Schmuddelwetter - Hamburg erfüllt in diesem Winter jedes Klischee. Aber auch die anderen norddeutschen Länder schneiden bescheiden ab.
Hamburg. Die norddeutsche Wetterbilanz fällt in diesem Winter ernüchternd aus. Fazit des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach: Der Winter 2010/11 war in Nordwestdeutschland erneut deutlich zu kalt. In Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen lagen die Durchschnittstemperaturen von Anfang Dezember bis Ende Februar nur zwischen minus 0,1 und minus 0,7 Grad Celsius. Am kältesten war es laut Wetterdienst unter den norddeutschen Bundesländern in Schleswig-Holstein. Im Winter zuvor hatten die Duchschnittstemperaturen im Norden zwischen 0,9 (Schleswig-Holstein) und 1,5 (Bremen) Grad Celsius gelegen.
Auch bei der Sonnenscheindauer mussten die Norddeutschen in diesem Winter Abstriche machen. Am häufigsten schien im Norden die Sonne in Bremen mit 140 Stunden. In Niedersachsen gab es lediglich 125 Sonnenstunden. Hamburg (120 Stunden) landet unter den 16 Bundesländern auf dem 14. Platz. Mit nur 95 Stunden war Kassel, die deutschlandweit sonnenscheinärmste Region.
Besonders viel bekam Hamburg in der Kategorie Niederschlag ab: In der Hansestadt fielen mit 185 Liter pro Quadratmeter sogar mehr Regen oder Schnee als im vergangenen Jahr (174 Liter) - bundesweit landete Hamburg bei der Regenmenge auf Platz 10. In allen anderen Nord-Bundesländern lagen die Niederschläge unter den Werten vom Vorjahr .
Lesen Sie dazu auch den Abendblatt-Bericht vom 18. Februar 2011:
Gefährlicher Mangel an Vitamin D bei vielen Hamburgern
Den Hamburgern fehlt Sonne. Das ist mal kein Gejammer über das Schmuddelwetter, sondern eine Aussage mit großer gesundheitlicher Bedeutung. Ohne Sonnenlicht kann in der Haut kein Vitamin D gebildet werden und das hat weitreichende Konsequenzen - wie eine erste umfassende Studie des Instituts für Osteologie und Biomechanik der Universitätsklinik Eppendorf mit 675 gesunden Hamburgern aus allen Altersstufen gezeigt hat. Bei 80 Prozent der Studienteilnehmer ist der Vitamin-D-Gehalt des Blutes so niedrig, dass Knochenschäden zu befürchten sind - denn die Stabilität des Skeletts ist maßgeblich von einem ausreichenden Vitamin-D-Gehalt im Blut abhängig. Bei jedem vierten Studienteilnehmer sind durch den Vitamin-D-Mangel bereits Knochenschäden eingetreten - ohne dass er oder sie davon weiß.
Das ist nun allerdings nicht nur ein Hamburger Problem. Oberhalb des 42. Breitengrades (in Höhe Roms) reicht die Sonnenintensität zwischen Oktober und März kaum für eine befriedigende Vitamin-D-Bildung aus, weil die entscheidenden UV-B-Strahlen zu flach auf die Erde einstrahlen. Dazu kommt bei vielen Menschen ein Alltag, der sich hauptsächlich in geschlossenen Räumen abspielt. Die Vitamin-D-Versorgung der Bevölkerung ist deshalb nicht nur in Hamburg schlecht, wie das Robert-Koch-Institut in Berlin in den letzten Jahren in mehreren großen Untersuchungen nachgewiesen hat.
Einen unzureichenden Vitamin-D-Spiegel fand das Robert-Koch-Institut in Stichproben von 10 015 Kindern und Jugendlichen im Ater von ein bis 17 Jahren sowie 4030 Erwachsenen. In diesen großen Untersuchungen wiesen fast zwei Drittel der Jungen und Mädchen sowie mehr als die Hälfte der Männer und Frauen einen Vitamin-D-Spiegel unter 20 ng/ml auf, ein nach aktuellem Kenntnisstand unzureichender Wert.
Dabei schwanken die Werte jahreszeitlich sehr stark: Im Winter, wenn die Zufuhr über die Haut praktisch zum Erliegen kommt, sind bis zu 80 Prozent der elf- bis 17-jährigen Jungen und Mädchen unterversorgt - ein fatales Ergebnis, müssen doch gerade in diesen Jahren starke Knochen und Muskeln aufgebaut werden. Wie sehr die Muskelkraft von ausreichend Vitamin D abhängt, zeigt eine Untersuchung an der Universität Manchester. Dort sollten junge Mädchen zwischen zwölf und 14 Jahren ein- und beidbeinige Sprünge absolvieren. Sprunghöhe, Muskelkraft und Schnellkraft wurden ermittelt und mit den Vitamin-D-Konzentrationen im Blut verglichen. Eindeutig zeigte sich, dass jene jungen Frauen, die über mehr Vitamin D verfügten, bei den Sprungübungen bessere Leistungen erbrachten.
Besonders gefährdet für einen Vitamin-D-Mangel sind Bevölkerungsgruppen, die wenig Sonne abbekommen. Dazu gehören Schicht- und Nachtarbeiter, Computerfreaks, die sich nicht aus dem Zimmer bewegen, aber in hohem Maße auch Migranten - Menschen, die von Natur aus eine dunklere Haut haben, weil sie sich in ihren Herkunftsländern vor Sonneneinstrahlung schützen müssen. Dieser eingebaute Sonnenschutz ist im deutschen Winter natürlich zu viel, und viele Migranten haben deshalb zu geringe Vitamin-D-Spiegel. In der Studie des Robert-Koch-Instituts kam das deutlich heraus: Fast ein Drittel der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien hatten Vitamin-D-Spiegel unter zehn ng/ml, einem Wert, der bereits starken Mangel anzeigt - und das nicht nur im Winter. Bei den Nichtmigranten hatten nur 18 Prozent der Jungen und 17 Prozent der Mädchen solche niedrigen Werte.
Aber auch alte Menschen sind eine Hochrisikogruppe. Zum einen verliert die Haut im Alter immer mehr ihre Fähigkeit, ausreichend Vitamin D zu bilden, zum anderen gehen viele alte Menschen, vor allem aus Altenheimen, nur noch wenig an die frische Luft. Dabei ließe sich das Sturzrisiko bei alten Menschen durch eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung deutlich senken, wie mittlerweile gut belegt ist.
Aber wie viel Vitamin D ist gesund? Genau über diese Frage sind sich die Experten noch nicht einig. Dr. Christa Scheidt-Nave, Leiterin des Fachbereichs Epidemiologie nicht übertragbarer Krankheiten am Robert-Koch-Institut in Berlin, sieht noch viel Forschungsbedarf und eine große Verantwortung bei den medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen, wenn es um die Festlegung von Grenzwerten geht, die für die ganze Bevölkerung verbindlich sein sollen. "Ergebnisse aus der aktuellen medizinischen Forschung weisen darauf hin, dass Vitamin D für viele andere Organe von Bedeutung ist und sich möglicherweise auch mildere Formen eines Vitamin-D-Mangels langfristig nachteilig auf die Gesundheit auswirken können. Die Datenlage ist hier aber längst nicht eindeutig."
Für Prof. Michael Amling, den Direktor des Instituts für Osteologie und Biomechanik am UKE und Leiter der Hamburger Studie, sind die Ergebnisse extrem wichtig: "Die Untersuchung zeigt, dass es einen Vitamin-D-Spiegel im Blut gibt, den man mindestens braucht, um gesunde Knochen zu haben." Diesen Schwellenwert sieht er bei 30 ng/ml (dieses entspricht 75 mmol/l, der Einheit, in der der Vitamin-D-Gehalt auch angegeben werden kann). In der Hamburger Studie gab es bei den Probanden oberhalb dieses Blutwertes keine krankhaften Knochenveränderungen. "Die Studie liefert ein klares Argument für einen Vitamin-D-Spiegel von 30 ng/ml, der für ein gesundes Skelett nötig ist", so Amling. "Zwar hat nicht jeder, der unter diesem Wert liegt, automatisch Knochenschäden. Aber oberhalb kommen sie nicht mehr vor."
Das Dilemma ist jedoch: Wir können Vitamin D in ausreichendem Maße nicht allein mit der Nahrung aufnehmen. Um nur über die Nahrung ausreichend mit Vitamin D versorgt zu sein, müssten wir jeden Tag etwa 17 Eier oder einen Hering essen", so Amling.
Also doch ein Nahrungsergänzungsmittel? Der Dachverband Osteologie, der Zusammenschluss aller wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die sich mit der Gesundheit des Knochens beschäftigen, empfiehlt je nach Knochengesundheit und Vitamin-D-Blutspiegel eine tägliche Zufuhr von 800 bis 2000 IE (Internationale Einheiten). Das ist deutlich mehr als die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung mit 200 bis 400 IE/Tag.
Für Amling ist diese Empfehlung ein Ärgernis - genau wie das deutsche Lebensmittelgesetz, das aus dem Jahr 1936 stammt und eine Vitamin-D-Anreicherung von Lebensmitteln mit Ausnahme von Margarine und Fruchtzwergen verbietet. Dabei fordert die Europäische Union ihre Mitgliedstaaten auf, die ausreichende Versorgung ihren Bevölkerungen mit Vitamin D über Lebensmittel sicherzustellen. In Skandinavien und Großbritannien funktioniert das sehr gut: Dort werden Milchprodukte und Cerealien angereichert.
Für eine Änderung des deutschen Lebensmittelgesetzes sieht Amling derzeit allerdings keine Chance: "Vitamin D hat keine Lobby, weil damit kein Geld zu verdienen ist." Schon für wenige Cent pro Tag kann man eine wirkungsvolle Vitamin-D-Prophylaxe betreiben. Oder man macht es laut Amling so wie diejenigen Hamburger, die ausreichende D-Blutwerte haben - und kehrt dem Hamburger Schmuddelwetter den Rücken. "Viele von ihnen fahren zwei- bis dreimal im Jahr in den Süden." (Regina Naumann)