Hamburg. Hamburgs Pläne, neue Staatsdiener wählen zu lassen, löst eine gewaltige Diskussion um die Krankenversicherung aus.

Beamte sollen in Hamburg künftig wählen, ob sie privat oder gesetzlich krankenversichert sein wollen. Nach einem Gesetzentwurf des Senates, der am Mittwoch in der Bürgerschaft außerordentlich heftig debattiert wurde, steht Neu-Beamten bald diese Wahl deutschlandweit einzigartig zu. Bisher werden Staatsdiener überwiegend privat krankenversichert und erhalten dazu Zuschüsse sowie die „Beihilfe“ für die ärztlichen Behandlungen. Von den fast über neun Millionen Privatversicherten in Deutschland sind etwa die Hälfte Beamte. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) nannte es „fair“ und ein „Stück Sozialgeschichte“, die Hamburg mit diesem Wahlrecht einführe.

Künftig können sich frisch verbeamtete Lehrer oder Polizisten freiwillig gesetzlich versichern und erhalten von Hamburg den Arbeitgeberanteil von demnächst wieder 50 Prozent. Der Verband der Privaten Krankenversicherung hat auf Basis seiner Patientendaten und der Zahlen des Senats in einer Studie hochgerechnet, was Hamburg das neue Modell kostet. Der Senat spricht von 1500 bis 2000 neuen Beamten jedes Jahr. Für sie müsste Hamburg jeweils 2438 Euro an Beiträgen aufbringen. Die Ersparnis der Beihilfe würde aber nur 1069 Euro pro Staatsdiener betragen.

PKV-Studie nennt hohe Kosten für Hamburg

Grundlage für die Annahmen sind Patientendaten für durchschnittliche junge Beamte. Sollte jeder Dritte von ihnen sich freiwillig gesetzlich krankenversichern, würde das nur für diese Jungbeamten nach zehn Jahren die Stadt 5,6 Millionen Euro mehr kosten. Wären es mehr und kommen wie erwartet jedes Jahr weitere junge Beamte hinzu, die freiwillig gesetzlich versichert werden, steigt diese Summe deutlich weiter. Die Berechnungen zeigen, dass in zehn Jahren zwischen 90 und 128 Millionen Euro in dieses Projekt fließen müssten.

Gleichzeitig hinterfragen vom Abendblatt befragte Versicherungsexperten, ob es sich für junge Polizistinnen und Neu-Lehrer überhaupt lohnen würde, sich gesetzlich zu versichern. Da es finanziell kein Anreiz ist, aber die Versorgung vermeintlich nicht so gut wie bei den Privaten, würden sie aus egoistischen Motiven den alten Weg wählen. Und die gesetzliche Krankenversicherung hätte anders als von Prüfer-Storcks gewollt ebenso das Nachsehen. Ohne dass es mehr Beiträge für die gesetzlichen Kassen gäbe, könnten sie Ehegatten und Kinder mitversichern. Heißt: Die Kassen haben für mehr Versicherte Ausgaben, bekommen aber nur Beiträge für einen Versicherten. Das wiederum geht zu Lasten aller bisherigen gesetzlich Versicherten. Denn aus ihrem großen „Finanztopf“ müssen sie mit den „Neuen“ teilen.

Krankenversicherung: Was, wenn Beamte wechseln?

Fraglich ist, was mit Hamburger Beamten ist, die das Bundesland wechseln wollen. Was wird aus ihrer Krankenversicherung? Hessen, Nordrhein-Westfalen, aber auch Rheinland-Pfalz hat den Hamburger Weg abgelehnt. Begründung: Zu großes finanzielles Risiko für die Landeskasse. Prüfer-Storcks sagte, bei einem Wechsel gelte das Beihilferecht des aufnehmenden Bundeslandes.

Vor den Hamburger Plänen warnte auch Bundesärztekammer-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery. Er gab zu bedenken, dass die „Mobilität der Beamten erheblich eingeschränkt oder gar aufgehoben“ würde. Die Ärzte sind ohnehin Gegner der Bürgerversicherungs-Ambitionen der Senatorin. Stellvertretend für sie seien nur die Zahnärzte genannt. „Während in Berlin die Bürgerversicherung erledigt ist, will Hamburg einen politisch motivierten Alleingang wagen, dessen Folgen für Hamburg und möglicherweise das gesamte Krankenversicherungssystem bundesweit noch gar nicht geprüft und mit allen Beteiligten beraten sind“, sagte der Präsident der Hamburger Zahnärztekammer, Konstantin von Laffert. Die Senatorin sowie SPD und Grüne in der Bürgerschaft warfen den Ärzten vor, nur an die höheren Honorare der Privatversicherten zu denken.

Beamte und Ärzte gegen Hamburger Weg

Die Gewerkschaft der Beamten ist gegen den neuen Hamburger Weg. Ihre rechtlichen Einwände habe der Senat überhaupt nicht wahrgenommen, beklagt der dbb Hamburg. CDU-Mann Joachim Lenders sagte in der Debatte, die Beamten würden zu „Versuchslabormäusen“ gemacht. Außerdem seien die Pläne verfassungswidrig.

Auch die Hamburger Lehrer sind dagegen. „Mit Befremden“ reagierte der Lehrerverband auf die Senatspläne. Die derzeit privatversicherten Lehrer müssten befürchten, künftig noch höhere Prämien zur Krankenversicherung zu zahlen. Denn die Versicherer würden wegen sinkender Mitgliederzahlen höhere Prämien verlangen. „In Wirklichkeit wird mit diesem faulen Kompromiss von Rot-Grün eine neue, noch viel gravierendere Ungerechtigkeit geschaffen“, so der Vorstand der Lehrergewerkschaften.

Die Debatte um die Krankenversicherung für künftige Hamburger Beamte geriet zur großen Abrechnung über die Bürgerversicherungspläne der SPD, die in den Sondierungsgesprächen beerdigt wurden. Prüfer-Storcks sagte, die Wahlfreiheit für Beamte solle die nächste Bundesregierung in einer Großen Koalition durchsetzen helfen. „Wenn es grünes Licht für Koalitionsgespräche geben sollte, kommt das Thema aber wieder auf den Tisch. Da können Sie sicher sein.“