Hamburg. Senator zeigt sich nach verfrühter Haftentlassung von Hakan und Ali Y. “beunruhigt“. Kommen jetzt Umstrukturierungen im Strafvollzug?

Im Fall der beiden wegen Totschlags zu hohen Haftstrafen verurteilten Männer, die aufgrund zu langer Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, hat sich jetzt Justizsenator Till Steffen (Grüne) zu Wort gemeldet. „Als ich die Entscheidung las, war ich sehr beunruhigt“, sagte der Senator im Gespräch mit dem Abendblatt. „Das ist nicht das, was man sich wünscht. Wenn die Beweise in erster Instanz für eine Verurteilung ausgereicht haben, dann will man auch, dass die Täter ihre Strafe antreten“, sagte Steffen, der zurzeit Urlaub in den USA macht. „Ich kann verstehen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts bei vielen Menschen auf Unverständnis stößt.“

Die Opposition wirft Steffen und dem rot-grünen Senat vor, für die Haftentlassung politisch verantwortlich zu sein, weil sie die Gerichte personell nicht ausreichend ausgestattet hätten. Die seit Monaten geführte Diskussion über die Überlastung von Gerichten und Staatsanwaltschaften könnte nun allerdings eine Wende nehmen. „Es ist mein Ziel, Gerichte und Staatsanwaltschaften von weiteren Sparverpflichtungen auszunehmen“, sagte Steffen. „Das will ich vor allem durch Umstrukturierungen im Strafvollzug erreichen. Wir haben 2000 Haftplätze, aber nur 1500 Strafgefangene.“ Steffen weiter: „Die Justiz ist an der Grenze der Belastbarkeit. Das gilt besonders für die Sozialgerichte, den nicht richterlichen Bereich des Amtsgerichts sowie die Staatsanwaltschaften.“

Darum geht es: Am Wochenende war bekannt geworden, dass die beiden Cousins Hakan Y. und Ali Y. bereits im Mai aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren, nachdem sie Haftbeschwerde eingelegt hatten. Hakan Y. war im Oktober 2014 zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil das Landgericht es als erwiesen ansah, dass er in der Nacht zum 24. Juni 2012 einen 22-Jährigen vor der Gaststätte The Spot an der Holstenstraße (Altona) erschossen hatte. Ali Y. wurde wegen Mittäterschaft zu sieben Jahren verurteilt. Weil die Cousins in Revision gingen, war das Urteil jedoch noch nicht rechtskräftig.

Verfahrensverzögerung habe "organisatorische Gründe"

Das Oberlandesgericht (OLG) ordnete im Mai an, die Angeklagten „unverzüglich aus der Haft zu entlassen“, weil es „vermeidbare Verfahrensverzögerungen“ von mehr als sieben Wochen gegeben habe. Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig, obwohl das Gericht durchaus die Gefahr sah, dass sich die Cousins „dem Strafverfahren entziehen“ würden. Zumindest im Fall des Haupttäters Hakan Y. scheint das auch tatsächlich der Fall zu sein.

Verantwortlich für die zu lange Verfahrensdauer ist aus Sicht des OLG vor allem eine verzögerte Bearbeitung der Protokolle der Hauptverhandlung. Zudem war der Vorsitzende Richter der Strafkammer zu Jahresbeginn überraschend gestorben, sodass die stellvertretende Vorsitzende den Fall verantwortlich übernehmen musste.

Steffen wies den Vorwurf zurück, die unzureichende Personalausstattung der Gerichte habe zu der langen Verfahrensdauer geführt: „Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der schwierigen Personallage der Gerichte insgesamt und dieser Haftentscheidung.“ In diesem Fall gehe es um „spezielle organisatorische Gründe, die zu einer Verfahrensverzögerung geführt haben, die aus Sicht des OLG vermeidbar gewesen wäre“.

Steffen bezeichnete die Personal­lage der Gerichte insgesamt als an­gespannt. „Aber wir sind nach wie vor nicht in der Situation wie Ende der 90er Jahre, als Verfahren zum Teil nicht rechtzeitig vor Ablauf der sechsmonatigen Frist der Untersuchungshaft eröffnet werden konnten“, sagte der Senator. „Das wird jetzt genau kontrolliert. Das können wir gut im Griff halten.“

Der Justizsenator verwies auf den Koalitionsvertrag, in dem sich SPD und Grüne darauf verständigt hatten, die Arbeitsbelastung von Gerichten und Staatsanwaltschaften genau zu untersuchen. „Es gibt drei Kriterien: Eingangszahlen, Verfahrensdauer und Komplexität der Verfahren“, so der Senator. Da die Zahlen neuer Verfahren insgesamt eher rückläufig seien, komme es vor allem auf das Thema Verfahrenskomplexität an. „Da brauchen wir klare Daten“, so Steffen. „Die Staatsanwaltschaft hat darüber bereits ausführlich berichtet. Auf den Beitrag zum Beispiel des Landgerichts warte ich noch. Ich bin aber mit allen Beteiligten in Gesprächen“, sagte der Senator.

In diesem Zusammenhang ist es zumindest auf den ersten Blick überraschend, dass Landgerichtspräsidentin Sibylle Umlauf zum 1. August verfügt hat, eine Große Strafkammer zu schließen und stattdessen eine weitere Zivilkammer einzurichten. Die Entscheidung war allerdings bereits im April gefallen, also vor der Haftentlassung von Hakan und Ali Y. Nach Informationen aus dem Landgericht hatte es vermehrt von Anwaltsseite und der Handwerkskammer Klagen über zu lange Verfahrensdauern im Zivilbereich gebeben.

Opposition fordert zwölf zusätzliche Richterstellen

Die Opposition hält nicht nur ein Ende des Sparkurses, sondern eine Personalaufstockung in der Justiz für erforderlich. „Wir brauchen zum Erhalt der Funktionsfähigkeit der Hamburger Justiz sieben zusätzliche Richterstellen beim Landgericht, fünf Stellen bei der Staatsanwaltschaft und zwei für eine psychosoziale Prozessbegleitung“, sagte Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion.

„Wir verlangen, dass der Justiz­senator unverzüglich ein konkretes Personalkonzept für die Neustrukturierung des Justizvollzuges vorlegt“, sagte die FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels. „Unsere Vorschläge zu einer gegenfinanzierten Aufstockung des Personals im Umfang von zwölf Richtern und Angestellten bei den Gerichten liegen bereits auf dem Tisch“, so die FDP-Politikerin weiter. Steffen wäre gut beraten, wenn er angesichts der Lage sofort nach Hamburg zurückkehre.

Nach einem Bericht der „Welt“ will zumindest einer der beiden Cousins seine Haftstrafe antreten, nachdem das Urteil mittlerweile rechtskräftig ist. „Ali Y. ist nicht flüchtig“, sagte sein Rechtsanwalt Gerhard Strate der Zeitung. „Der Staatsanwaltschaft ist die Adresse bekannt, bislang ist keine Ladung zum Haftantritt eingegangen.“