Hamburg. Polizisten an allen Wachen überlastet. Dienste teilweise nicht zu besetzen. Senat versichert: Kein Einsatz bleibt unerledigt.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht von einer „dramatischen Entwicklung“: Jeden Monat können viele Streifenwagen an den Polizeikommissariaten nicht besetzt werden – manchmal gut 100, manchmal mehr als 300. Wie aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Dennis Gladiator hervorgeht, fehlen an allen 24 Wachen Beamte, um die „Grundlast“ abzudecken – also „klassische Einsätze“, zu denen die Polizei mit dem Peterwagen fährt. „Der Senat muss sicherstellen, dass die Polizei mit ausreichend Personal ihre Aufgaben vollumfänglich bewältigen kann“, fordert Gladiator. Es bleibe keine Zeit für „Schönfärberei“.

Zur Abdeckung der Grundlast an den Wachen hat die Stadt einen Bedarf von 1683 Stellen – teilweise in Vollzeit, teilweise in Teilzeit. Besetzt sind aber nur 1489,61 – zwölf Prozent weniger als benötigt. „Dadurch werden Einsätze, die auf der Prioritätenliste weiter unten stehen, kleinere Verkehrsunfälle etwa, verzögert abgearbeitet“, sagt der Hamburger GdP-Chef Gerhard Kirsch. Auch für den normalen Streifendienst blieben keine Reserven.

Im September mehr als 300 Streifenwagen abgemeldet

Im Februar wurden 111 Streifenwagen abgemeldet, im Oktober 2017 waren es 271, im September sogar 326. Diese Spitzenwerte haben laut Senat auch damit zu tun, dass viele Beamte nach G-20 Urlaub genommen haben. Polizeisprecher Timo Zill sagte, die Sicherheit sei dennoch „vollumfänglich gewährleistet“: „Hamburg ist sogar in der glücklichen Lage, bei herausragenden Einsätzen an jedem Tag und zu jeder Uhrzeit 40 und mehr Funkstreifenwagen in den Einsatz schicken zu können.“

Kommentar: Polizei muss für die Politik büßen

Kirsch kritisiert dagegen: „Werden Peterwagen oder Kollegen von anderen Wachen abgezogen, fehlen sie für Einsätze dort.“ Zudem sind von den 3344 Stellen an den Wachen nur 2923 besetzt. Für die Polizisten bedeute das immense Mehrbelastungen. Hinzu kommen weitere Aufgaben. So wurden im Zusammenhang mit den „Merkel muss weg“-Demos die Alarmhundertschaften im Februar und März dreimal aufgerufen – sie banden jeweils mehr als 400 Beamte der Wachen.

In zwei Jahren trägt Einstellungsoffensive Früchte

In naher Zukunft, so hofft Gerhard Kirsch, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Hamburg, wird alles besser. Dutzende junger Kollegen könnten an die Wachen strömen, um ihre Kollegen zu entlasten. Nach seiner Schätzung könnte die Hamburger Polizei in zwei Jahren die ersten Früchte ihrer seit 2016 laufenden Einstellungsoffensive ernten – aber eben nur, wenn es gut läuft. Denn der Erfolg sei abhängig von einigen schwer berechenbaren Faktoren – etwa von der Frage, wie viele junge Anwärter ihre Ausbildung erfolgreich zu Ende bringen.

Schon jetzt ist die Not groß: Die Polizisten an den 24 Stadt-Wachen befinden sich teils im Dauereinsatz, schieben Hunderttausende Überstunden vor sich her und werden zunehmend bei Großlagen alarmiert. „Die wenigen verbliebenen Angehörigen der Grundlasten an den Wachen können bereits im täglichen Betrieb kaum noch ihre Aufgaben bewältigen – und müssen nun zusätzlich zu den anstrengenden Diensten noch die Alarmhundertschaften stellen“, heißt es von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). „Wir fahren deutlich unter dem, was wir brauchen“, sagt auch Kirsch.

Personal fehlt an allen Wachen

Weil überall Personal fehlt, außer bei der Wasserschutzpolizei, können monatlich Dutzende, im Extremfall sogar Hunderte Streifenwagen nicht besetzt werden. An keinem einzigen Polizeikommissariat gibt es genügend Beamte, um die sogenannte Grundlast abzudecken – also die „klassischen Einsätze“, zu denen die Polizisten mit dem Streifenwagen fahren. Die Bandbreite reicht von 4,02 fehlenden Stellen (PK 34 Langenhorn) bis hin zu 14,26 Stellen (PK 43 Bergedorf). Nach Abendblatt-Informationen ist dieses Missverhältnis in den Verkehrsdirektionen noch ausgeprägter. Hier liegt die Polizei in der Grundlast fast ein Drittel unter Soll.

Polizeisprecher Timo Zill sagte, die Grundlastberechnung sei „eine sehr pauschale Jahresberechnung, ein eher theoretischer Wert“. Es sei viel wichtiger, wie schnell die Polizei vor Ort ist. Hier erreiche sie bei Gefahrensituationen „hervorragende Werte“.

Senat betont, kein Einsatz bleibe liegen

Auch der Senat betont, kein Einsatz sei „liegen geblieben“. Denn die Einsätze könnten über die Zentrale an Streifenwagen anderer Polizeiwachen oder die Landesreserve vergeben werden. Zudem nehme auch die Dienstgruppe Operative Aufgaben (DGOA), ausgestattet mit 228 Stellen, viele Einsätze wahr. Die DGOA, ein Pool für Beamte, die mit den Belastungen des Vierschichtenwechseldienstes in Teilen nicht mehr zurechtkommen, unterstützt die viel zu dünn besetzten Wachdienstgruppen – allerdings nicht in der Nachtschicht. Darüber hinaus kann Personal aus anderen Wachen umgesteuert werden, wenn die Grundlast klar unterschritten wird. Eine „Milchmädchenrechnung“, kritisiert Kirsch. „Man stopft eine Lücke, indem man woanders eine Lücke aufreißt.“

Umso mehr müsse der Senat alles daran setzen, die Polizei zu entlasten, sagt der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator. So könnte, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen seien, etwa die Begleitung von Schwer- und Großtransporten an Private ausgegliedert werden. Solche Vorschläge mögen den Druck lindern, lösen aber das Personalproblem nicht. Ursache für die permanente Grundlastunterschreitung und die Personalmisere sei die „verfehlte Einstellungspolitik der vergangenen 15 Jahre“, sagt Kirsch. Während die Pensionierungswelle mit zunehmender Wucht auf den Apparat durchschlage, komme nun alles darauf an, dass die Einstellungsoffensive „ein Erfolg wird“.

Innensenator Andy Grote (SPD) hatte sie Mitte 2016 vorgestellt. Das Ziel: die Behörde (aktuell 8748 Stellen im Vollzug) soll bis 2022 um mindestens 300 zusätzliche Polizisten anwachsen. Damit das klappt und die Zahl der Pensionierungen nicht nur ausgeglichen, sondern übertroffen wird, müssen in den kommenden Jahren 2500 Beamte ausgebildet werden. Immerhin: Nach 500 Neu-Einstellungen in 2017 läuft es auf 600 für dieses Jahr hinaus. Einen Haken hat die Sache aber: „Bei den Anwärtern im mittleren Dienst beenden inzwischen 15 Prozent ihre Ausbildung nicht“, so Kirsch. Und bei derartigen Ausfällen werde sich das angestrebte Ziel von 300+ kaum erreichen lassen.