Hamburg. Durften die in die Szene eingeschleusten Polizistinnen Verhältnisse eingehen? Schwere Kritik an der Führung der verdeckten Ermittler.
Es ist eine brisante Sitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft im Rathaus: Nachdem mit „Maria Block“ schon die zweite verdeckte Ermittlerin innerhalb eines Jahres durch Linksautonome enttarnt worden war, sollten Innensenator Michael Neumann (SPD) und Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer den Abgeordneten am Freitagabend Rede und Antwort stehen. Der Senator versprach, Mängel beim Einsatz von verdeckten Ermittlern zu beheben.
Zuvor hatte die Revisionsabteilung der Innenbehörde dem Gremium ihren Bericht zu „Iris Schneider“ vorgestellt, die zwischen 2001 und 2006 das Umfeld der Roten Flora bespitzelt hatte. Die Prüfer fällen ein teils vernichtendes Urteil über Einsatzverhalten und Führung der Spitzel.
Trotz intensiver Recherche sei die Aktenlage zu dem Einsatz der Flora-Ermittlerin „außerordentlich lückenhaft“, sagte Gabriele Schipper, Leiterin der Revision in der Innenbehörde. Die Ermittlerin, die zeitweise in Doppelfunktion als „Beobachterin für Lagebeurteilung“ und als voll befugte verdeckte Ermittlerin (VE) eingesetzt war, hätte ihre Kompetenzen jedoch „deutlich überschritten“. Zu diesem Schluss kamen die Prüfer nach 657 Arbeitsstunden an Aufarbeitung der verbliebenen 68 Akten seit Dezember 2014.
So gab „Iris Schneider“ in Befragungen etwa zu, in den Jahren 2002 und 2003 auch verdeckt in der Redaktion des „Freien Sender-Kombinats“ (FSK) gearbeitet zu haben. Dies will sie ihren Kontaktpersonen im Staatsschutz auch umfänglich mitgeteilt haben, was die Einsatzleiter teilweise abstreiten. Unter anderem erstellte die verdeckte Ermittlerin einen Werbejingle für eine Demonstration, recherchierte und fertigte „eigenständig weitere Beiträge“. Dies sei nicht mit ihrem Auftrag und den beschränkten Kompetenzen einer Beobachterin vereinbar gewesen, urteilt die Innenrevision.
Innensenator will die Mängel bei verdeckten Ermittlungen abstellen
Das Betreten etlicher Privatwohnungen, etwa für Partys, könnte dagegen legitim gewesen sein, um ihre Tarnung nicht zu gefährden. In den Akten finden sich deutliche Hinweise darauf, dass „Iris Schneider“ sehr tiefe Kontakte in der Szene aufbaute und daneben kaum noch ein privates Leben abseits der Ermittlungen führte.
Laut Revisionsbericht häufte die Ermittlerin 353 Tage an Mehrarbeit an, auch nach einer Besprechung mit ihren Einsatzführern sei die Frau weiterhin nahezu ununterbrochen in der Szene aktiv gewesen. „Deutlich gesagt war die VE-Führung zu lasch“, sagte Gabriele Schipper vor dem Innenausschuss. Eine so hohe Arbeitsbelastung könne zu einem Verschmelzen mit der Szene, zur Korrumpierung des eigentlichen Ermittlungseinsatzes führen.
Dass die Ermittlerin auch eine Liebesbeziehung in der linken Szene einging, wie von Linksautonomen behauptet, konnte durch die Prüfung der Innenbehörde nicht bestätigt werden. Hier müssten auch die Ermittlungen zu neuen Hinweisen auf einen konkreten Autonomen abgewartet werden, die von der Polizei geführt werden. Sehr kritisch bemerkten die Revisionäre, dass es unter den Einsatzführern keine einheitliche Meinung dazu gebe, ob eine Affäre im Einsatz tolerierbar sei: Vielmehr fanden einige Führungskräfte nach Befragungen, dass es auf die Umstände ankomme, während andere ein „klares Verbot“ für Liebe im verdeckten Einsatz sehen würden.
Die Einsatzführer wussten offenbar „überhaupt nicht“ Bescheid, wie es der Ermittlerin im Einsatz persönlich ging. „Ein ,Alles bestens‘ auf die Frage nach dem Wohlergehen reicht nicht aus“, sagte Schipper. Die Revision empfiehlt dem Senat: ein Meldesystem für schwerwiegende Probleme im Einsatz, eine jährliche Überprüfung der Richtlinien für verdeckte Ermittler, klarere Anweisungen und eine engere Handhabe der verdeckten Ermittler. Alle insgesamt 17 Vorschläge will Neumann nach eigenen Worten zunächst prüfen.
Polizeipräsident bezeichnet den Einsatz von „Maria Block“ als rechtens
Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bestätigte, dass die in dieser Woche enttarnte „Maria Block“ zwischen 2009 und 2012 als verdeckte Ermittlerin arbeitete. Sie nahm auch im Ausland an Protestaktionen teil. Diese Aktionen seien mit dem Bundeskriminalamt und den örtlichen Behörden abgestimmt worden. Die Behauptungen über ein sexuelles Verhältnis und Straftaten im Einsatz seien möglicherweise aus der Luft gegriffen: „Wir haben keine Hinweise auf ein Fehlverhalten. Im Übrigen gilt die Unschuldsvermutung.“ Der Einsatz soll weiter genau untersucht werden. Die heute 32-Jährige lässt sich derzeit zur Kommissarin ausbilden.