Hamburg. Einsatzkräfte handelten nach der Messerattacke besonnen. Derweil werfen CDU und FDP dem rot-grünem Senat „strukturelles Versagen“ vor.
Eine Reihe von Fehlern und Pannen hat die Messerattacke des 26 Jahre alten Ahmad A., der am 28. Juli den 50 Jahre alten Mathias P. tötete und fünf weitere Menschen zum Teil schwer verletzte, erst möglich gemacht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versäumte die für einen Antrag auf Rückführung des abgelehnten Asylbewerbers nach Norwegen erforderliche Frist, sodass Ahmad A. in Hamburg blieb. In der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts (LKA) wurden Hinweise auf eine Radikalisierung und die psychische Labilität des Palästinensers nicht ernst genug genommen, wie in der Sondersitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft am Mittwochabend deutlich wurde.
Aber nachdem Ahmad A. seine Terrorattacke in dem Edeka-Supermarkt an der Fuhlsbüttler Straße an jenem Freitag gegen 15 Uhr begonnen hatte und erste Notrufe bei Polizei und Feuerwehr eingegangen waren, handelte die Polizei vor Ort besonnen und kompetent. In dieser Situation – Ahmad A. stach wahllos auf Passanten der belebten Straße ein oder bedrohte sie – hatten viele Augenzeugen Todesangst.
Zivilfahnder in wenigen Minuten vor Ort
Es waren dramatische Augenblicke voller Ungewissheit, obwohl mehrere Passanten den Attentäter mit Stühlen und Eisenstangen angriffen, so in Schach hielten und schließlich überwältigten. Drei Minuten nach dem ersten Alarmruf waren Zivilfahnder vor Ort. Kurz darauf trafen die ersten Streifenwagen ein.
Dass es den Beamten schnell gelang, eine gewisse Ordnung herzustellen und die aufgewühlten Augenzeugen der Terrorattacke zu beruhigen, belegt eine Reihe von Facebook-Einträgen und Dankesbriefen, die die Polizei erreichten. Dazu zählt auch die E-Mail von Christina Schön, die sich noch am selben Abend an die „liebe Hamburger Polizei“ wandte.
„Es ist schrecklich, was passiert ist! Unfassbar! Es ist das erste Mal, dass ich gesehen habe, wie so eine Organisation abläuft, da ich von der ersten Sekunde an dort war ... Sie haben meinen allergrößten Respekt!“, schreibt die 29 Jahre alte Teamassistentin in einer Sicherheitsfirma über die Ereignisse in Barmbek und erinnert auch an den Polizeieinsatz während des G20-Gipfels: „Da haben Sie bereits Stärke gezeigt und uns alle geschützt.“
„Ich bin froh, dass Sie meine Polizei sind“
Christina Schön war in einer Drogeriefiliale neben dem Edeka-Markt, als sich auf der Straße die dramatischen Szenen abspielten. Dann sah die junge Frau, wie Polizeibeamte den festgenommenen Ahmad A. zu einem Wagen brachten und wegfuhren.
In Barmbek hatte die Einsatzleitung schnell die psychosoziale Notfallversorgung alarmiert, also für solche Einsätze speziell ausgebildete Polizeibeamte. Auch Seelsorger waren vor Ort, um sich um die traumatisierten Menschen zu kümmern. „Wie schnell Sie alles abgesperrt haben und sofort alles unter Kontrolle bekommen haben – ich bin froh, dass Sie meine Polizei sind“, schreibt Christina Schön. „Ich war heute so nah dran, ich hatte solche Angst. Ich möchte nur Danke sagen“, schließt die emotionale E-Mail.
Die Generalbundesanwaltschaft hat das Verfahren gegen Ahmad A. an sich gezogen und ermittelt wegen Mordes und fünffachen Mordversuchs. Im Innenausschuss der Bürgerschaft sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer, dass es bei Ahmad A. keine Anzeichen für eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wie dem IS gebe. Ahmad A. hat ein Geständnis abgelegt und bedauert, „nicht noch mehr Menschen getötet zu haben“. Er habe möglichst viele „Christen und Jugendliche“ töten und als Märtyrer sterben wollen.
LKA-Beamte vernehmen noch rund 100 Zeugen
Die umfangreichen Ermittlungen in dem Fall dauern an. LKA-Beamte werden noch rund 100 Zeugen vernehmen. Innensenator Andy Grote (SPD) und die Polizei haben aus den Fehlern erste Konsequenzen gezogen. Rund 400 Altfälle von Hinweisen auf mögliche Radikalisierungen mit islamistischem Hintergrund werden noch einmal gründlich untersucht. Generell sollen Psychologen, Islamwissenschaftler und der Verfassungsschutz frühzeitig in die Gefährdungsprognose einbezogen und die Einschätzung nicht einem einzelnen Beamten überlassen werden.
„Es ist gut, dass der Innensenator Fehler der Sicherheitsbehörden eingestanden und Konsequenzen daraus gezogen hat. Aber das kommt zu spät“, sagte der CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator. Einem einzelnen Sachbearbeiter könne die Hauptverantwortung nicht zugeschoben werden. „Die Fehler sind Ursache eines strukturellen Versagens“, so Gladiator. „Nach den Terrorattentaten in den vergangenen Jahren in Europa, spätestens aber nach dem Berliner Anschlag hätte Hamburg die erst jetzt angekündigten Maßnahmen als Standard einführen müssen“, sagte Anna von Treuenfels-Frowein (FDP). „Kommunikation und Koordination liefen völlig schief.“