Hamburg. Generalstaatsanwalt von Selle will den Linken-Politiker offenbar anklagen – der zuständige Staatsanwalt nicht. Eine Behörden-Posse.

Der Linken-Politiker Gregor Gysi sorgt für eine ungewöhnliche Auseinandersetzung in der Hamburger Staatsanwaltschaft: Generalstaatsanwalt Lutz von Selle hat nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ die Weisung erteilt, Gysi anzuklagen. Es geht um den Vorwurf einer falschen eidesstattlichen Versicherung, die Gysi im Zusammenhang mit seinen möglichen Stasi-Kontakten abgegeben hat.

Das Pikante: Der zuständige Staatsanwalt weigert sich, Anklage gegen Gysi zu erheben, und hat gegen die Weisung von Selles remonstriert, weil er keinen hinreichenden Tatverdacht sieht. Jetzt ist Justizsenator Till Steffen (Grüne) am Zug. „Der Justizbehörde liegt eine Beschwerde eines Beamten gegen eine Weisung vor, die er nicht für rechtmäßig hält. Und darüber, über diese Beschwerde, müssen wir nun entscheiden“, sagte Behördensprecherin Marion Klabunde. Zu Inhalten wollte sie sich nicht äußern.

Darum geht es: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet“, behauptete Gysi in einer eidesstattlichen Versicherung vom 18. Januar 2011. Vor dem Landgericht wehrte sich der Linken-Politiker damals gegen eine Dokumentation des NDR unter dem Titel „Die Akte Gysi“. Darin ging es um angebliche Kontakte des damaligen DDR-Rechtsanwalts zur Stasi und um die Frage, ob Gysi „IM Notar“ und/oder „IM Gregor“ war. Gysi bestreitet das seit mehr als 20 Jahren.

Mittlerweile ist ein neuer Stasi-Aktenvermerk aufgetaucht, der erneut Zweifel an Gysis Position aufkommen lässt. Ein pensionierter Richter erstattete daraufhin Strafanzeige gegen Gysi, und die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld zog nach. Trotz mehrfacher Ankündigung sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Die Strafrechtsabteilung der Behörde prüft zurzeit, ob die Anklageerhebung gegen Gysi rechtlich vertretbar ist. Falls das der Fall ist, würde die Remonstration des Beamten zurückgewiesen. Dabei ist es unerheblich, ob auch ein Verzicht auf die Anklageerhebung rechtlich möglich, also vertretbar, wäre. Das Ergebnis der Prüfung wird Steffen vorgelegt, der dann abschließend entscheidet. In der Justizbehörde ist kein Fall erinnerlich, in dem ein Staatsanwalt gegen eine Weisung des „Generals“ remonstriert hätte. (pum)