Hamburg sei 2011 nahezu ohne Kreditaufnahme ausgekommen. Umstritten ist, ob die gute Lage ein Vorziehen der Schuldenbremse zulässt.
Hamburg. Am Tag nach der sehr ernsthaften Aussprache über den tragischen Tod von Chantal, 11, hat die Bürgerschaft gezeigt, dass sie auch anders kann. In der Debatte um den Rechnungshofbericht warf Norbert Hackbusch (Linke) dem Senat gestern vor, dass es der Jugendhilfe, der im Fall von Chantal Versagen vorgeworfen wird, an Geld fehle. "Blödsinn", rief Dirk Kienscherf (SPD) dazwischen. "Dumme Sprüche", konterte Hackbusch - und fing sich prompt einen Ordnungsruf von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) ein. Das fand die Linksfraktion ungerecht und zeigte auf Kienscherf: "Der hat doch Blödsinn gesagt."
Mit dem Finger auf andere zeigen, dieses etwas kindische Verhalten bestimmte auch die eigentliche Debatte. FDP-Fraktionschefin Katja Suding warf dem Senat vor, kritische Anmerkungen des Rechnungshofs nicht ernst genug zu nehmen und in der Haushaltspolitik zu versagen. Das konterte Jan Quast (SPD) mit dem Gegenvorwurf, Schwarz-Gelb beschließe heute in Berlin ein Steuergesetz, das Hamburg schwer belaste. Genau genommen gingen der Stadt 20 Millionen Euro im Jahr 2013 verloren, 57 Millionen im Jahr 2014, 67 Millionen 2015, 70 Millionen 2016 und sogar 72 Millionen im Jahr 2017. "Da können Sie etwas tun", rief Quast an die Adresse von CDU und FDP.
Angesichts der gegenseitigen Schuldzuweisungen ging der Satz des Tages fast ein wenig unter. Er kam von Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) und war an die Opposition gerichtet: "Wir werden das erste Haushaltsjahr des SPD-Senats zum 31. Dezember 2011 so erfolgreich beenden, dass Sie kaum noch wissen werden, wie Sie Ihre Rhetorik weiter begründen sollen." Diese Aussage des Finanzsenators, der am Dienstag die Abschlusszahlen für 2011 vorstellen wird, durfte so verstanden werden, dass Hamburg 2011 praktisch keine Schulden gemacht hat - sicherlich auch eine Folge der sprudelnden Steuereinnahmen. Zum Vergleich: 2010 waren es noch 915 Millionen Euro Neuverschuldung.
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Am Montag hatte die CDU bereits auf Zahlen des Bundesfinanzministeriums verwiesen, wonach Hamburg 2011 zwar knapp 493 Millionen Euro an neuen Krediten aufgenommen hat. Wie berichtet, wurden davon aber 412 Millionen zur Ablösung alter, teurerer Kredite verwendet, so dass netto "nur" 81 Millionen Neuverschuldung stehen würden. Dieses für einen 11,5-Milliarden-Euro-Haushalt schon sehr kleine Defizit wird nach Abendblatt-Informationen noch niedriger ausfallen und in Richtung Null-Neuverschuldung tendieren - was Tschentscher zu der für ihn ungewöhnlich vollmundigen Ankündigung veranlasste.
Umstritten blieb in der Debatte aber, wessen Verdienst das ist und was daraus folgt. Während CDU und FDP ihre kritische Haltung aufrechthielten, räumte Anja Hajduk (GAL) ein, dass der SPD-Senat mit den enormen Steuermehreinnahmen "sorgsam" umgegangen sei, indem er sie zur Schuldenreduzierung eingesetzt habe. Allerdings wies auch Hajduk darauf hin, dass dem Rechnungshofbericht zufolge Hamburg 2014 nicht besser dastehen werde als 2011. Es bleibe dabei, dass Einnahmen und Ausgaben im Normalfall - also ohne ungeplante Mehreinnahmen - um fast eine Milliarde Euro auseinanderklaffen. "Erklären Sie den Menschen doch mal, welchen Konsolidierungsbeitrag die SPD erbracht hat?", forderte sie.
Das war aber Wasser auf die Mühlen der Regierung, deren Credo lautet, dass die Lage unverändert ernst und ein Vorziehen der für 2020 vorgeschriebenen Schuldenbremse nicht realistisch ist. Daran ändere auch ein Jahr mit hohen Steuereinnahmen nichts. CDU und FDP forderten dagegen, schon 2013 oder 2015 auf Kredite zu verzichten. Die CDU warf dem Senat gar vor, mit den Ängsten der Bürger zu spielen, weil er die Lage so negativ darstelle.
"Man saniert einen Haushalt nicht, indem man das Schuldenmachen einfach verbietet", konterte SPD-Haushaltsexperte Jan Quast. Er gehe lieber langfristig und sorgfältig vor als schnell und im "Blindflug". Wieder so ein versteckter Vorwurf. Denn von "finanzpolitischem Blindflug" hatte 2010 niemand Geringeres gewarnt als Rechnungshofpräsident Jann Meyer-Abich. Gemeint waren CDU und GAL.