Wie Bürgermeister Olaf Scholz die scharfe Kritik von Nikolaus W. Schües in Sachen Baustillstand an der Elbphilharmonie parierte.
Der Angriff kam dann doch nicht überraschend, aber auf nüchternen Magen. Es war um kurz nach 20 Uhr am Donnerstag, Olaf Scholz hatte gerade seinen Platz an Tisch fünf im Großen Festsaal des Hotels Vier Jahreszeiten eingenommen, als sein Sitznachbar Nikolaus W. Schües ans Podium schritt - und seinen hochrangigen Gast in einer Art und Weise abkanzelte, wie Hamburger Bürgermeister das selten erleben.
Der Freundeskreis der Elbphilharmonie, der zu diesem exklusiven Dinner eingeladen hatte und dessen Vorsitzender Schües ist, erwarte endlich "Vollzugsmeldungen" von Scholz, der nun schon ein Jahr andauernde Baustillstand sei eine "schwere Belastung" für die Stadt, und überhaupt müsse das Jahrhundertprojekt "aus dem dunklen Nebelkreis herauskommen", forderte Schües. Als er den Bürgermeister auch noch mit dessen früherer Aussage konfrontierte, wonach er bei dem Projekt auf der "Zielgeraden" sei und dann spöttisch fragte: "Wie lang müssen wir uns Ihre Zielgerade vorstellen?", war die Spannung mit Händen zu greifen.
Ein Dinner-Gast bekannte später, er habe es noch nicht erlebt, dass sich jemand vor Publikum so eine Verbalattacke gegen den Bürgermeister traut. Dass im Anschluss zwei preisgekrönte Nachwuchsmusiker die Gäste mit Schumann-Romanzen auf Violoncello und Klavier milde stimmten, änderte nichts an der Frage des Abends: Wie würde Scholz diesen Angriff parieren?
Um das einordnen zu können, muss kurz die Vorgeschichte dieses Dinners betrachtet werden. Dem Freundeskreis gehören allerlei prominente und einflussreiche Bürger an, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für die Elbphilharmonie zu werben. Die mehr als 50 Millionen Euro an Spenden für das Konzerthaus stammen im Wesentlichen von Mitgliedern dieses Zirkels. Der Besuch eines Senatsmitglieds bei so einem Dinner entspricht also der Erwartung und dem Selbstverständnis der "Freunde".
Dass Olaf Scholz an diesem Donnerstag zu Gast sein würde, stand denn auch seit Monaten fest. Allerdings war er bis kurz vor der Veranstaltung nur darauf eingestellt, ein knappes "Grußwort" auszurichten. Ausweislich des Manuskripts, das bereits fertig vorlag, wollte Scholz den Freundeskreis für sein Engagement loben, wollte auf den Streit mit dem Baukonzern Hochtief nur am Rande eingehen und ansonsten harmlose Allgemeinplätze vortragen.
Den Bürgermeister derart arglos auflaufen zu lassen, das hatte Schües - als Inhaber der traditionellen Laeisz-Reederei und ehemaliger Präses der Handelskammer mit den politischen Usancen vertraut - aber nicht im Sinn. Also ließ er dem Senatschef seine Rede fairerweise am Donnerstagnachmittag zukommen. Das verfehlte seine Wirkung nicht: Scholz knickte sein Manuskript und entschied: "Ich rede frei!" Wie aus dem Rathaus zu hören ist, war der Bürgermeister aber "not amused".
Denn der Erste-Hilfe-Koffer für Politiker enthält für solche Situationen kein Allheilmittel. Die Attacke einfach aussitzen und stoisch ein Grußwort halten - das wäre den berechtigten Erwartungen des Freundeskreises nicht angemessen gewesen. Zum Gegenangriff übergehen und den Geldgebern der Elbphilharmonie mal ordentlich die Meinung geigen - schied aus naheliegenden Gründen aus. Oder kapitulieren und alle Karten auf den Tisch legen? Dann hätte er die Verhandlungen mit Hochtief auch gleich auf den Rathausmarkt verlegen können.
Also entschied sich der "kampferprobte" Politiker (Scholz über Scholz) für einen Mix aus Einlullen, Umarmen und Offensive. Schües hatte mit der Aufzählung der großen Probleme der Stadt eine Vorlage geliefert, die Scholz geschickt aufgriff. Und so schmeichelte er zunächst den Zuhörern durch Verweis auf ihren Sachverstand, sprach dann ausführlich über die HSH Nordbank, dann über die Elbvertiefung, um schließlich, nach einem langen Exkurs über die "eisernen" Regeln seiner Haushaltspolitik, endlich zur Elbphilharmonie zu kommen. Da waren 23 seiner 31 Minuten langen Rede vorbei.
Das sei "situationsangepasstes Verhalten", erklärt ein erfahrener SPD-Stratege. "Man muss den Diskussionsradius vergrößern, um die Zusammenhänge klarzumachen." Tatsächlich bekam Scholz für seine finanzpolitische Begründung, warum er den Streit mit Hochtief eben nicht mit einem großen Scheck lösen könne - wie Schües es indirekt angeregt hatte -, ebenso wie für seine Bitte um Vertrauen in seine Problemlösungskompetenz mindestens so viel Applaus wie Schües zuvor für seine Brandrede. Befördert wurde die wohlwollende Reaktion der "Freunde" auch durch Scholz' unerwartet konkrete Ankündigung, der Streit mit Hochtief werde bis Weihnachten gelöst, so oder so.
Vielleicht war das der entscheidende Unterschied zu einer eher verunglückten Spontan-Intervention des Bürgermeisters. Als er vor wenigen Wochen in der Bürgerschaft wegen exakt der gleichen Probleme mächtig im Feuer stand, ließ Scholz das lange, sehr lange über sich ergehen, bevor er überraschend doch in die Debatte eingriff. Allerdings hatte er damals nichts Neues zu verkünden und schob die Schuld im Wesentlichen den Vorgänger-Senaten zu. Dafür gab es viel Kritik - offensichtlich ist die bei Scholz angekommen.
Die Möglichkeit, überhaupt zu reagieren, hat übrigens auch ein Bürgermeister nicht immer. Bei der "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns" am Silvestertag in der Handelskammer ist es zum Beispiel Usus, dass der Kammer-Präses dem Senat die Leviten liest, ohne dass dieser darauf etwas erwidern darf. In der Regel absolvieren das beide Seiten mit Anstand. Eine Ausnahme gab es 2009: Damals warf ein Unternehmer Ole von Beust (CDU) vor, die Bürger in Sachen Primarschule "für dumm" zu verkaufen. Das ging dem Bürgermeister dann doch zu weit, tags darauf schlug er via Abendblatt zurück: "Das ist taktlos." Er bitte die Versammlung zu überdenken, "ob das der richtige Stil ist". So weit, immerhin, ist es bei Scholz und seinen "Freunden" noch nicht.