliederzahlen nur zum Jahresende. Ende 2017 verzeichneten die Christdemokraten in Hamburg 7000 Mitglieder. Derzeit haben rund 650 Hamburger ein AfD-Parteibuch – ein Jahr zuvor waren es noch etwa 580. Die FDP steigerte sich ebenfalls leicht von 1467 Mitgliedern Ende 2017 auf aktuell 1487 Mitglieder.
Tschentschers „Blässe“ lässt „grünes Strahlen“ zu
Der Politologe Kai-Uwe Schnapp von der Universität Hamburg vermutet, dass der starke Zulauf der Grünen auf einer Mischung aus Bundes- und Landeseffekten beruht. „Die SPD in der Großen Koalition macht viel, was grün-sozialdemokratische Wähler in Richtung der Grünen schubst.“ Auf Landesebene sehe er auch den amtierenden SPD-Bürgermeister als Faktor. „Peter Tschentscher lässt mit seiner Blässe viel mehr grünes Strahlen zu, als es unter Olaf Scholz möglich gewesen wäre.“
Und dann ist da ja auch noch der Politik-Popstar Robert Habeck. Für Neumitglied Uwe Matern sei er der ausschlaggebende Punkt gewesen, in die Partei einzutreten. „Er kann gut reden, ist kompetent, authentisch und auf dem Boden geblieben. Er bewegt was, diese Bewegung wollte ich unterstützen.“