Hamburg. Durch eine Natur-Abgabe beim Wohnungsbau soll Geld für Umweltschutz aufgebracht werden – Verbände warnen vor Versiegelung der Stadt.

Hamburg wird nach eigenen Angaben als erstes Bundesland einen „Natur-Cent“ einführen, um den Verlust von Grünflächen durch den Wohnungsbau auszugleichen. Man rechne in diesem Jahr mit Einnahmen von rund einer Million Euro, teilte die Umweltbehörde gestern mit. Einbezogen würden auch jene Flächen, auf denen für Flüchtlinge 4800 Express-Wohnungen errichtet werden sollen.

Hintergrund ist das zwischen Hamburg und der Wohnungswirtschaft geschlossene Bündnis für das Wohnen, das die Erteilung von jährlich 10.000 Baugenehmigungen vorsieht. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) hatte gedroht, den Kompromiss nicht zu unterschreiben, wenn die Verluste an Grünflächen nicht durch mehr Geld für die Pflege bestehender Naturschutzgebiete ausgeglichen würden.

Bündnis für das Wohnen

Lange Verhandlungen

Mit gut einem Jahr Verspätung einigten sich Senat und Wohnungswirtschaft kurz vor Pfingsten auf die Wiederauflage des Bündnisses für das Wohnen. Künftig sollen jedes Jahr 10.000 Bau­genehmigungen erteilt werden – 4000 mehr als bislang.

Bezirke in der Pflicht

Der Senat verpflichtet sich, während der Laufzeit des Bündnisses die Grunderwerbssteuer nicht zu erhöhen und für keine Stadtviertel eine neue soziale Erhaltensverordnung zu erlassen. Außerdem werden die Bezirke besonders in die Pflicht genommen.

Keine Kleingärten

Ein Bericht der „Bild“-Zeitung, wonach der Senat bereits über den Bau von jährlich 12.000 Wohnungen nachdenke und dazu auch Kleingartenflächen ins Visier nimmt, wurde gestern zurückgewiesen.

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Die Veto-Ankündigung von Kerstan hatte für Verstimmung bei Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gesorgt. Heute wollen der Senatschef und Kerstan sich zu einem Vieraugengespräch treffen. Es war das erste Mal seit der Bildung des rot-grünen Senats 2015, dass ein Senatsmitglied öffentlich für koalitionsinternen Streit sorgte.

Der „Natur-Cent“ oder „Öko-Soli“ sieht nach Darstellung der Umweltbehörde vor, dass für einen Teil neuer Wohn- und Gewerbeflächen künftig eine Art Finanzausgleich geschaffen wird. „Die zusätzlichen Einnahmen aus der Grundsteuer fließen in ein Sondervermögen ,Naturschutz und Landschaftspflege‘“. Bevor eine Fläche für den Wohnungsbau verwendet werden dürfe, werde das derzeitige Grundsteueraufkommen ermittelt. Der Zuwachs an Einnahmen werde dann für Naturschutzmaßnahmen eingesetzt.

Keine Belastung für Mieter und Bauherren

Der Umweltbehörde war der Hinweis wichtig, dass Bauherren und Mieter durch den „Natur-Cent“ nicht zusätzlich belastet würden. Auch blieben ökologisch besonders wertvolle Flächen für die Wohn- und Gewerbenutzung weiterhin tabu. Ziel sei es, Hamburgs Naturkapital zu erhalten, erklärte Umweltsenator Jens Kerstan. „Ich freue mich, dass wir als erstes Bundesland ein solches Modell entwickelt haben.“

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) meinte: „Der ,Natur-Cent‘ ist die richtige Lösung, damit Hamburgs Grünflächen von den Investitionen in den Wohnungsbau dauerhaft profitieren.“ Der Bau von Wohnungen sei jedoch unverzichtbar, um den Wohnungsmarkt in der Hansestadt nachhaltig zu entlasten.

Nabu will Einsatz der Erlöse überwachen

Durch den Bau von jährlich mehreren Tausend Wohnungen gehen nach Darstellung des Naturschutzbundes (Nabu) vermehrt Grünflächen verloren. Zwischen 2002 und 2011 hätten sich die Siedlungsbau-, Betriebs- und Verkehrsflächen Hamburgs um 1892 Hektar vergrößert – das sei fast die zwölffache Fläche der Außenalster. Zwischen 2011 und 2014 wurden in 87 Bebauungsplänen mindestens 193 Hektar Grünfläche überplant. Zudem würden Grünanlagen so eingekapselt, dass sie ihre klimaverbessernde Wirkung verlieren, kritisierte der Nabu.

Nabu-Landesvorsitzender Alexander Porschke kündigte an, man werde auf den richtigen Einsatz der Erlöse achten. „Grün- und Erholungsflächen müssen aus ökologischer Sicht nun tatsächlich aufgewertet werden.“ Der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisierte, der „Natur-Cent“ sei keine Lösung für die zunehmende Bebauung von Landschaftsschutzgebieten. „Jeder Cent, der über dieses Modell eingenommen wird, basiert auf der unwiederbringlichen Vernichtung von Grün- und Freiflächen“ erklärte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch.

Linke: "unzureichender Grünpolitik"

Kritik kam auch von der oppositionellen CDU. „So erkauft sich die SPD das mit der heißen Nadel gestrickte Bündnis für das Wohnen“, erklärte Stadtentwicklungsexpertin Birgit Stöver. „In der Einführung des ,Natur-Cents‘ manifestiert sich das schlechte Gewissen des Senats.“ Die Zerstörung von Landschaftsschutzgebieten und anderer Grünflächen durch eine „hastige Bebauung“ lasse sich aber durch stärkere Investitionen in Naturschutzmaßnahmen nicht rückgängig machen.

Ähnlich reagierte der umweltpolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Stephan Jersch. „Dass jetzt ein bisschen mehr Geld aus Ablasszahlungen des Wohnungsbaus auf weniger verbleibende Grünflächen verteilt wird, ist kein Erfolg.“ Stattdessen sei der „Natur-Cent“ das Eingeständnis unzureichender Grünpolitik. „Grüne Inseln in der Metropole zu Inselchen zu degradieren und die dann als Ausgleich grüner zu machen, wird in vielen Bereichen Hamburgs nicht mehr funktionieren“, erklärte Jersch.

Die Regierungsfraktionen würdigten dagegen den „Natur-Cent“. Flächenbedarf und Naturschutz würden in Einklang gebracht, erklärten die Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne).