Hamburg.

Radfahren ist in Holland eine alltägliche Fortbewegungsart, schon Kinder legen ihr „Verkeers­examen“ ab, in dem sie wie bei einer Fahrschulprüfung durch den Verkehr radeln müssen. „Wir wachsen damit auf“, sagt Albert Balvers, ein 55 Jahre alter niederländischer Unternehmensberater, der nach beruflichen Stationen in Frankreich, den USA und China nun mit seiner Frau seit 2010 in Hamburg lebt. „Eine unfassbare schöne Stadt, hier fühle ich mich wirklich angekommen – aber ein Bewusstsein für das Radfahren, eine Radfahrkultur wie in Holland – das fehlt noch“, sagt er

Trotz der großen Ziele der rot-grünen Koalition zum Ausbau des Radverkehrs bleibt er skeptisch: „Nur ein kleines Beispiel: Warum stehen die Altglascontainer in Hamburg immer direkt neben den Radwegen?“ Oft schon habe er sich dort wegen der Scherben einen Platten gefahren. „Leck gefahren“, wie er es nennt. Oder ein anderes Beispiel: In Hamburg verlaufen aus seiner Beobachtung Radwege oft mitten zwischen Bushaltestelle und Wartehäuschen, was Unfälle zwischen Radlern und Fußgängern geradezu herausfordert. Balvers: „Wer denkt sich solche Sachen aus? Da macht man sich in der Verwaltung doch null Gedanken über den Fahrradverkehr!“

Solange nicht auch bei solchen alltäglichen Dingen das Radfahren mit berücksichtigt werde, so lange werde sich nicht viel ändern, befürchtet er. Jedes Jahr „soundsoviele“ neue Kilometer Radfahrstreifen zu feiern ist dann nichts weiter als „Windowdressing“, sagt Balvers. Fensterdekoration, man macht vorn etwas, das gut aussieht, dahinter bleibt alles beim Alten.

Gleich zu Beginn stieß er in Hamburg auf Absonderlichkeiten im Radverkehr

Anfangs dachte Balvers noch, er könne wie in seinem Heimatland mit dem Rad einfach und bequem die alltäglichen Dinge erledigen. Die Stadt ist flach, die Wege relativ kurz. Doch schon gleich zu Beginn seiner Hamburger Radfahrkarriere stieß er auf Absonderlichkeiten, jedenfalls aus Sicht eines Holländers. „Ich habe mich gewundert, warum alle auf dem Gehweg fahren, nicht auf der Straße“. Dann musste er feststellen, dass Geh- und Radweg eigentlich nur ein Weg sind, sich das Pflaster höchstens farblich unterscheidet. 2011 rannte ihm dann auf einem solchen Rad-/Gehweg ein Mann ins Rad, der mit seinem Handy beschäftigt war. Balvers stürzte, musste mit 27 Stichen an einer Kopfwunde genäht werden. „Klar trage ich keinen Helm, macht niemand in Holland, Fußgänger ja auch nicht“, sagt er zu den vielen Hinweisen, warum er keinen Helm getragen habe.

Auch das ist ein großer Unterschied zu Holland, wo man meist mit sehr einfachen Rädern unterwegs ist und auch kaum besondere Bekleidung trägt. Balvers: „Hier sehe ich aber ständig Leute in Tour-de-France-Outfit auf dem Rad, obwohl man nur langsam durch die Stadt kommt.“ Überhaupt sind es aus Sicht des Unternehmens­beraters nicht nur Ignoranten in der Verwaltung und unter Autofahrern, die es mit seiner gewohnten Radfahrkultur nicht so haben. Auch Radfahrer selbst sind es, die ein entspanntes Radeln verhindern. Zum Beispiel die ständigen „Geisterfahrer“, die auf der verkehrten Seite fahren. Oder Radfahrer, die rote Ampeln ignorieren. „In Holland sind wir ja tolerant, aber damit hätten wir ein echtes Problem“, sagt er.

Der Weg zur Fahrradstadt Hamburg führt daher aus seiner Sicht nicht allein über populistische Maßnahme wie Fahrradstraßen. Man müsse anfangen, eine Fahrradkultur aufzubauen, sagt er. Auch wenn es daran noch fehlt – das Radfahren hat er in Hamburg dennoch nicht aufgegeben. Und sogar kürzlich das Auto verkauft. „Radfahren ist einfach praktischer und schöner.“ Selbst in Hamburg.