Hamburg. Finanzsenator Tschentscher in der Bürgerschaft: Die Lage sei nicht so, wie sie sein sollte. Stellen werden jetzt besetzt.

Eigentlich laufen Bürgerschaftsdebatten nach einem recht eingefahrenen Schema ab. Die Opposition kritisiert, was der Senat für einen Blödsinn verzapft hat, und die Regierungsfraktionen weisen alles zurück und loben stattdessen die eigene Arbeit – Übertreibungen in beide Richtungen eingeschlossen. So gesehen hat das Hamburger Landesparlament am Mittwoch einen sehr ungewöhnlichen Schlagabtausch erlebt.

CDU und FDP hatten für die Aktuelle Stunde die Zustände in den Kundenzentren angemeldet, in denen die Bürger schon seit Monaten praktisch gar keine Termine mehr bekommen und bei Spontanbesuchen oft erst nach Stunden oder gar nicht bedient werden. Doch anders als sonst üblich, räumten alle Regierungsvertreter offen ein, wie schlecht die Situation ist, und nahmen den Kritikern damit den Wind aus den Segeln.

Besetzung der Stellen in Kundenzentren läuft

„Die Lage in den Kundenzentren ist nicht so, wie sie sein sollte“, sagte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), dessen Behörde die Aufsicht über die Bezirke hat. Man könne derzeit nicht ausreichend Termine anbieten, um der Nachfrage gerecht zu werden. „Das ist ein schlechter Zustand, den wir sobald wie möglich beenden müssen.“ Tschentscher benannte auch klar, worin das Problem besteht und wie die Lösung aussehen soll: Von den gut 210 Stellen in den 20 Kundenzen­tren seien im Frühjahr mehr als 40 nicht besetzt gewesen: Viele Mitarbeiter hätten sich auf andere Posten in der Verwaltung beworben und seien nicht ersetzt worden.

Dass er alle Bezirksamtsleiter im Frühjahr dazu verdonnert hatte, die vorhandenen Stellen endlich zu besetzen, sagte der Finanzsenator in der Bürgerschaft natürlich nicht. Aber er wies darauf hin, dass die Besetzung nun laufe, ausnahmsweise sei sogar nach externen Bewerbern gesucht worden. „Die Zahl der unbesetzten Stellen ist bereits von über 40 auf unter 30 zurückgegangen.“ Allerdings müsse das neue Personal noch geschult und eingearbeitet werden, daher werde es „nicht zu einer sofort spürbaren Entlastung“ kommen.

Opposition stellt die Problemlösung des Senats infrage

Die Opposition nahm die Missstände mit Empörung aufs Korn. Bürgermeister Olaf Scholz habe Hamburg als „Hoffnungsstadt“ bezeichnet, erinnerte CDU-Fraktionschef André Trepoll. Er frage sich, ob Scholz damit die Hoffnung auf einen Termin im Kundenzentrum gemeint habe. „Hoffen und Verzweifeln, Terminchaos und Wartehorror, das sind die Realitäten der Kundenzentren“, so Trepoll. Mitunter müssten Familien, die einen Trauerfall zu beklagen haben, wochenlang auf die für die Beerdigung notwendige Sterbeurkunde warten. Das sei „grotesk und unwürdig“.

Kurt Duwe (FDP) bezeichnete es als „Skandal“, dass die Bürger wie Bittsteller auftreten müssten und dass sie ein Ordnungsgeld zahlen müssen, weil sie wegen des Personalmangels in den Behörden Meldefristen verpasst haben. Duwe stellte infrage, ob allein die Besetzung der Stellen Abhilfe schaffen wird. Auch die festgelegten Bearbeitungszeiten für einen Vorgang – etwa 15 Minuten für einen neuen Personalausweis – müssten angepasst werden: „Ansonsten wird sich an dem Chaos in den Kundenzentren nichts ändern.“

Stephan Jersch (Linke) betonte, dass es sich um „Pflichtleistungen des Staates, die die Bürger wahrnehmen müssen“, handele. Der Senat habe die Bezirke „zum Personalabbau getrieben und die Bürger in Geiselhaft genommen“. Seinen Vorwurf, die Zahl der Stellen in den Kundenzentren sei von 256 auf 212 reduziert worden, wies Tschentscher zurück: Sie liege seit 2008 stabil zwischen 200 und 220. Seine Behörde weist schon lange darauf hin, dass in den Bezirken nicht Personal ab-, sondern aufgebaut worden sei: von 6026 Stellen im Jahr 2011 auf aktuell 6136 Stellen.

Immerhin in zwei Punkten waren sich fast alle Redner einig

SPD und Grüne zeigten sich daher verärgert, dass die Opposition die laufende Personaloffensive nicht zur Kenntnis nehme. „Das erinnert ein bisschen an Rudi Carrell: Schuld ist immer die SPD“, spottete Sozialdemokrat Frank Schmitt. Es gebe an der Situation zwar „nichts schönzureden“, aber die Besetzung der Stellen laufe ja. Ausgeschrieben worden seien sogar 50 Stellen und nicht nur die 43 vakanten.

Anna Gallina (Grüne) nahm Trepolls Bemerkung zur Hoffnungsstadt auf und betonte: „Sie können nicht nur darauf hoffen, dass wir das regeln, Sie können sich sogar darauf verlassen.“ Die Landesvorsitzende der Grünen brachte die Idee ins Spiel, künftig ein Kundenzentrum in Hamburg nur für Spontankunden zu öffnen. Außerdem sollte die Online-Terminabfrage möglichst für alle Kundenzentren gleichzeitig möglich sein. Bislang müssen sich die Bürger mühsam durch jedes einzelne der 20 Kundenzentren klicken.

Einig waren sich fast alle Redner in zwei Punkten. Erstens: Die Misere in den Kundenzentren ist nicht den Mitarbeitern anzulasten. Zweitens: Es werden einfach mehr Mitarbeiter benötigt.