Hamburg. Die Zahl der Tätlichkeiten gegen Vollzugsbeamte ist sprunghaft gestiegen – Personalmangel eine Ursache

Der Beruf des Justizvollzugsbeamten ist nicht nur belastend, er ist zunehmend auch gefährlich. Die Zahl der Angriffe von Gefangenen auf Bedienstete der Haftanstalten ist in diesem Jahr sprunghaft angestiegen. Von Januar bis Anfang Juli wurden 18 Tätlichkeiten gegen Mitarbeiter im Strafvollzug registriert – mit zum Teil gravierenden Folgen. Der Beamte, der Anfang Mai nach einem Faustschlag eines Gefangenen zu Boden gegangen war und unter anderem zwei Rippenbrüche erlitten hatte, ist nach Informationen des Abendblatts noch immer krankgeschrieben.

Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr waren es lediglich 14 Attacken. In den Jahren 2012 und 2013 kam es jeweils zu sieben, im folgenden Jahr zu acht körperlichen Angriffen auf Vollzugsbeamte. Ein Hinweis auf die gestiegene Aggression hinter Gefängnismauern liefern auch die körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen. Im Jahr 2012 wurden 89 Tätlichkeiten von Gefangenen gegen Mithäftlinge registriert, 2013 waren es 90 und 2014 schon 104 Taten. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl dann sprunghaft auf 169 an, und auch in diesem Jahr dürfte das Niveau mit bislang 78 Tätlichkeiten ähnlich hoch bleiben. Die Zahlen ergeben sich aus den Senatsantworten auf Kleine Anfragen des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker.

Rene Müller, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Hamburgischer Strafvollzugsbediensteter, sieht einen direkten Zusammenhang zur prekären Personallage in den Gefängnissen. „Uns fehlen 120 Vollzugsbedienstete. Wenn ein Gefangener keine Ansprechpartner hat, dann wird er seine Probleme unter Umständen nicht los. Das äußert sich dann schnell in Aggressionen“, sagt Müller. Und der Gewerkschafter fügt aus der Erfahrung seiner Kollegen noch etwas hinzu: „Die Klientel aus dem arabischen Raum ist gewaltbereiter als andere Gefangene. Bei denen ist die Hemmschwelle relativ niedrig“, sagt Müller.

Auch CDU-Justizpolitiker Seelmaecker macht den Personalmangel als Ursache für den Gewaltanstieg bei Gefangenen aus. „Die Personalsituation ist katastrophal. An allen Ecken und Enden knirscht es, und hinter den Mauern brodelt es gewaltig“, so Seelmaecker. „Weil es überall an Strafvollzugsbediensteten fehlt, wird das zum erheblichen Sicherheitsrisiko.“

Nach Angaben der Justizbehörde sind fast alle Verletzungen von Beamten darauf zurückzuführen, dass Bedienstete in Streitsituationen zwischen Gefangenen eingreifen mussten. Lediglich in einem Fall handelte es sich um den direkten Angriff auf einen Beamten. „Jede einzelne Verletzung von Bediensteten wird mir berichtet“, sagt Justizsenator Till Steffen (Grüne): „Wir schauen uns die Vorfälle genau an und versuchen, Muster zu erkennen, bei denen wir ansetzen und entgegenwirken können.“

Auswertungen der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand haben ergeben, dass einige der minderjährigen oder heranwachsenden unbegleiteten Flüchtlinge überproportional an Tätlichkeiten gegen andere Gefangene beteiligt sind. „Wir erkennen eine geringe Impulskontrolle, erhöhte Gewaltbereitschaft und zudem geringe Anerkennung von Autorität“, sagt Behördensprecherin Marion Klabunde. Diese Gefangenen ließen sich nur schwer beruhigen und stellten für den Vollzug eine besondere Herausforderung dar.

„Sprachlosigkeit der Inhaftierten aufgrund mangelhafter Deutschkenntnisse erhöht ihren Stress und damit die Gewaltbereitschaft“, sagt Steffen. Jetzt sollen mehr „Integrationscoaches“ und Ausländerberater zum Einsatz hinter Mauern kommen. Auch das Angebot an Deutsch- und Alphabetisierungskursen soll ausgeweitet werden.

Rene Müller hat vor allem die Justizvollzugsbeamten im Blick. „Wir haben in keiner der Hamburger Anstalten mehr ausreichend Personal“, sagt der Gewerkschafter. „Die Nachtdienste sind nur noch zeitweise voll besetzt.“ Auch Seelmaecker prangert die Unterbesetzung an: „Die Schichten in einzelnen Haftanstalten können teilweise nicht einmal mehr mit der Mindeststärke besetzt werden.“ Die Folge seien auch Leistungseinschränkungen für Gefangene. „Soziale Trainingskurse, Sportstunden, Besuchszeiten und Ausgänge können nicht mehr regelmäßig gewährt werden, weil es überall an Bediensteten fehlt“, sagt der CDU-Justizpolitiker. Der Justizsenator müsse jetzt handeln, um „diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen“.

„Die Personallage im Allgemeinen Vollzugsdienst ist gegenwärtig knapp. Es fehlen Kolleginnen und Kollegen“, räumt Steffen ein und verweist darauf, dass die Ausbildungskapazitäten deutlich gesteigert worden sind und weiter gesteigert werden sollen. Drei Lehrgänge mit 63 Berufsanfängern starteten 2015, im laufenden Jahr werden „drei bis fünf Lehrgänge“ angestrebt. „Das Niveau soll auch in den kommenden Jahren gehalten werden. Das hängt auch stark von der Bewerberlage ab, denn Auszubildende sind schwer zu finden“, sagt Behördensprecherin Klabunde. „Das alles wird nicht von heute auf morgen gehen“, so Steffen. „Wir arbeiten aber intensiv daran, dass erste Entlastungen bald eintreten.“