Die Kosten, die Gefahren, die Argumente. Die wichtigsten Fragen und Antworten über ein Großprojekt, das als “nationale Aufgabe“ gilt.
Hamburg. Nach dem vorläufigen Stopp der Elbvertiefung hat die HHLA am Donnerstag ihre Vortagesverluste ausgeweitet. Die Titel des Hamburger Hafen- und Logistikkonzerns standen mit einem Minus von 3,9 Prozent auf 18,50 Euro am MDax -Ende und waren so billig wie seit Mitte August nicht mehr. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, einem Eilantrag von Umweltverbänden stattzugeben, könnte den Beginn des Elbausbaus um ein Jahr oder mehr verzögern, erklärten die Analysten von HSBC. Sie stuften die HHLA-Aktien herunter auf „neutral“ von „overweight“ und senkten das Kursziel auf 22 von 23 Euro.
Aus Sicht der Hamburger Wirtschaft, vor allem der maritimen, ist die Entscheidung zur Elbvertiefung eine Art Super-GAU. Aus Sicht von Umweltschützern ist es ein großer Erfolg. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Projekt und der Gerichtsentscheidung:
Worum geht es bei der Elbvertiefung?
Im Prinzip geht es darum, dass Frachtschiffe mit etwa einem Meter mehr Tiefgang als bisher auf der Elbe fahren dürfen und sie dann mehr Ladung als bisher transportieren können.
Tidenunabhängig, also auch bei Niedrigwasser, soll künftig ein Tiefgang von 13,50 Metern auf der etwa 100 Kilometer langen Strecke zwischen Cuxhaven und Hamburg möglich sein, bei Flut auch mehr. Geplant ist auch eine sogenannte Begegnungsbox bei Wedel, wo sich dann auch zwei sehr breite Schiffe begegnen können. Das soll die Konkurrenzfähigkeit des größten deutschen Hafens gegenüber Mitbewerbern wie Rotterdam und Antwerpen erhalten.
Hauptargument der Befürworter sind die knapp 155.000 Arbeitsplätze, die direkt und indirekt vom Hamburger Hafen abhängig sind. Zudem gebe es eine Tendenz zu immer größeren Schiffen, die dann zunehmend Probleme auf der Elbe bekämen. Reedereien könnten daher Hamburg von ihren streng getakteten Fahrplänen streichen, so die Befürchtung. Hamburg und die Bundesregierung sprechen bei der Elbvertiefung daher auch von einer "nationalen Aufgabe". Umstritten ist aber, ob Schiffe tatsächlich mehr Tiefgang auf der Elbe benötigen.
Gegner der Vertiefung verweisen darauf, dass die Maximaltiefgänge schon jetzt selten ausgenutzt würden.
Was hat das Gericht nun konkret entschieden?
Das Bundesverwaltungsgericht hat einem Eilantrag der Kläger entsprochen und einen Baustopp verfügt, bis im Hauptsacheverfahren über das Projekt entschieden wird. Dieses Verfahren wird aber voraussichtlich erst Ende 2013 beginnen, wie das Gericht ankündigte. Möglich ist auch noch, dass der Europäische Gerichtshof sich mit dem Fall beschäftigt - was eine weitere Verzögerung zur Folge hätte. Möglicherweise um Jahre.
Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?
Der Ausgang des Rechtsstreits sei offen, eine Entscheidung erfordere eine umfangreiche Prüfung. Bei einem Beginn der Arbeiten könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Schäden kommt, die später nicht wieder ausgeglichen werden können.
Wer ist eigentlich der Auftraggeber des Projekts?
Das ist nicht die Hansestadt Hamburg, wie oft angenommen wird, sondern die Bundesrepublik Deutschland - vertreten durch die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord (WSD Nord) mit Sitz in Kiel. Erklärung: Die Elbe fällt als Bundeswasserstraße in die Zuständigkeit des Bundes.
Was bedeutet Vertiefung technisch?
Es geht zwar nicht darum, den Fluss flächendeckend von Hamburg bis Cuxhaven auszubaggern, sondern darum, "Buckel" in der Fahrrinne abzutragen. Doch auch dabei geht es um die enorme Menge von knapp 38 Millionen Kubikmetern Sand, Kies, Kleie, Schluff und Geschiebemergel, wie aus dem Gerichtsbeschluss hervorgeht. Der weitaus größte Teil des Baggerguts soll genutzt werden, um in der Elbmündung mit Unterwasserwällen die Versandung der Fahrrinne und die Strömungsgeschwindigkeit auf dem Fluss zu verringern. Maximal zwölf Millionen Kubikmeter dürfen in der Elbmündung verklappt, also ins Wasser gekippt werden.
Wie oft wurde die Elbe schon vertieft?
Geplant ist aktuell die neunte Vertiefung. Anfang des 19. Jahrhunderts lag die Wassertiefe noch bei etwa vier oder fünf Metern unter dem Seekartennull, das den Wasserstand bei Niedrigwasser angibt. Heute liegt die Tiefe bei rund 15 Metern in der Fahrrinne.
Seit wann wird geplant und wie viel kostet es?
Die umstrittene Elbvertiefung wurde 2006 beantragt und in den folgenden Jahren mehrfach überarbeitet. Die Kosten werden auf 400 Millionen Euro geschätzt, wobei einen Großteil davon der Bund als zuständiges Organ für Bundeswasserstraßen übernehmen würde.
Wer sind die Gegner des Projekts?
Gegen die Elbvertiefung wehrt sich in erster Linie das Aktionsbündnis "Lebendige Tideelbe", das eine weitere Verschlechterung des Ökosystems Elbe befürchtet. Hinter dem Bündnis stehen der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund (Nabu) und mit dem World Wide Fund For Nature (WWF) eine der weltweit größten Naturschutzorganisationen. Geklagt haben aber auch die Städte Otterndorf und Cuxhaven. Insgesamt liegen dem Leipziger Gericht 13 juristische Einwände gegen die Elbvertiefung vor.
Was für Argumente haben die Gegner?
Aus Sicht der Umweltverbände verstößt der Planfeststellungsbeschluss der WSD Nord gegen europäisches Umweltrecht. Demnach seien etwa Eingriffe, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Schutzgebiete führen können, verboten. Die Naturschützer befürchten einen dramatischen Schaden des Ökosystems Elbe, vor allem im Mündungsbereich, dem sogenannten Elb-Ästuar. Hier mischt sich das Süßwasser des Flusses mit dem Salzwasser der Nordsee und bietet Tieren und Pflanzen einen sehr speziellen Lebensraum. Der Schierlingswasserfenchel kommt weltweit nur im Elbe-Ästuar vor. In den Gemeinden und Städten fürchten die Kläger vor allem um die Deichsicherheit und warnen vor einer Verstärkung der Strömung. Cuxhaven beispielsweise sieht dadurch seinen eigenen Hafen gefährdet, weil die Zufahrt problematischer werden könnte.