Der Bürgermeister sieht “gigantische“ Haushaltsprobleme, kritisiert die eigene Politik und will stärker sparen als Schleswig-Holstein.
Hamburg. Nein, als Offenbarungseid will er das nicht verstanden wissen. Auch das Wort "Trickserei" für die Vorgänge in der Vergangenheit gefällt ihm nicht so gut. Aber eine Art Beichte ist es doch, die Ole von Beust ablegt. "Wir haben in Hamburg Jahrzehnte über die Verhältnisse gelebt, leben bis heute über unsere Verhältnisse und haben strukturelle Probleme im Haushalt, die gigantisch sind." So schonungslos selbstkritisch ist selten ein Bürgermeister vor die Öffentlichkeit getreten, wobei er als "Beichtstuhl" nicht zufällig ein schmuckloses Besprechungszimmer im ersten Stock der Finanzbehörde gewählt hat. Ein bescheidener Rahmen, um auf bescheidene Zeiten einzustimmen. Neben ihm sitzt Carsten Frigge, der Mann, auf den es künftig ankommt. Mit diesem Auftritt an diesem Ort gibt der Bürgermeister seinem neuen Finanzsenator die größtmögliche Rückendeckung für ein Sparprogramm, wie es die Stadt noch nicht gesehen hat.
+++ Beusts 500-Millionen-Loch: Hamburg muss noch mehr sparen +++
Einmal in Fahrt, löscht Beust auch endgültig das Lichtlein, das die CDU immer dann entzündet, wenn's politisch dunkel wird: dass sie den Haushalt saniert habe. Ja, sicher, sein Parteifreund Wolfgang Peiner habe als Finanzsenator mit den "Jesteburger Beschlüssen" dafür gesorgt, dass das Defizit im Haushalt heute nicht bei einer bis 1,5 Milliarden Euro (pro Jahr!) liege, sondern 400 bis 500 Millionen Euro niedriger. Aber, so Beust, "das ändert nichts daran, dass wir die Aufgabe nicht zu Ende gebracht haben". Wie bitte? Hatten sich Peiners Nachfolger Michael Freytag (ebenfalls CDU) und die gesamte Partei nicht stets damit gebrüstet, dass die Haushalte 2007 und 2008 ohne Neuverschuldung ausgeglichen waren? Hatten Freytag und Beust nicht Ende 2007 das Ende der Schuldenpolitik verkündet und im Blitzlichtgewitter die erste Million zurückgezahlt?
Gestern klang das anders. Den ausgeglichenen Haushalt 2008 habe man "erkauft durch eine extrem gute Konjunktur und durch Grundstücksverkäufe". Die Kritik der Opposition, die ihm vorwirft, die Öffentlichkeit "belogen" zu haben, lässt Beust nicht gelten, schließlich war das Vorgehen keineswegs illegal und der Haushalt für jedermann einsehbar. Der Bürgermeister räumte aber ein, dass es in Zukunft "keine kreative Bilanzierung mehr" gebe.
Diese Sätze dürften das Verhältnis zu seinem früheren Finanzsenator auf eine harte Probe stellen. Michael Freytag war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Mehr als die Frage, was war, dürfte die Bürger ohnehin interessieren, was künftig sein wird.
Wird Hamburg ähnlich radikal sparen wie der nördliche Nachbar? Im Vergleich zu den Hamburger Zahlen wirkt das schleswig-holsteinische Sparpaket, das der Ministerpräsident Peter Harry Carstensen am Mittwoch verkündet hatte, geradezu übersichtlich. Während in Kiel in den Jahren 2011 und 2012 zusammen 250 Millionen Euro eingespart werden sollen, klafft im Hamburger Etat in jedem der beiden Jahre eine Lücke von 556 Millionen Euro. Beust und Frigge wollen diese Lücke komplett durch Einsparungen schließen. Insofern lohnt sich durchaus ein Blick auf das, was sich in Schleswig-Holstein der Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) ausgedacht hat - in wesentlich kleinerem Maßstab. Frigge sieht das offenbar auch so. Er will seinen Amtskollegen in der kommenden Woche besuchen.
Sind die Kieler Sparanstrengungen Vorbild für Hamburg? Sicher nur in Teilen. Wiegard will zum Beispiel Vermögen veräußern, um Geld in die Kasse zu bekommen. Auf der Verkaufsliste steht unter anderem das Universitätsklinikum in Kiel und Lübeck. Hamburg hat die meisten Krankenhäuser schon verkauft, und das Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) dürfte unter das beustsche Versilberungsverbot fallen. Den Verkauf der Wohnungsgesellschaft Saga und der Wasserwerke hat der Bürgermeister ausdrücklich ausgeschlossen.
Schleswig-Holstein will bis 2020 jede zehnte Stelle in der Landesverwaltung abbauen. Das wäre auch in Hamburg denkbar. So sollen hier zum Beispiel Doppelzuständigkeiten bei Bezirksämtern und Fachbehörden abgebaut werden. Der Bürgermeister sagte allerdings auch: "Die Mitarbeiter der Stadt sind keine Sparschweine."
Die Kieler Landtagsfraktionen werden in den kommenden beiden Jahren zehn Prozent weniger Geld erhalten. Eine Kürzung der Diäten ist in Hamburg nicht ausgeschlossen. Ole von Beusts Kommentar dazu: "Das fällt in die Kategorie 'Es gibt keine Tabus'."
Schleswig-Holstein will bis zum Jahr 2020 insgesamt 3650 Lehrerstellen streichen. In Hamburg werden dagegen im Zuge der Einführung der Primarschule 970 neue Lehrer eingestellt. Die Pädagogen müssen sich hier offenbar nur geringe Sorgen machen, zu den Opfern des staatlichen Sparens zu gehören. "Bildung wird ein massiver Schwerpunkt unserer Politik sein", sagte der Bürgermeister gestern.
Bei allen Unterschieden zwischen Stadtstaat und Flächenstaat: Schuldenabbau ist keine einfache Aufgabe. Auf den ersten Blick hat es da Schleswig-Holstein leichter. Ende 2008 lag dort die Pro-Kopf-Verschuldung (Land und Kommunen, ohne private Schulden) bei 8927 Euro, in Hamburg aber bei 12.367 Euro. Andererseits sind die Hamburger wohlhabender als die Schleswig-Holsteiner. Im Land zwischen Nord- und Ostsee hatten die privaten Haushalte 2008 ein verfügbares Einkommen von 18.446 Euro pro Einwohner, in Hamburg waren es 23.455 Euro. Ob die 1.782.639 Millionen Hamburger deshalb die Kürzung staatlicher Ausgaben besser verkraften können als die 2.831.860 Schleswig-Holsteiner, wird sich zeigen.
Was beide Länder eint, ist die mangelhafte Vorbereitung auf die Schuldenbremse: Von 2020 an ist es den Ländern untersagt, ihre Haushalte über Kredite zu finanzieren. Gelingt das nicht, droht ein Eingreifen des Bundes. Bremen, Berlin und das Saarland könnten sich bereits darauf einstellen, sagte Frigge und setzte unheilvoll nach: "Hamburg und Schleswig-Holstein sind heiße Kandidaten für die nächste Welle."