Immer häufiger sieht man Schaukeln, Sandkästen und Rutschen in den Schrebergärten. Junge Familien entdecken die grünen Oasen in der Stadt.
Lokstedt. Die Kleingärten Hamburgs wandeln ihr Gesicht: Statt mannshohe Windmühlen mit weißen und grauen Kieselsteinen drum herum und Gartenzwergen im Beet sieht man immer häufiger Schaukeln, Sandkästen und Rutschen in den Schrebergärten. Denn: Immer mehr junge Hamburger Familien entdecken die Oase im Grünen für sich. Statt zum Frühschoppen zusammenzukommen, feiern die Familien lieber Kindergeburtstag.
Als Anton, 8, und Karlotta, 9, anfingen, nicht mehr barfuß über den Rasen laufen zu wollen, weil sie es zu piksig fanden, stand für Sebastian Lux und seine Frau Regine Voigt fest, dass sie ihren Kindern die Natur näherbringen müssen. In ihrer Altbauwohnung im vierten Stock in Eimsbüttel ohne Balkon ging das nicht.
+++ Finale – Hamburgs Kleingärtner greifen nach dem Titel +++
Ins Umland zu ziehen, in ein Haus oder eine Wohnung mit Garten, kam nicht infrage. Dazu mögen sie das urbane Leben zu sehr. Die Lösung war ein Schrebergarten im Verein Nummer 322 am Veilchenstieg in Lokstedt. Hier lernen Anton und Karlotta seit mittlerweile fünf Jahren, dass es toll ist, barfuß über den Boden zu laufen, dass Tomaten aus dem eigenen Garten besser schmecken als ihre wässerigen Artgenossen aus dem Supermarkt und dass es herrlich sein kann, den ganzen Tag mit Matsch zu spielen. So ein Garten ist eben eine tolle Spielwiese.
"Beide haben ihre eigenen Beete", sagt Sebastian Lux. Beim Einpflanzen seien sie sehr engagiert, beim Unkrautjäten dagegen nicht so sehr. "Die vergangenen vier, fünf Jahre haben sie ganz intensiv den Sandkasten genutzt." Zum Rummatschen bietet die 100-Liter-Regentonne genug Wasservorrat. Über der Sandkiste wachsen an einem Holzgestell Weintrauben. Es im Garten gibt Johannis-, Stachel- und Erdbeeren, Zucchini, Bohnen, Äpfel, Gurken, Bohnen.
Kindergeburtstage haben sie bislang meistens im Garten gefeiert. "Ganz klassisch mit Kuchenessen draußen, Spielen auf der Wiese und einer Schnitzeljagd durch den Kleingartenverein", sagt Sebastian Lux. Das ist auch ein Vorteil solch eines Zufluchtsortes mitten in der Großstadt: Hier gibt es keine Autos, die Kinder können auch wenn sie noch klein sind selbstständig in der Anlage herumbaldowern. "Das Fahrradfahren hat Anton an einem Tag in der Anlage gelernt", sagt Herr Lux.
Ihm und seiner Frau geht es vor allem um Erholung und Entspannung. "Wenn ich abends nach der Arbeit noch um 19.30 Uhr in den Garten gehe und Ranken aus dem Rasen pule, hat das etwas sehr Beruhigendes", sagt der 38-Jährige. Etwa zweimal die Woche kommt er in den Garten. Als die Kinder noch kleiner waren und in die nahe gelegene Kita gingen, ist Regine Voigt mit den beiden im Sommer direkt nach der Kita mit den Fahrrad in den Garten gefahren und bis zum Abend geblieben.
In seinem Job als Kurator der Stiftung F.C. Gundlach hat er, sagt Sebastian Lux, doch eher mit künstlerischen und abstrakten Dingen zu tun, "meine Frau ist Texterin. Der Text erscheint auf einer Internetseite. Das ist alles nicht greifbar, nicht physisch." Bei der Gartenarbeit bekommen die beiden dreckige Hände und sehen die Früchte ihrer Arbeit.Begehungen, bei denen der Vorstand eines Schrebergartenvereins penibel darauf achtet, dass die Hecken gestutzt sind, dass das Verhältnis von Nutzpflanzen, Rasenanteil, sonstigen Pflanzen und Laube und zuführenden Wegen korrekt ist, gibt es im Kleingartenverein Nummer 322 nicht.
Der 430 Quadratmeter große Garten von Sebastian Lux und seiner Familie hat auch keine akkurat gerade Rasenkante. Überall sprießt das Grün, es gibt kleine Pfade, und die selbst gebaute Laube ist vom Gehweg aus kaum zu sehen.
Diese "geordnete Unordnung" ist es auch, die der Landesbund der Gartenfreunde anstrebt. "Das Spießige ist weniger geworden", sagt Roger Gloszat, beim Landesverband verantwortlich für die Garten-Fachberatung. Ganz ohne Regeln ginge es natürlich auch nicht. "Das ist im Mietshaus ja nicht anders." Zwei dieser Regeln: Es gibt eine Mittagsruhe, am Sonntag darf kein Rasen gemäht werden. "Weil sich immer mehr Leute ein eigenes Heim samt Garten nicht mehr leisten können, wächst das Interesse an Kleingärten", sagt Gloszat. So ein Aufenthalt im Kleingarten sei wie ein Kurzurlaub.