Die CDU wählt Frank Schira zum Parteichef. Die meisten Parteimitglieder nehmen an, dass Beust im Laufe des nächsten Jahres zurücktreten wird.
Hamburg. Wohin nur mit den Händen? Jeder Moderator, jeder geübte Redner kennt das Problem: was tun mit den Händen, wenn alle auf einen schauen, man aber gerade nichts zu tun, nichts anzufassen hat? In die Taschen stecken geht ja schlecht. Frank Schira war auf diese Situation offensichtlich nicht vorbereitet. Und so stand Hamburgs angehender CDU-Chef nach seiner Rede verlegen vor seinen 230 Parteifreunden, die sich erhoben hatten und applaudierten, und er rieb seine Hände, er verhakte sie ineinander, er knetete sie, er hauchte seiner Iris, die er eine Woche zuvor geheiratet hatte und die im Radisson-Hotel in der ersten Reihe saß, einen Kuss zu, und schließlich, als niemand kam, um ihn zu erlösen, ihm wenigstens eine Hand zu reichen, da ging er halt selbst zu dem Mann, der der Partei seit fast zehn Jahren Halt gibt: Ole von Beust.
Normalerweise sitzt der Bürgermeister auf Parteitagen nicht auf dem Podium, er hat ja kein Parteiamt inne. Aber Schira hatte ihn direkt neben sich platziert, und jetzt deutete sich an, warum. Sicher nicht nur, damit Beust ihm durch eine innige Umarmung aus seiner Verlegenheit helfen konnte - die im Übrigen etwas sympathisch Menschliches hatte, fern von all den einstudierten Politikergesten und choreografierten Jubelorgien. Nein, es lag ein Hauch von Abschied in der Luft. Abschied der CDU von "ihrem" Bürgermeister Ole von Beust, von dem die meisten Parteimitglieder annehmen, dass er im Laufe des nächsten Jahres zurücktreten wird.
Schira selbst hatte in seiner Rede dazu gleich drei Anlässe geliefert. Sein erstes Ziel sei es, sagte er, dass die CDU nach der Wahl Anfang 2012 weiterregieren könne. Aber unter welchem Bürgermeister, das sagte Schira nicht. Normalerweise verzichtet kein Parteichef, der davon ausgeht, dass der Regierungschef erneut antritt, auf den Zusatz "unter unserem Bürgermeister Ole von Beust". Zweites Indiz: Als der CDU-Chef die SPD attackierte, die Hamburg "abgewirtschaftet" habe, und betonte, dass "erst die CDU unter Ole von Beust" der Stadt wieder eine Perspektive eröffnet habe, da brach ein Damm. Die Delegierten klatschten, sie erhoben sich und feierten mehr als eine Minute lang den Mann mit "Ole, Ole"-Rufen, der gar nicht am Mikrofon stand, sondern daneben saß. Es wirkte so, als wenn es vielen CDU-Mitgliedern ein Bedürfnis war, sich noch einmal zu bedanken für die letzten neun Jahre.
Schließlich sprach Schira es selbst an, wenn auch etwas verklausuliert: "Wir haben uns in letzter Zeit allzu sehr darauf verlassen, Mensch, heute ist Parteitag, Ole ist gut drauf, hält 'ne gute Rede, nachher 'ne Bockwurst im Stehen - und gut ist. Das wird in Zukunft nicht reichen!" Ja, warum denn nicht mehr? Sicher, Schira will nach dem Sommer eine Programmkommission ins Leben rufen, die auch schon Wahlkampfaussagen erarbeiten soll. "Wir müssen unser Profil deutlicher herausstellen", so der Parteichef, "dabei können wir alle, mich eingeschlossen, mutiger sein." Aber seine Bockwurst-Passage verdeutlichte auch: Lange wird sich die Hamburger CDU nicht mehr hinter ihrem Zugpferd Ole von Beust verstecken können.
Der Bürgermeister selbst, der wie Schira den Volksentscheid über die Schulreform am 18. Juli nur am Rande erwähnte, stellte die Erfolge der eigenen Regierungszeit heraus, zum Beispiel die Strategie der wachsenden Stadt und das Konjunkturprogramm. "Und was macht die SPD? Sie meckert", so Beust. "Deswegen gehört sie in die Opposition." Auch mit SPD-Chef Olaf Scholz ging der Bürgermeister hart ins Gericht: Nur "bereit" für den Wechsel zu sein reiche nicht. "Wo ist das inhaltliche Angebot?", fragte Beust und antwortete selbst: "Die können es nicht, weil sie inhaltlich nichts zu bieten haben." Allen Unkenrufen über den Fortbestand der CDU/GAL-Koalition hielt er entgegen: "Wer an Neuwahlen glaubt, ist auf dem falschen Dampfer."
Auch das von vielen erwartete Aus für die geplante Stadtbahn wegen der Finanzkrise wies Beust zurück. Die CDU habe vor der Wahl versprochen, die Stadtteile Steilshoop und Bramfeld besser anzubinden. "Und wir halten unsere Versprechen."
Beim Thema Finanzen kritisierte Schira die SPD scharf: Die Sozialdemokraten wollten trotz der Finanzprobleme der Stadt "das Gegenteil von Sparen", sagte der CDU-Chef und zählte SPD-Forderungen auf, die 120 Millionen Euro an Mehrkosten bedeuten würden. Ebenso hart ging er die Bundesregierung an: "Die permanenten Streitigkeiten, die Eitelkeiten von einigen, die persönliche Profilierungssucht", das koste Union und FDP wichtige Zustimmung, sagte Schira und forderte: "Macht endlich gute Politik!"
Er selbst erhielt diesen Auftrag von 87 Prozent der Delegierten, die ihn zum CDU-Chef wählten. Als das Ergebnis verkündet wurde, wusste Schira auch, wohin mit seinen Händen: Er sprang auf einen Stuhl, riss die Arme hoch und gratulierte sich im besten Gerhard-Schröder-Stil über dem Kopf selbst. Das sah schon sehr professionell aus.