Hamburg. Abgeordnete Anna von Treuenfels wirft dem Senat vor, die Reform auf die lange Bank zu schieben. Die Justiz setzt auf Gründlichkeit.
Der 1. Januar 2026 kann als ein magisches Datum in der Justiz gelten: Spätestens dann sollen bundesweit alle Akten der Gerichte und Ermittlungsbehörden verpflichtend elektronisch geführt werden. In knapp zehn Jahren soll damit das Zeitalter der „führenden elektronischen Akte“ beginnen. Obwohl die Länder eigene Regelungen für den gesamten elektronischen Rechtsverkehr schon früher einführen können, spricht nicht viel dafür, dass das in Hamburg geschieht.
„Der Umstieg auf eine elektronische Kommunikation und eine elektronische Arbeitsweise sowie die Akzeptanz für die damit verbundenen Änderungen ist nur schrittweise und langfristig zu erreichen“, heißt es in einer aktuellen Präsentation der Justizbehörde für den Unterausschuss „IuK-Technik und Verwaltungsmodernisierung“ der Bürgerschaft. Ein „langer Umsetzungszeitraum“ sei auch unter anderem deswegen erforderlich, weil es „noch offene Entwicklungen“ gebe.
Größere Gerichte seien besonders betroffen
Die FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein drängt auf mehr Tempo. „Der Senat ruht sich aus und setzt in Sachen E-Justice nur das um, wozu er bundesgesetzlich verpflichtet ist. Das reicht nicht aus“, sagt die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete. „Innovation muss auch in den Amtsstuben endlich stattfinden.“ Gerade bei den größeren Gerichten, wie den Amtsgerichten und dem Landgericht, die von Bürgern und Rechtsanwälten am meisten aufgesucht werden, sei „Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung“ dringend nötig.
Der Senat hat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage von Treuenfels-Frowein den aktuellen Stand der E-Justice-Reform dargestellt. Danach können bei fast allen Fachgerichten schon jetzt elektronische Dokumente eingereicht werden: Finanz-, Verwaltungs-, Oberverwaltungs-, Arbeits- sowie Landesarbeitsgericht. Bis zum Jahresende soll der elektronische Rechtsverkehr auch beim Sozial- und dem Landessozialgericht zugelassen werden. „Bei den größeren Gerichten (Amtsgerichte, Landgericht) werden derzeit noch die erforderlichen Geschäftsprozesse erarbeitet“, heißt es in der Senatsantwort außerdem.
Digitales Postfach funktioniert noch nicht
Da sind einige andere Länder deutlich weiter: In Bremen, Berlin sowie Sachsen und Hessen ist der elektronische Rechtsverkehr auch bei den ordentlichen Gerichten bereits weitgehend Realität. Dazu zählen die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte sowohl im Bereich der Zivil- als auch der Strafjustiz. „Die rechtssichere Kommunikation zwischen der Anwaltschaft und allen Gerichten wird von Justizsenator Till Steffen anscheinend auf die lange Bank geschoben“, sagt FDP-Politikerin Treuenfels-Frowein. Dies sei besonders ärgerlich, weil alle Rechtsanwälte andererseits massiv unter Druck gesetzt wurden, sich mit dem „besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ zum 1. Januar 2016 auszustatten.
Doch das digitale Postfach, für dessen Betrieb jeder Anwalt jährlich rund 70 Euro bezahlen muss, ist noch nicht funktionsfähig. „Die Gerichte können das elektronische Postfach noch nicht bedienen“, sagt Otmar Kury, Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Zum einen habe es technische Schwierigkeiten mit der anspruchsvollen Software gegeben. Zum anderen laufe ein Verfahren beim Anwaltsgerichtshof Berlin gegen das elektronische Postfach, das zwei Anwälte angestrengt haben. Derzeit ist der Start für Ende September geplant – vermutlich zunächst im Probebetrieb. Geht es nach dem Bundesjustizministerium, dann ist die verpflichtende Inbetriebnahme des elektronischen Postfachs erst zum 1. Januar 2018 zu erwarten.
Weniger Postlaufzeit und Transportaufwand
Das Beispiel zeigt, wie kompliziert und hindernisreich die Einführung von E-Justice ist. „Ich kann Hamburg in diesem Zusammenhang nicht kritisieren. Man hat die Zeichen der Zeit erkannt, und ich habe den Eindruck, dass sich alle bemühen“, sagt Kury. „Die Anwaltschaft begrüßt die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs insgesamt außerordentlich.“ Je schneller die rechtssichere Umstellung komme, desto besser. „Das bringt viele Vorteile mit Blick auf die Beschleunigung der Vorgänge und Abläufe“, sagt der Präsident der Rechtsanwaltskammer.
„Hamburg befindet sich genau in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Korridor“, sagt Marion Klabunde, Sprecherin der Justizbehörde. Die Einführung neuer Software müsse sehr gründlich bedacht werden, „da wir es uns nicht leisten können, wenn ganze Geschäftsstellen lahmgelegt werden“. Im Ländervergleich bei der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs liege Hamburg „im oberen Drittel“. Die Umsetzung von E-Justice sei aber „kein Wettlauf zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern eine gemeinsame und koordinierte Entwicklung“.
Die Vorteile liegen laut Klabunde in der Verringerung von Postlaufzeiten und Transportaufwänden. Außerdem seien Informationen orts- und zeitunabhängig verfügbar, und die Justiz sei schneller auskunftsfähig. Im Übrigen eröffne der elektronische Rechtsverkehr für die Mitarbeiter die Chance zu mobilem Arbeiten, mehr Flexibilität und Familienfreundlichkeit.
„Deutschland ist auf europäischer Ebene nicht in der ersten Reihe bei diesem Thema“, sagt Kury. Zehn Jahre bis zur abschließenden Umsetzung des Projekts seien sehr lang. „Ich kann nur davor warnen, auf die Bremse zu treten“, sagt der Kammer-Präsident.