Mit Doppelhaushalt 2013/2014 wird “Vorsichtsabschlag“ von mehreren Hundert Millionen Euro eingeführt. Zwei Ziele besonders im Blick des Senats.
Hamburg. Zweieinhalb Tage hatte sich der SPD-Senat samt Vertretern von Partei und Fraktion zu den Haushaltsberatungen ins Rathaus zurückgezogen, bevor gestern der erwartete weiße Rauch aufstieg - und Bürgermeister Olaf Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher den Entwurf für den Doppelhaushalt 2013/2014 vorstellten.
Er sieht Ausgaben von rund 11,8 Milliarden Euro 2013 und 11,9 Milliarden Euro 2014 vor. Zwei Ziele habe der Senat besonders im Blick gehabt, sagte Scholz. Erstens: "langfristige Planung" über diesen Etat hinaus bis zur gesetzlichen Schuldenbremse 2020. Obwohl sie erst morgen von der Bürgerschaft auch in der Hamburgischen Verfassung verankert werden soll, wies der Bürgermeister stolz darauf hin, dass nunmehr die Planung darauf ausgerichtet sei, schon ab 2019 ohne Neuverschuldung auszukommen (das Abendblatt berichtete). "Wir nehmen erstmals gezielt das ganze Jahrzehnt in den Blick", sagte Scholz.
Zweitens setze sein Senat politische Schwerpunkte und investiere in Schulen, Kindergärten und die Nachmittagsbetreuung von Kindern. "Die Grundlage unseres Wohlstands liegt in den Fähigkeiten der jungen Menschen, die hier aufwachsen", so Scholz. Daher bleibe auch der Wohnungsbau ein Schwerpunkt.
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Allerdings bedeuten höhere Ausgaben in ausgewählten Bereichen in Kombination mit der Verpflichtung, den Haushalt zu konsolidieren, unweigerlich Einschnitte in anderen Bereichen. Dazu, wo diese erfolgen sollen, machten Scholz und Tschentscher allerdings nur recht wolkige Aussagen. Im Senat müssten "alle neu denken", sagte der Bürgermeister, und man dürfe nicht mehr "Wünsche aneinanderreihen".
Dafür präsentierten Scholz und Tschentscher ein neues Instrument der Haushaltspolitik: den "Vorsichtsabschlag". Von den in der Steuerschätzung prognostizierten Einnahmen werden für 2014 erstmals 150 Millionen Euro abgezogen, 2015 schon 300 Millionen und 2016 sogar 500 Millionen. So will sich der Senat ein Stück weit unabhängig machen von den sehr schwankungsanfälligen Steuerschätzungen. Mit anderen Worten: Nimmt die Stadt den "Vorsichtsabschlag" wie befürchtet nicht ein, erlebt der Finanzsenator keine böse Überraschung. Fließt das Geld doch, erleichtert es ihm die Arbeit.
Denn sein Konzept orientiert sich nicht an Prognosen, sondern allein an den durchschnittlichen Einnahmen der vergangenen 20 Jahre. Die mittlere Steigerungsrate von 2,25 Prozent wurde bis 2020 fortgeschrieben, wonach Hamburg dann mit Einnahmen von 12,5 Milliarden Euro rechnen kann. Nur daran haben sich die Ausgaben zu orientieren: Steigen sie pro Jahr um maximal 0,88 Prozent, kommt die Stadt spätestens 2020 ohne Neuverschuldung aus. Auf diese Weise soll das Defizit von derzeit noch einer Milliarde Euro schon bis 2016 schrittweise auf 62 Millionen Euro gesenkt werden.
Für etliche Behörden bedeutet das harte Einschnitte. So muss die Innenbehörde nach Abendblatt-Informationen bis 2015 rund zehn Millionen Euro bei Personal- und Sachkosten sparen. Nach jetzigem Stand sollen es beim Personal 7,5 Millionen Euro sein. Da die klassische Arbeit von Polizei und Feuerwehr ausgenommen ist, trifft es die rund 2000 Verwaltungsstellen in der gesamten Behörde und ihren Ämtern (inklusive Polizei). Sechs bis sieben Prozent dieser Stellen - also knapp 150 Jobs - dürften dort abgebaut werden.
Hart trifft es auch das Klimaschutzprogramm der Stadt. Statt bislang 20 Millionen Euro jährlich will die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) künftig nur noch 13,4 Millionen pro Jahr für Maßnahmen wie die CO2-Reduzierung ausgeben. Auch die integrierte Stadtteilentwicklung muss bluten: Die Ausgaben werden von 25,6 auf 20,8 Millionen Euro abgesenkt. Durch bessere Zusammenarbeit mit anderen Behörden soll aber gewährleistet werden, dass alle Stadtteilprogramme fortgeführt werden, sagte BSU-Sprecher Frank Krippner.
Andere Sparmaßnahmen waren bereits zuvor bekannt. So will der Senat Scholz zufolge an dem Ziel festhalten, pro Jahr 250 Vollzeitstellen in der Verwaltung abzubauen. Allein die Schulbehörde streicht in den kommenden beiden Jahren jeweils 40 Stellen in der Verwaltung. Im Mittel kostet eine Stelle etwa 50 000 Euro im Jahr. Der Abbau von 250 Stellen spart also 12,5 Millionen Euro ein. Seit Wochen umstritten sind die Sparmaßnahmen der Sozialbehörde. Sie will unter anderem 3,5 Millionen Euro in der offenen Kinder- und Jugendarbeit einsparen und verweist auf neue Angebote an Ganztagsschulen. Außerdem soll das Heim für Kinderkuren in Wyk auf Föhr geschlossen und verkauft werden - hier ist die letzte Entscheidung aber noch nicht gefallen.
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel nannte den Haushaltsentwurf einen "weiteren wichtigen Meilenstein für ein Hamburg ohne neue Schulden". Er lobte vor allem das Ziel, bereits 2019 auf eine Nettokreditaufnahme zu verzichten. SPD-Haushaltsexperte Jan Quast betonte die Vorzüge des "Vorsichtsabschlags": "Im Gegensatz zu den Vorgängersenaten hat der SPD-Senat einen Krisenpuffer eingebaut."
Auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding lobte, dass der Senat auf diese Weise "Begehrlichkeiten für höhere Ausgaben entgegenwirkt". Der Abschlag dürfe aber nicht verschleiern, dass die Stadt nach jetzigen Bedingungen eigentlich schon 2016 ohne Neuverschuldung auskommen könnte.
Daran setzt auch die Kritik der CDU an: Ihr Haushaltsexperte Roland Heintze nannte den Vorsichtsabschlag "reine Willkür". Ohne ihn würde Hamburg nämlich - wie von der CDU seit Langem gefordert - bereits 2015 ohne Kreditaufnahme auskommen. "Die SPD setzt leider ihren falschen Kurs in der Haushaltspolitik fort", sagte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Sie setze falsche Prioritäten, indem sie 40 Millionen Euro für die Abschaffung der Studiengebühren ausgebe und 21 Millionen für kostenloses Mittagessen in Kitas, gleichzeitig aber Jugend- und Familienangebote streiche.
Auch die Grünen wiesen auf "Widersprüche, Unklarheiten und falsche Prioritäten" hin, so Finanzexpertin Anja Hajduk. "Unehrlich" sei zum Beispiel der Personalhaushalt. Der Senat kalkuliere mit einer Tarifsteigerung von nur 1,5 Prozent, obwohl für Bund und Kommunen längst mehr als das Doppelte verabredet sei. "Die Folge wird ein noch höherer Personalabbau in nahezu allen Bereichen sein." Hajduk kritisierte es als "fahrlässig", dass die Investitionen von 877 Millionen Euro 2012 auf nur noch 828 Millionen im Jahr 2016 sinken sollen, obwohl der Gesamthaushalt um 500 Millionen Euro anwachse.
Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn klagt, dass die Schuldenbremse als Begründung für die "unsoziale Kürzungspolitik" herhalten müsse. Linke-Finanzexperte Norbert Hackbusch: "Der Senat bleibt die Erklärung schuldig, welche Aufgaben eingeschränkt oder wegfallen sollen."