Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer erläutert, warum die Wirtschaft den Rückkauf der Energienetze ablehnt. Die Handelskammer hat sich dem Bündnis „NEIN zum Netzkauf!“ angeschlossen.
Altstadt. Die Handelskammer hat sich im Streit um den Rückkauf der Energienetze klar positioniert: Sie hat sich dem Bündnis „NEIN zum Netzkauf!“ angeschlossen. Präses Fritz Horst Melsheimer erklärt im Abendblatt-Interview die Gründe, verteidigt sich gegen Vorwürfe ungerechtfertigter Parteinahme und sagt, dass er den Volksentscheid für legitim hält, obwohl es um eine so hohe Summe geht. Dennoch sieht Melsheimer einen gravierenden Nachteil der direkten Demokratie.
Hamburger Abendblatt: Herr Melsheimer, mittlerweile sehen es alle Parteien als Fehler an, die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) verkauft zu haben. Was ist so falsch daran, zumindest die Energienetze zurück in kommunale Hand zu holen, wie es die Volksinitiative beim Volksentscheid durchsetzen will?
Fritz Horst Melsheimer: Wir haben den Verkauf nicht als Fehler eingeschätzt, sehr wohl aber, dass Vattenfall den Namen HEW nicht beibehalten hat. Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist. Dafür gibt es zu viele praktische Beispiele von Staatsversagen. Nehmen Sie zum Beispiel die HSH Nordbank.
Was spricht aus Ihrer Sicht sonst noch gegen den vollständigen Rückkauf der Energienetze?
Melsheimer: Es hat einfach keinen Sinn und keinerlei Nutzen, dass der Staat Eigentümer der Energienetze wird. Da sie streng reguliert sind, bringt ihr Erwerb keine Vorteile, weder für den Klimaschutz noch für die Versorgungssicherheit oder die Wettbewerbssicherheit oder die Energiepreise. Wenn etwas überhaupt keinen Nutzen bringt, muss man dafür auch kein Geld ausgeben. Schon gar nicht insgesamt etwa zwei Milliarden Euro, die der vollständige Netzrückkauf wohl kosten würde.
Nun kann man aber mit den Netzen Geld verdienen. Deswegen wollen Vattenfall und E.on sie ja auch behalten.
Melsheimer: Das mag sein, aber da kommen wir wieder zum Anfang: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Man kann als Unternehmen mit den Netzen nur Gewinne machen, wenn man sie professionell und effektiv betreibt und die Risiken im Griff hat. Die Kompetenz dazu haben die Unternehmen, die das seit vielen Jahrzehnten tun. Die Stadt hat sie nicht. Sie müsste erst einmal ein eigenes Unternehmen aufbauen. Das kostet Zeit. Deshalb würde uns der Netzerwerb bei der Energiewende zurückwerfen. Auch deshalb, weil lange juristische Auseinandersetzungen drohen. Es kostet zweitens viel Geld. Und drittens besteht die Gefahr, dass die Netze nicht effizient betrieben und damit zum Verlustgeschäft werden, für das dann die Steuerzahler aufkommen müssen. Im Übrigen ist das ein so stark regulierter Markt, dass sich wirklich große Gewinne kaum machen lassen.
Es haben sehr viele deutsche Kommunen die Netze zurückgekauft, auch Städte wie das CDU-regierte Dresden etwa. Andere, wie München, haben nie privatisiert und fahren mit ihren Stadtwerken sehr gut. Warum sollte das in Hamburg nicht ähnlich sein?
Melsheimer: Ich will Ihnen sagen, warum es gerade in Hamburg nicht sinnvoll ist, das ganze Netz zurückzukaufen, sondern es besser ist, der Lösung zuzustimmen, die der Bürgermeister ausgehandelt hat – nämlich die Beteiligung der Stadt mit 25,1 Prozent. Erstens haben wir kein eigenes Unternehmen zum Betrieb der Netze. Zweitens wäre unklar, ob ein neues, eigenes Unternehmen die Konzession für das Stromnetz überhaupt bekommt. Und drittens haben Vattenfall und E.on Investitionen von 1,6 Milliarden Euro zugunsten der Energiewende zugesagt. Den Betrag müssten die Steuerzahler ebenfalls zusätzlich zum Kaufpreis für die Netze aufbringen.
Dass Sie jetzt für die 25,1 Prozent Lösung werben, ist interessant. Die Kammer war ursprünglich gegen jede Beteiligung.
Melsheimer: Das ist richtig. Wir haben uns seit 2009 intensiv in unseren Gremien mit dem Thema beschäftigt und uns gegen jede Beteiligung ausgesprochen. Die 25-Prozent-Lösung des Bürgermeisters haben wir als politstrategischen Kompromiss akzeptiert. Die Wirtschaft kann damit gut leben. Die vom Senat gewählte Variante ist allemal besser als ein vollständiger Rückkauf der Netze. Sie sehen ja an dem aus 15 Partnern bestehenden Bündnis „NEIN zum Netzkauf!“, dem neben unserer Handelskammer auch Gewerkschaften, Steuerzahlerbund und andere Verbände angehören, dass es in unserer Stadt noch nie eine so breite Unterstützung ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen gegen einen offenkundig unvernünftigen Vorschlag gab.
Wobei manche Kammermitglieder und etwa die Grünen es gar nicht gut fanden, dass sich die Handelskammer in dieser Frage so klar positioniert hat.
Melsheimer: Es gibt klare Beschlüsse unserer Gremien mit sehr eindeutigen Mehrheiten dazu. Insofern ist die Kammerführung voll demokratisch legitimiert, sich so festzulegen. Aber eines möchte ich hier noch einmal klarstellen: Wir verwenden keine Mitgliedsbeiträge für die Anzeigen-Kampagne gegen den Netzkauf. Die Anzeigen wurden allein durch Spenden finanziert. Ich denke, dass vielleicht eher der eine oder andere auf der Gegenseite ein Legitimitätsproblem hat.
Sie meinen Verbraucherzentrale und Kirche, die zu den Mitbegründern der Volksinitiative gehören.
Melsheimer: Ja, zum Beispiel. Ich wüsste nicht, dass es zu den Kernaufgaben der Verbraucherzentrale gehört, sich dafür einzusetzen, dass der Staat Energieleitungen kauft. Bei der Kirche ist es ja offenbar nur der Kirchenkreis Hamburg-Ost, der sich engagiert. Aber mir ist nicht bekannt, dass es darüber einen Gremienbeschluss gab, dass sich etwa die Synode mit der Frage des Netzkaufs beschäftigt hätte.
Glauben Sie, dass so zentrale Fragen, wie die über die Energienetze überhaupt durch Volksentscheide entschieden werden sollten?
Melsheimer: Dieses Instrument ist von der Politik so eingeführt worden, deswegen wird nun einmal auch auf diese Weise entschieden. Das ist legitim. Andererseits hat es auch gravierende Nachteile, komplexe Fragen durch direkte Abstimmungen entscheiden zu lassen: Es kommen so viele Emotionen ins Spiel. Und das trägt nicht unbedingt zu einer sachlichen Debatte und einer nüchternen, kühlen Entscheidung bei. Parlamentarische Gremien arbeiten sich ja viel intensiver in die Themen ein als es jeder einzelne Bürger kann – das gilt natürlich umso mehr bei so komplizierten Themen wie dem Rückkauf der Energienetze.
Wie wird der Volksentscheid ausgehen?
Melsheimer: Ich traue mir da derzeit keine wirkliche Prognose zu. Ich hoffe aber sehr, dass die Hamburger eine vernünftige Entscheidung fällen und gegen den Rückkauf der Energienetze stimmen. Das Geld können wir an anderer Stelle wirklich sinnvoller einsetzen.
Neben dem Volksentscheid, das gerät in Hamburg fast in den Hintergrund, wird am 22. September auch ein neuer Bundestag gewählt. Aus der Sicht der Wirtschaft: Ist es besser, wenn Angela Merkel Kanzlerin bleibt, oder ist Peer Steinbrück nicht doch der bessere von den beiden?
Melsheimer: Persönlich schätze ich beide Kandidaten sehr. Aber das Programm, mit dem Peer Steinbrück und die Bundes-SPD in den Wahlkampf ziehen, ist wirtschaftsfeindlich. Sie wollen die Einkommenssteuern erhöhen und die Vermögenssteuer einführen. Das ist Gift für die Wirtschaft. Das wird Arbeitsplätze vernichten, das ist aus Sicht der Wirtschaft nicht zu begrüßen.