Seit gestern ist Hamburg bei Google Street View verfügbar. Der 360-Grad-Blick in die Straßen ermöglicht virtuelle Stadtrundgänge.
Hamburg. Jetzt weiß ich über meine Nachbarn Bescheid. Tina gehört zu den Skeptikern, Volker, Ilka und Thomas auch. Und auch Herr B. hat sein Haus pixeln lassen. Er ist ein hoher Beamter und will wohl nicht, dass jeder gucken kann, wie er wohnt. Dafür haben alle Nachbarn auf der anderen Straßenseite, die mit den ungeraden Hausnummern, offenbar gar kein Problem damit - kein einziger von ihnen hat sein Haus unkenntlich machen lassen. Wohnen auf der einen Seite die Sorglosen und auf der anderen Seite die Problematisierer? Sind sie die, die nicht mit der Zeit gehen wollen?
Was auch immer die einen oder anderen bewogen hat - die Straße mit den Reihenhäusern mitten in Niendorf sieht auf Google Street View sehr ansprechend aus mit ihren grünen Kugel-Ahornbäumchen, die in vollem Saft stehen, und der so prächtig blühenden Hortensie meiner Nachbarin Petra. Als der Kamerawagen durch unsere kleine Straße fuhr, schien auch noch die Sonne. Und deshalb arbeitet mein Nachbar Georgie in kurzen Hosen im Vorgarten - die grüne Tonne steht mit offenem Deckel vor den Berberitzen. Dabei plaudert er mit Peter, der gerade aus seinem Auto steigt.
Dass meine eigene Straße die allererste ist, die ich anklicke, ist offenbar normal. "Jeder ist neugierig und will sehen, wie sein Umfeld aussieht, das eigene Haus, die Schule, der Arbeitsplatz", sagt Google-Sprecher Stefan Keuchel. "Danach kommen Sehenswürdigkeiten in der eigenen Stadt, danach in anderen Städten."
Seit gestern sind die 20 größten deutschen Städte freigeschaltet: Neben Hamburg sind Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bremen, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim, München, Nürnberg, Stuttgart und Wuppertal zu sehen. Für weitere deutsche Städte gebe es noch keinen konkreten Zeitplan, heißt es bei Google. Bereits Anfang November hatte das Unternehmen Bilder der Gemeinde Oberstaufen im Allgäu sowie einiger Sehenswürdigkeiten und Bundesligastadien online gestellt. Deutschland ist das 27. Land, in dem die 360-Grad-Ansichten zur Verfügung stehen und virtuelle Ausflüge möglich sind. In den USA ist Street View bereits seit 2007 auf dem Markt.
Der Start in Deutschland war für Google alles andere als problemlos. "Wir haben über zwei Jahre an den Vorbereitungen gearbeitet", sagte Philipp Schindler, Google-Vizepräsident für Nord- und Zentraleuropa, bei der Street-View-Präsentation im Hamburg Cruise Center in der HafenCity. "Wir haben einen langen Weg der Vorbereitung und harten Arbeit hinter uns und wir haben ein faszinierendes Produkt geschaffen. Wir haben aber auch Zugeständnisse gemacht wie in noch keinem anderen Land." Neue Technologien eröffneten immer neue Chancen, aber auch neue Fragestellungen, sagte Schindler. Das größte Zugeständnis sei die Möglichkeit gewesen, schon vorab das Unkenntlichmachen auf den Bildern zu ermöglichen. "Wir haben dafür 200 speziell geschulte Mitarbeiter eingestellt", sagte Schindler. Trotz der vielen Bedenken im Vorfeld ist die Zahl der Einsprüche vergleichsweise gering: "2,89 Prozent der Haushalte haben die Unkenntlichmachung beantragt", sagt Peter Fleischer, Datenschutzbeauftragter bei Google. Offenbar wohne ich in einer Straße der Google-Querulanten: Von 24 Häusern sind sechs gepixelt, also 25 Prozent.
Skeptiker müssen aber wissen: Es wurden nur öffentliche Straßen und Plätze aufgenommen. Und wer auf Street View klickt, sieht keine Live-Aufnahmen, sondern Daten, die zwischen dem Sommer 2008 und dem Frühjahr 2010 entstanden sind. "Ein Datum der Aufnahme wird nicht angegeben", versichert der Google-Datenschutzbeauftragte. Gesichter und Autokennzeichen wurden automatisch unkenntlich gemacht (jedenfalls bis auf ganz wenige), und Bilder können jederzeit auf Antrag unkenntlich gemacht werden. Jeder Nutzer kann zudem Google kontaktieren und monieren, was ihm auffällt - beispielsweise ein nicht gepixeltes Gesicht oder Kennzeichen.
Wo klickt der Hamburger hin, wenn er sein Umfeld durchgegoogelt hat? Beispielsweise in die Herbertstraße. Aber dort ist schon an den Plakatwänden Schluss. Da haben zwar die Kameras auf einer Höhe von 2,90 Metern in die Straße reinfotografiert, aber zwei potenzielle Freier wurden Ganzkörper-gepixelt, und auch sonst sieht man nichts, was den Voyeurismus befriedigen würde. Also nächster Versuch auf dem virtuellen Stadtrundgang - auf zum Rathaus. Den Blick darauf verstellt allerdings ein gelber Stadtrundfahrtbus. Gibt man stattdessen Rathausmarkt ein, erhält man lediglich eine Reihe von Fotos, aber kein 360-Grad-Panorama. "Den Rathausmarkt durften wir nicht mit dem Auto befahren", erklärt Kay Oberbeck, Google-Unternehmenssprecher. Der Jungfernstieg präsentiert sich wie gewohnt als Baustelle - kein Anblick, der Touristen anziehen dürfte. Die Mönckebergstraße dagegen ist belebt, wie man sie kennt.
Und wie hält es die Hafenstraße mit dem neuen Dienst? Einige Häuser sind verpixelt, dafür ist die Rote Flora wie das übrige Schulterblatt frei von jeglicher Schattierung. Jetzt noch einmal rund um die Außenalster: bei dem trüben Wetter eine echte Alternative, den Spaziergang im Warmen mit einer Tasse Tee zu absolvieren. Doch damit wird es nichts. Die Kameraautos durften auf den Fußwegen nicht fahren.
Dafür kann man künftig seine Wohnungssuche oder die Suche nach dem passenden Hotelzimmer einfacher gestalten. Das Hotelportal HRS hat seine 250 000 Hotels bereits mit Street View verknüpft, um den Kunden mehr Informationen über Lage und Umgebung der Häuser zu bieten. Und auch die Plattform ImmobilienScout24 nutzt den neuen Service. "Wohnungssuchende können sich jetzt schon vor der Besichtigung die Nachbarschaft der neuen Immobilie ansehen", sagt Marc Stilke, Chef der Online-Plattform. Darüber hinaus will der Anbieter künftig auch Infos über die Kauf- oder Mietpreisentwicklung im Quartier, Lagebewertungen und Ähnliches mit den Angeboten verknüpfen.
Das dürfte meine Nachbarn nicht schrecken. Sollte einer von ihnen sein Haus eines Tages verkaufen wollen, wird er sicher nicht daran scheitern, dass er sein Eigenheim verpixelt hat. Da sich die Reihenhäuser alle gleichen, guckt sich der Interessent vermutlich einfach das Nachbarhaus an.