Hamburg. Kaufleute, Politiker und Kleingärtner haben Hamburg zur grünen Metropole gemacht. Ist dieses Erbe jetzt durch den Wohnungsbau bedroht?

Es wächst und wächst – und schrumpft zugleich beträchtlich. Es stiftet Ruhe und Frieden, aber spaltet ganze Koalitionen. Es ist der Gegensatz von Stadt – und doch Hamburgs Charakteristikum: das Grün in der Stadt.

Kaum eine andere europäische Metropole präsentiert sich so grün wie die Hansestadt. Ausländische Gäste, so erzählt es der ehemalige Umweltsenator Fritz Vahrenholt, hätten Hamburg oft die „Stadt im Wald“ genannt – weil sie beim Anflug auf den Flughafen in Fuhlsbüttel erst so spät die Häuser zwischen den Bäumen entdeckt hätten. Die Bewohner der Stadt schätzen, dass das nächste Naturschutzgebiet oft nur ein Katzensprung entfernt liegt. Das Eppendorfer Moor lockt als „Hotspot der Artenvielfalt“ inmitten der Stadt. Am oberen Alsterlauf – etwa im Rodenbeker Quellental oder Hainesch Iland – wähnt man sich inmitten von Erlensümpfen und Auwäldern weitab der Zivilisation und ist doch mittendrin. Unweit der Flugzeugfertigung von Airbus und des drittgrößten Hafens in Europa spielt die Elbe Wildnis – Sandstrand mit Dünenland am Falkensteiner Ufer, dahinter weite Buchenwälder mit der Wittenbergener Heide. Hier riecht Hamburg weder nach Millionenmetropole noch nach Industriestandort, sondern nach Sommerfrische.

Zur Infografik: Das sind Deutschlands grünste Großstädte

Doch Hamburg ist nicht nur von der Lage und der Natur verwöhnt, die Stadtväter haben in der Vergangenheit auch vieles richtig gemacht. Der Erhalt und Schutz des Grüns zieht sich wie ein roter Faden durch die Stadtentwicklung – und entzweit derzeit die rot-grüne Koalition. Wieder einmal und mit wachsender Intensität angesichts von jährlich 10.000 zu bauenden Wohnungen weisen nicht nur Umweltschützer auf die Grenzen des Wachstums hin. Wie viel Grau darf sich eine Stadt leisten, die sich vor wenigen Jahren mit dem Titel als Europas Umwelthauptstadt schmücken durfte und sich stets als „grüne Metropole“ begreift? Droht sie gar ihr im wahrsten Sinne des Wortes gewachsenes Erbe zu verspielen?

Hamburg wurde früh zu einer Gartenstadt. Schon im 17. Jahrhundert rühmte der weit gereiste Schriftsteller Johann Balthasar Schupp seine neue Wahlheimat, in der er als Hauptpastor von St. Jacobi tätig war: „Ich weiß mich nicht zu besinnen, dass ich eine Stadt in Deutschland gesehen habe, welche so viele schöne Lustgärten hat als Hamburg.“ Reiche Kaufleute und Reeder hatten die Gartenbaukunst zu dieser Zeit als ihr Steckenpferd entdeckt – prächtige Anlagen, zunächst vorzugsweise im Hamburger Osten, sollten das Renommee ihrer Eigner mehren.

In Billwerder oder Horn entstanden Barockgärten, die nach französischem Vorbild streng gegliedert waren. Sie alle verschwanden während der französischen Besatzungszeit oder später während der Industrialisierung.

Reiche Kaufmannsfamilien setzten sich ein grünes Denkmal

Anders hingegen blieben viele Gärten an der Elbe im damals noch dänischen Altona bis heute erhalten. In den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts setzten sich hier viele reiche Kaufmannsfamilien ein grünes Denkmal. Sie nutzten die dänische Agrarreform, um Felder und Weiden am Elbufer aufzukaufen und in englische Privatgärten zu verwandeln.

Damals entstand der Garten Rainville mit seinem überregional beliebten Gasthaus in Neumühlen, den Heinrich Heine als „wunderlieblich“ pries. Ob der Heine-Park, Donners Park oder der Rosengarten in Neumühlen, Schröders Elbpark oder der Jenischpark – sie alle stammen aus dieser Blütezeit im 18. Jahrhundert, ihre Bäume erinnern noch heute an die alte Pracht. Das Buch „Hamburger Elbblicke“ (Ellert & Richter, 19,95 Euro) erzählt auf über 300 Seiten faktenreich die Historie dieser Parks und ihrer Besitzer entlang der Elbchaussee.

Hier schlug das grüne Herz einer Bewegung, die immer neue Anhänger fand. Im 19. Jahrhundert schwappte der Trend zum Pflanzensammeln aus England herüber nach Hamburg. Auf der Insel züchteten reiche Kaufleute Pflanzen, die sie aus Südostasien oder Amerika einführten. Die Hamburger Kaufleute wollten ihren britischen Geschäftspartnern nacheifern und rüsteten ihre Flächen auf. 1869 fand die erste Gartenschau an der Elbe statt, überhaupt erst die zweite Ausstellung ihrer Art. Damit war eine Veranstaltung in der Stadt heimisch geworden, die das Bild Hamburgs prägen sollte.

Im Sommer 1897 öffnete eine Gartenschau an den Großen Wallanlagen. Die nächste Freiluftmesse 1914 in Altona zwischen Donners Park und Rosengarten verband die einzelnen Parks zu einer grünen Perlenkette entlang der Elbe. 1935, 1953 und dann wieder 1963 und 1973 hinterließen die Gartenschauen auf dem Gelände des alten Zoologischen Gartens im Herzen der Stadt den Park Planten un Blomen. Und die igs 2013 in Wilhelmsburg bescherte der Elbinsel einen sehenswerte Parkanlage.

Wirkung von Gartenschauen nicht unterschätzen

Man sollte diese Gartenschauen, die nirgends so häufig stattfanden wie in Hamburg, in ihrer Wirkung nicht unterschätzen. Sie halfen mit, die großbürgerlichen Parks an der Elbe und Außenalster zu erhalten und für die Öffentlichkeit zu erschließen. Sie vertieften die Beziehung der Hamburger zu ihren Grünanlagen und machten die Stadt zu einem Zentrum der Gartenbaukunst.

Allerdings gehören auch die Namen der berühmten Oberbaudirektoren in die Ahnengalerie der grünen Hansestadt. Im damals noch unabhängigen Altona war es Gustav Oelsner, in Hamburg Fritz Schumacher, die Hamburg nach dem Vorbild der „modernen, sozialen und grünen“ Stadt prägten. Oelsner drang darauf, die Parks an der Elbe durch die Stadt aufzukaufen und damit der Bebauung zu entziehen. Gemeinsam mit Ferdinand Tutenberg gestaltete er die Elbparks und den Elbewanderweg. Tutenberg war auch Schöpfer des großen Volksparks in Bahrenfeld, der im Jahr 1914 Grün neu dachte: Er orientierte sich stark an der gewachsenen Natur, es ging ihm mehr um Sport und Bewegungsflächen als um Kunst oder Ästhetik. Leider ist die mit 205 Hektar größte öffentliche Grünanlage der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten eher stiefmütterlich behandelt worden.

Die sozialreformerische Idee der Volksparks war die Konsequenz aus der Industrialisierung. Die Städte wuchsen rasant – allein in Hamburg vervierfachte sich zwischen 1875 und 1913 die Einwohnerzahl auf mehr als eine Million Menschen; viele hausten in kleinen, schlecht belüfteten Wohnungen, die Luftverschmutzung durch Hafen und Industrie war für zeitgenössische Nasen und Lungen unvorstellbar. Volksparks sollten Raum für Erholung, Spiel und Zerstreuung schaffen, einen Beitrag zur Volksgesundheit leisten.

Im selben Jahr eröffnete ein weiterer Volkspark in Hamburg. Auf 148 Hektar komponierte der legendäre Oberbaudirektor Schumacher in Winterhude einen Dreiklang aus blauem Wasser, Grün und rotem Backstein, der bis heute bei den Hamburgern beliebt ist. Natur und Architektur gehörten für ihn zusammen. An der Alster hat er südlich der Fuhlsbüttler Schleuse den Flusslauf mithilfe von Böschungsmauern, Becken und Terrassen in ein Gesamtkunstwerk verwandelt. Früh drang Schumacher darauf, die Alster zu demokratisieren und ihre Ufer in einen öffentlichen Raum zu verwandeln.

In Hamburg gibt es bis heute 35.000 Schrebergärtner

Noch eine dritte Bewegung aus dieser Zeit prägt das Antlitz der Stadt bis heute – die Kleingartenbewegung. In der Hansestadt säen und schneiden, mähen und pflanzen bis heute 35.000 Schrebergärtner, die über die ganze Stadt verteilt Rückzugsräume für Mensch und Natur geschaffen haben. Der mächtige Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg vertritt die Interessen der Hobbygärtner und ist bis heute perfekt in der Sozialdemokratie vernetzt – sein langjähriger Vorsitzender Ingo Kleist saß jahrzehntelang in der Bürgerschaft, Dirk Sielmann, der heutige Geschäftsführer, ist für die SPD Vorsitzender der Bezirksversammlung Mitte. An den Interessen der Kleingärtner kommt Hamburgs Politik bis heute kaum vorbei – beim Blick aus dem Flugzeug möchte man manchmal murmeln: Gott sei Dank.

Die großbürgerlichen Gärten, die oft nur wohnzimmergroßen Schreberparzellen, die Volksparks und die unwegsamen, schwer zu erschließenden Moore und Wälder wurden zum Rückzugsort für die Natur und verweigerten sich dem Flächenhunger der Zivilisation. Und manchmal halfen auch eine Prise norddeutscher Widerstandsgeist oder der Wachtelkönig, die letzten Wildnisse zu bewahren: Im Eppendorfer Moor vereitelte eine nächtliche Pflanzaktion nach dem Krieg den Plan, das Eppendorfer Moor mit Trümmerschutt zu verfüllen, in Neugraben-Fischbek schrumpfte Crex Crex ein großes Neubauareal und half bei der Ausweisung des Naturschutzgebietes Moorgürtel.

Vor 40 Jahren galt Hamburg als ökologischer Sanierungsfall

Spätestens mit dem Beginn der 70er-Jahre ist die Lage der Umwelt zu einem hochbrisanten und emotionalen Thema gereift. Das grüne Hamburg erschien seinerzeit nämlich ziemlich grau. Vor vier Jahrzehnten galt die Hansestadt als ökologischer Sanierungsfall. Das Baden in Elbe und Alster gefährdete die Gesundheit; im Hafenschlick fanden sich mehr Schwermetalle als in manchem Bergwerk. Milch aus den Vier- und Marschlanden durfte zeitweise so wenig verkauft werden wie Elbfisch.

Jeder dritte der 140.000 Stadtbäume galt als sterbenskrank. Giftfunde schockierten die Öffentlichkeit. Im September 1979 kam gar ein Junge beim Spielen mit Chemikalien vom Stoltzenberg-Gelände ums Leben – später stellte sich heraus, dass der Firmenhof „ein Selbstbedienungsladen für Sprengstoff und Gift“ war.

Stadt musst wegen Smog-Alarms gesperrt werden

Im Februar 1987 musste wegen Smog-Alarms die ganze Stadt gesperrt werden. 620 Polizisten sicherten 80 Bundes- und Landstraßen rings um die Innenstadt, kein Auto durfte in die City fahren, die Straßen waren leergefegt, einige Menschen wagten sich nur mit Atemmasken hinaus. Vor nicht einmal 30 Jahren fand ein Katastrophenfilm auf Hamburgs Straßen statt – in Echtzeit und Realität.

Zukunftsangst aber machte die Zukunft besser. Mit wachsendem ökologischen Wissen und Gewissen bekamen die Autos Katalysatoren, die Kraftwerke Entschwefelungsanlagen, und der Naturschutz befreite sich aus der Nische. Viele Hamburger haben ihre Natur neu kennengelernt und erfahren. Längst ist ein 100 Kilometer langer grüner Ring für Wanderer und Radfahrer professionell erschlossen. Nur was man schätzt, möchte man schützen.

In vielen Fragen ist Hamburg sogar Vorreiter: Das Baumkataster hat rund 225.000 Straßenbäume erfasst, ein beachtlicher Zuwachs im Vergleich mit den 70er-Jahren. Es führt die Linde mit 52.845 Bäumen knapp vor der Eiche (48.434), aber weit vor dem Ahorn (28.927).

Bezogen auf Metropolen mit mehr als 500.000 Einwohnern ist Hamburg mit 71,4 Prozent Grünfläche führend; selbst im Vergleich mit deutlich kleineren Städten kommt es auf einen respektablen 39. Platz. Angesichts der großen Verkehrs- und Hafenflächen hinkt aber der Vergleich mit Freiburg oder Paderborn. Nirgends sonst in der Republik hat die Politik so viele Schutzflächen ausgewiesen. Knapp neun Prozent der Landesfläche Hamburgs, 67 Quadratkilometer, stehen unter Naturschutz – hinzu kommt der Naturpark Hamburgisches Wattenmeer mit weiteren 137 Quadratkilometern. Der grüne Umweltsenator stellt weitere Flächen für Flora und Fauna in Aussicht: „Damit in unserer Stadt die Artenvielfalt erhalten bleibt, schaffen wir drei neue Naturschutzgebiete mit rund 350 Hektar Fläche“, sagte Jens Kerstan dem Abendblatt.

Nachverdichtung ist ein großes Thema in Hamburg

Allerdings wächst auch der Flächenbedarf der Menschen – angesichts der Zuwanderung und des höheren Wohnungsbedarfs wird Nachverdichtung zum großen Thema. Brachen werden bebaut, Grünflächen schrumpfen, Gärten werden geteilt, Kleingärten verschwinden.

Erst in der vergangenen Woche präsentierte die Stadtentwicklungsbehörde eine Neuauflage des Bündnisses für Wohnen, das statt 6000 neuen Wohnungen im Jahr nun die Latte auf 10.000 hochlegt. Der BUND schlägt bereits Alarm. „Die Bündnisvereinbarung blendet die Flächenknappheit in Hamburg nahezu komplett aus. Einfach mal so eine neue Schlagzahl von 10.000 Wohnungen in die Welt zu setzen ist stadtentwicklungspolitisch verantwortungslos“, kritisiert Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND Hamburg. Laut Vereinbarungstext zum Bündnis für das Wohnen sollen pro 1000 Wohneinhalten mindestens 6,7 Hektar Bauland bereitgestellt werden. Plötzlich sind die Sorgen um das grüne Antlitz der Stadt zurück auf den Agenda.

„Hamburg ist eine grüne Stadt. Den Spitzenplatz unter den deutschen Großstädten wollen wir trotz des Baubooms behalten“, sagt Kerstan. Was für einige wie ein Versprechen klingt, hört sich für andere wie eine Drohung an. Tagelang stritten SPD und Grüne um das Bündnis für Wohnen, ihr aufgestocktes Wohnungsbauprogramm und die Grünflächen. Die Umweltdebatte ist zurück in der grünen Stadt.