FDP wählt die Fraktionschefin auch zur Parteivorsitzenden. Die 38-Jährige vereint eine Machtfülle auf sich wie kaum ein Vorgänger. Neuer Stellvertreter Lambsdorff begeistert die liberalen Delegierten.

Hamburg. Die Nachricht, die Katja Suding am Sonnabendmorgen erreichte, hätte unpassender kaum sein können. Zwei Prozent! Ganze zwei Prozent der Hamburger würden derzeit noch FDP wählen, musste die Fraktionschefin am Morgen im Abendblatt lesen. „Ich muss gestehen, als ich die Zeitung aufgeschlagen habe, stockte auch mir der Atem“, sagte sie später. Da war sie bereits auf dem Sonderparteitag, auf dem sie zur neuen Vorsitzenden der Elb-Liberalen gewählt werden sollte. Es gibt bessere Startvoraussetzungen als so ein Umfrageergebnis.

Doch die 38-Jährige drehte den Spieß sofort um und blickte kämpferisch nach vorn: „Zwei Prozent sind nicht das, was wir uns erhoffen. Aber jetzt wissen wir, wo wir stehen“, sagte sie in ihrer Bewerbung vor den rund 150 Parteifreunden im Bürgersaal Wandsbek und versprach: „Mich spornt das an, ich werde mich jetzt erst recht ins Zeug legen.“ Offensichtlich traut eine Mehrheit ihrer Parteifreunde ihr zu, wie 2011 aus einem schlechten Umfrage- ein gutes Wahlergebnis zu machen – und wählte sie zur neuen Vorsitzenden der FDP Hamburg. Suding ist die Nachfolgerin von Sylvia Canel, die im Spätsommer überraschend zurückgetreten war, zusammen mit weiteren Mitgliedern der FDP den Rücken gekehrt und die Partei Neue Liberale gegründet hatte.

Suding erhielt 70,6 Prozent der Stimmen: 84 von 119 Delegierten stimmten für sie, 28 dagegen, sieben enthielten sich. Nachdem das Ergebnis verkündet worden war, gab es lang anhaltenden Applaus – so manchem Parteimitglied schien ein Stein vom Herzen zu fallen, dass wenigstens diese Baustelle vorerst geschlossen ist. „Für eine Partei, die traditionell eine starke Abneigung gegen die Vereinigung von Landes- und Fraktionsvorsitz hat, ist das ein sehr gutes Ergebnis“, befand die neue Vorsitzende nach ihrer Wahl.

Mit dem Bekleiden beider Spitzenämter vereint die 38-Jährige eine Machtfülle auf sich wie kaum ein Vorgänger. Die Liberalen in der Hansestadt hatten stets streng auf einer Trennung von Landes- und Fraktionsvorsitz bestanden, daher war Suding im Frühjahr 2013 mit ihrem ersten Anlauf auf den Parteivorsitz noch gescheitert. Stattdessen wurde die damalige Bundestagsabgeordnete Sylvia Canel gewählt. Infolge nahm die als „Zickenkrieg“ bezeichnete Auseinandersetzung zwischen Canel und Suding noch an Heftigkeit zu und gipfelte in der Frage, ob Canel sich nun auch für ein Bürgerschaftsmandat bewerben dürfe. Suding wollte den Zwist nicht auch noch in die Fraktion tragen und sprach sich offen dagegen aus. Wenige Monate später verließ Canel die Partei – offiziell, weil sie das sozialliberale Element vermisste.

Die bis dahin nahezu unbekannte PR-Frau Suding hatte die Hamburger FDP 2011 als Spitzenkandidatin nach sieben Jahren außerparlamentarischer Opposition mit 6,7 Prozent zurück in die Bürgerschaft geführt. Auch für die Wahl am 15. Februar wurde die zweifache Mutter bereits im Sommer wieder auf Platz eins der FDP-Landesliste gewählt. Mit Blick auf die innerparteilichen Gräben rief sie auf dem Parteitag zur Geschlossenheit auf. „Wir sollten lieber miteinander sprechen als übereinander.“ Facebook zum Beispiel solle man lieber zum Transportieren von Inhalten nutzen als dort „Parteifreunde anzugreifen“, so Suding. Das konnte als Anspielung auf zwei prominente FDP-Mitglieder verstanden werden: Petra Wichmann-Reiß hatte Burkhardt Müller-Sönksen erst am Freitag vor dem Parteitag vor Gericht gebracht, weil der frühere Bundestagsabgeordnete sich im Internet abfällig über sie geäußert hatte. Die Posse endete mit einer Entschuldigung Müller-Sönksens.

„Ich mache mir keine Illusionen“, bekannte Suding, „die nächsten drei Monate werden hart.“ Das Ziel müsse es sein, bei der Wahl im Februar erneut ins Parlament einzuziehen. Und sie wolle auch nicht nur Politik in der Opposition machen, „sondern in einer Regierungskoalition“. Mit Attacken auf die allein regierende SPD hielt sie sich auffallend zurück, abgesehen von der Ablehnung des „unsinnigen Busbeschleunigungsprogramms“, wie sie sagte. Zuvor hatte die Partei beschlossen, die Volksinitiative zum Stopp des Busbeschleunigungsprogramms zu unterstützen.

Heimlicher Star der Versammlung war ein neuer stellvertretenden Parteivorsitzender: Magnus Graf Lambsdorff, ein Neffe des ehemaligen Bundesministers und FDP-Bundesvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff, begeisterte die Hamburger Delegierten mit einer starken Rede und wurde mit 89 Prozent (104 von 117 Stimmen) in den Landesvorstand gewählt. „Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, einen aktiveren Beitrag in meiner Heimatstadt Hamburg zu leisten“, sagte der Wirtschaftsexperte, der in den vergangenen Jahren viel im Ausland unterwegs gewesen war. Er stellte die Rolle der FDP als Alternative zu Rot-Grün heraus: „Immer wenn die FDP beteiligt war, ging es Hamburg danach besser, immer wenn die Grünen beteiligt waren, ging es der Stadt danach schlechter.“ Auch für sein wichtigstes Thema, die Digitalisierung der Wirtschaft, fand er plakative Worte: „Wir müssen nicht die Busse beschleunigen, sondern das Internet.“ Dafür gab es viel Applaus.

Zweiter neuer stellvertretender Landesvorsitzender wurde Claas Voigt: Er setzte sich mit 65 zu 49 Stimmen gegen Ewald Aukes durch. Nötig geworden waren die Wahlen, weil außer Sylvia Canel auch ihre Stellvertreter Najib Karim und Dieter Lohberger aus der FDP ausgetreten waren.

Im weiteren Verlauf trafen die Liberalen noch eine wegweisende Entscheidung: Mit 75,2 Prozent sprachen sie sich für die Abschaffung des Delegiertensystems aus. Wie bei den Grünen auch entscheiden über alle wichtigen Punkte künftig Vollversammlungen, an denen alle Mitglieder teilnehmen dürfen. Und deren Zahl, zuletzt auf rund 1000 gesunken, wächst wieder, wie Suding sagte: „Wir haben erstmals seit Monaten mehr Ein- als Austritte.“