Hamburg. Wie Kirsten Pfaue als Radverkehrskoordinatorin Hamburg zur Fahrradstadt machen will – mit zusätzlich 30 Millionen Euro.

Von einem Vetorecht will Kirsten Pfaue nicht sprechen. Ihr sage das Wort „Konfliktbeilegung“ mehr zu, erklärt die künftige Hamburger Radverkehrskoordinatorin mit einem Lächeln und meint die Kunst, die verschiedenen Beteiligten in den Behörden auf eine Richtung einzuschwören. Am 1. Oktober werden sie und ihr vierköpfiges Team in der Wirtschaftsbehörde ihre Arbeit aufnehmen, was bedeutet, dass Hamburg von da an eine amtlich bestellte (Vor-)Kämpferin für den Radverkehr haben wird.

Als wir uns mit Pfaue und Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) treffen, hat dieser ein Geschenk für seine neue Koordinatorin im Gepäck. Gerade habe der Bund zusätzliches Geld für die Förderung des Radverkehrs in der Hansestadt bereitgestellt, erzählt der Spitzenbeamte. 30 Millionen Euro kann Kirsten Pfaue in den kommenden drei Jahren zusätzlich zu den jährlich ohnehin im Haushalt eingestellten rund 20 Millionen Euro ausgeben.

Das Geld ist allerdings auch dringend notwendig. Schließlich haben SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, in den kommenden Jahren den Anteil des Radverkehrs in Hamburg zu verdoppeln. Im Jahr 2008 legten die Hamburger etwa zwölf Prozent aller ihrer Wege mit dem Rad zurück. Bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts soll dieser Anteil nun auf satte 25 Prozent steigen.

Das klingt gewaltig, ist es auch. Zumal Staatsrat Rieckhof einräumen muss, dass man derzeit eigentlich nicht genau wisse, wie viele Radfahrer täglich in der Stadt unterwegs seien. Anhaltspunkte geben allerdings die regelmäßigen Messungen des innerstädtischen Verkehrs. Und diese Untersuchungen ergaben, dass in der Hansestadt der öffentliche Personennahverkehr seit dem Jahr 2000 jährlich um zwei bis drei Prozent und der Radverkehr um bis zu zwei Prozent zugenommen haben. Beim Auto hingegen bemerkten die Verkehrszähler einen Rückgang. Und das, obwohl die Zahl der zugelassenen Autos Jahr für Jahr steigt.

„Meine Aufgabe ist es, mit einer Art Hubschrauberblick zu schauen, ob wir auf dem Weg zur Fahrradstadt sind“, sagt Kirsten Pfaue. Dabei sei ihr Blick vornehmlich auf die Verwaltung gerichtet. „Ähnlich wie beim Bündnis für das Wohnen wollen wir alle Beteiligten an einen Tisch holen und mit der Zeit eine dauerhafte Gesprächsstruktur etablieren.“

Die parteilose Radverkehrskoordinatorin, die zuletzt im Bezirk Wandsbek als Leiterin des Rechtsamts arbeitete, setzt dabei auf die Macht des Faktischen. „Das Fahrrad ist inzwischen nicht nur ein gleichberechtigtes Verkehrsmittel, sondern wird in Metropolen wie Hamburg in der Zukunft eine Schlüsselrolle spielen.

Darauf gilt es die Stadt vorzubereiten. Pfaue, die zwischen 2010 und 2014 zudem Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) war, räumt ein, dass dafür noch viel zu tun ist. Damit Hamburg eine wirkliche Fahrradstadt wird, müssten stadtteilübergreifend Velorouten geschaffen werden. Vieles sei schon angeschoben, sagt Pfaue. Jetzt gehe es um Verstetigung. Mindestens 50 Kilometer Radverkehrsanlagen, wie es im Beamtendeutsch heißt, sollen jedes Jahr erneuert werden. Angesichts der insgesamt rund 1500 Kilometer Radwege in der Hansestadt wird die Dimension ihrer Aufgabe deutlich.

Pfaue beschreibt das Veloroutennetz als das „Herzstück der Fahrradstadt“. Da 80 Prozent dieser Strecken auch in der Verantwortung der sieben Hamburger Bezirke liegen, werde die Zusammenarbeit mit den Beamten vor Ort besonders wichtig.

Dem sogenannten Fortschritts­bericht für Hamburgs Radverkehrsstrategie zufolge umfasst das Veloroutennetz der Stadt derzeit rund 280 Kilometer. Insgesamt 14 Strecken gibt es. Sie sollen den Radverkehr auf weniger befahrenen Straßen bündeln und die Außenbezirke Hamburgs mit der Innenstadt verbinden.

Allerdings sind die Velorouten oft nicht durchgängig befahrbar. Oft werden Radfahrer an Kreuzungen länger als notwendig aufgehalten, oder die Führung des Radwegs durch eine Grünanlage ist von mangelnder Qualität. Aufgrund des großen Umfangs des Radverkehrsnetzes dominieren „immer noch an vielen Stellen strukturell veraltete und sanierungsbedürftige Radwege“, heißt es in dem Bericht.

Auch wenn die Velorouten im Fokus von Pfaue stehen werden, gilt es, weitere attraktive Radwege zu schaffen. Außerdem wolle man die Einrichtung von „Radschnellwegen“ prüfen, sagt Pfaue und blickt in dieser Frage gern nach Dänemark. In Kopenhagen gibt es bereits derartige Strecken, durch die erfolgreich das Umland mit der Metropole verbunden wird.

Der Fortschrittsbericht verspricht zudem weitere Investitionen in das städtische Fahrradverleihsystem StadtRad. In diesem Jahr sollen 70 Stationen eingerichtet werden. Ergänzend dazu setzt die Politik darauf, die Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichem Personennahverkehr auszubauen. Beispielsweise solle an den Schnellbahn-Haltestellen in den kommenden Jahren 12.000 zusätzliche Abstellplätze für Fahrräder geschaffen werden.

Besonderes Augenmerk legt die zuständige Wirtschaftsbehörde auf die Strecken entlang der Außenalster. „Im Ergebnis bietet sich für circa 60 Prozent der Strecken entlang der Außenalster – auf denen das Radverkehrsaufkommen schon heute das Kraftfahrzeug-Verkehrsaufkommen überwiegt oder dies alsbald zu erwarten ist – die Einrichtung von Fahrradstraßen an“, heißt es in dem Fortschrittsbericht.

Fahrradstraßen sollen dem Radverkehr ein sicheres, zügiges und komfortables Vorankommen ermöglichen. Autofahrer dürfen dort maximal 30 Kilometer pro Stunde fahren. Das Nebeneinanderfahren von Radlern ist ausdrücklich erlaubt. Derzeit gibt es in Hamburg elf Fahrradstraßen mit einer Gesamtlänge von 6,9 Kilometern.

Viel Arbeit für Kirsten Pfaue, die durchaus froh darüber ist, dass ihr Team nicht in der Umweltbehörde angesiedelt ist. „Jeder Hamburger ist alles: mal ist er Autofahrer, mal Radfahrer, aber auch mal Fußgänger.“