Hamburg. SPD und Grüne wollen Volksinitiativen neue Vorgaben machen. Manfred Brandt sieht massive Einschränkung der Volksgesetzgebung.

Vielleicht sitzt Manfred Brandt dieser Tage auf seinem Moorburger Hof, irgendwo zwischen den Obstbäumen, dem alten Hanomag-Traktor und dem Künstleratelier, und trauert um sein Lebenswerk. Zum „demokratischsten Bundesland“ haben der 72 Jahre alte Agrarökonom und „Mehr Demokratie“ Hamburg laut Ranking ihres bundesweit agierenden Vereins gemacht. Seit die SPD 1996 mit einer Verfassungsänderung Volksentscheide in Hamburg ermöglichte, hat Brandt mithilfe dieses Instruments die politische Landschaft der Hansestadt umgekrempelt.

Er hat die Möglichkeiten der direkten Demokratie weiter ausgebaut und hatte maßgeblichen Anteil an der Wahlrechtsänderung, die Wählern über Wahlkreise und zehn Stimmen mehr Auswahlmöglichkeiten geben soll – wegen ihrer Komplexität aber nicht überall beliebt ist. Nun aber fühlt sich Brandt mit von SPD und Grünen gefahrenen politischen Abrissbaggern konfrontiert – und unkt, bald werde es kaum noch Volksinitiativen geben.

Ist Hamburgs direkte Demokratie noch bezahlbar?

Anlass für den Frust des promovierten Teilzeitbauern und einstigen FDP-Politikers sind die Ankündigungen der Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) in dieser Woche. Sie wollen zunächst vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, ob die im Herbst gestartete Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburgs Kitas“ verfassungskonform ist. Die fordert eine deutliche Aufstockung des Personals in Kitas um 25 Prozent – und würde laut Dressel und Tjarks bis zu 350 Millionen Euro jährlich kosten. Das sei unbezahlbar, so die Fraktionschefs.

„Es kann nicht sein, dass Initiativen alles Mögliche bestellen – und die Bürgerschaft muss dann sehen, wie sie es finanziert bekommt“, sagt Dressel. „Gerade weil Volksentscheide in Hamburg so stark sind, müssen sich die Initiativen auch der Verantwortung für die Finanzierung stellen.“ Dazu haben Dressel und Tjarks jetzt den Vorschlag einer Gesetzesänderung vorgelegt.

Verfassungsgericht entscheidet über Kita-Initiative

Bisher ist die Rechtslage etwas unübersichtlich. Zwar steht im „Hamburgischen Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid“, dass das Volk nicht direkt über Haushaltspläne entscheiden darf. Dass die meisten Volksentscheide aber natürlich auch finanzielle Auswirkungen haben, wird in dem Gesetz nicht grundsätzlich infrage gestellt. In Paragraf 2 (2) heißt es bisher lediglich: „Einem Gesetzentwurf oder einer anderen Vorlage, der oder die im Haushaltsplan enthaltene Ausgaben erhöht, neue Ausgaben oder Einnahmeminderungen mit sich bringt, soll ein Deckungsvorschlag beigefügt werden.“

Aus dem „soll“ wollen SPD und Grüne ein „muss“ machen – und damit die Volksinitiativen zwingen zu sagen, wo das Geld für ihre Vorhaben denn herkommen soll. Dabei sollen sich Initiatoren bei Bedarf von der Finanzbehörde beraten lassen. Bevor SPD und Grüne sich jedoch an die Änderung des Gesetzes machen, wollen sie zunächst abwarten, was das Verfassungsgericht zu der Kita-Initiative und dabei wohl auch grundsätzlich zum Thema Volksinitiativen und Finanzen sagt.

Das lässt Manfred Brandt nichts Gutes ahnen. Denn das Verfassungsgericht hatte zuletzt öfter deutlich anders geurteilt, als es sich Hamburgs Urvater der direkten Demokratie wünschte. So kassierten die neun Richter im Herbst 2016 alle Ausweitungen und Erleichterungen der Volksgesetzgebung, die sich Brandt und die anderen Initiatoren des Volksbegehrens „Rettet den Volksentscheid“ auf die Fahnen geschrieben hatten: die Senkung der Zustimmungshürden, die Ausdehnung der Abstimmungsinhalte auf Abgaben oder die Regelung, dass bei jeder Verfassungsänderung oder Änderung des Wahlrechts durch die Bürgerschaft das Volk das letzte Wort in einem Volksentscheid hat. Damit stärkte das Gericht die repräsentative Demokratie des Parlaments deutlich gegenüber der direkten Demokratie.

Wird die Volksgesetzgebung faktisch eingeschränkt?

Nun fürchtet Brandt, dass das Gericht Volksinitiativen, deren Vorschläge Geld kosten, mit seiner Entscheidung letztlich unmöglich machen könnte. Senat und Bürgerschaft würden sich dann künftig „mit ihrem Haushalt meist an der Grenze zur Schuldenbremse bewegen“ (oder mit dem Ballast durch die HSH Nordbank auch jenseits davon) – „und finanzwirksame Volksinitiativen wären nicht mehr zulässig“. Da aber viele Initiativen auch Geld kosten, würde das eine massive grundsätzliche Einschränkung der Volksgesetzgebung mit sich bringen, so Brandts Befürchtung.

Dabei versteht Brandt auch den Vorbehalt nicht. „Warum sollte das Volk denn nicht auch über Geld entscheiden, das es am Ende auch selbst bezahlen muss?“, fragt er. „Das Beispiel Schweiz zeigt, dass das Volk besser mit Geld umgeht als viele Parlamente.“ Und fügt hinzu: „Wo waren denn zuverlässige Kostenberechnungen von Senat und Bürgerschaft, als es um das Olympia-Referendum ging? Und wer hat das Milliarden-Desaster um die HSH Nordbank verursacht? Das waren Senat und Bürgerschaft, aber doch nicht das Volk.“

Selbst CDU-Fraktionschef André Trepoll, nicht gerade als engagiertester Vorkämpfer für mehr direkte Demokratie bekannt, kritisiert das Vorhaben von SPD und Grünen.

Manfred Brandt: Heilfasten, um politisch aktiv zu bleiben

„Ob die Erweiterung der Volksgesetzgebung um einen verpflichtenden Finanzierungsvorschlag die Probleme alleine löst, bezweifle ich“, so Trepoll. „Rot-Grün wird jeden Finanzierungsvorschlag als Utopie brandmarken, nur um Initiativen Steine in den Weg zu legen.“ Die Schuldenbremse gelte für Parlaments- und Volksgesetzgeber. „Wichtig wäre, dass eine unabhängige Instanz wie der Rechnungshof Kosten und Finanzierungsvorschläge vor einer Abstimmung überprüft.“ Und mit Blick auf die Kita-Initiative ergänzt der CDU-Fraktionschef: „Kaum können Dressel und Tjarks einer Initiative mal nicht einen Kompromiss aufnötigen, wollen sie gleich die Spielregeln ändern.“

Manfred Brandt wird derweil auch noch mit einem anderen Vorhaben von Rot-Grün konfrontiert: der Änderung des Wahlrechts. Während die CDU die Stimmenzahl reduzieren will, planen SPD und Grüne nur geringe Änderungen – und treffen sich bald zur Beratung mit Brandt. Der stoische Moorburger glaubt bei all dem wohl, dass es dieser Tage mal wieder um die grundsätzliche Verteidigung des politischen Mitspracherechts der Bürger geht. Auch nach mehr als 20 Jahren und zuletzt vielen Niederlagen sieht er kein Ende der politischen Schlachten. „Ich werde bald 73“, so Brandt. „Und ich heilfaste jetzt. Damit ich noch lange kämpfen kann.“