Das Finanzkonzept des Senats ist einleuchtend. Aber es verschweigt die ganze Wahrheit
Das Finanzkonzept des Hamburger SPD-Senats und mit ihm der gestern vorgestellte Entwurf für den Doppelhaushalt 2013/2014 hat eine große Stärke und eine große Schwäche - beide haben die gleiche Ursache.
Zunächst zu den Vorzügen. Der Senat hat seine ganze Finanzpolitik von Anfang an nicht auf kurzfristige Effekte ausgerichtet, sondern auf ein langfristiges Ziel: den Haushalt spätestens 2020 und von da an dauerhaft ohne Neuverschuldung aufzustellen. Mittlerweile peilt er 2019 an. Gut so - auch wenn man kritisieren kann, dass eines der finanzstärksten Bundesländer nicht mehr Ehrgeiz entwickelt, als die grundgesetzliche Schuldenbremse ihn Armenhäusern wie Bremen oder dem Saarland vorschreibt.
Was verleiht dem langfristigen Ansatz Charme? Zunächst die Verständlichkeit des Konzepts, das aus zwei schlichten Linien besteht. Die Einnahmen der vergangenen 20 Jahre bis ins Jahr 2020 fortzuschreiben, daraus eine Zielmarke abzuleiten und dann einfach eine zweite Linie für die Ausgaben zu ziehen, die logischerweise am gleichen Punkt enden muss - das versteht jedes Kind. Mittlerweile kann jedes Senatsmitglied dieses Prinzip herunterbeten.
Hinzu kommt der Faktor Verlässlichkeit. Statt sich von sprudelnden Steuereinnahmen und optimistischen Schätzern treiben zu lassen, halten Bürgermeister Olaf Scholz und Finanzsenator Peter Tschentscher eisern an ihrer Ein-Prozent-Regel fest. Wenn doch mehr Geld da ist, wie derzeit, werden halt weniger Schulden gemacht. Auf die Weise kam Hamburg 2011 unterm Strich mit ganzen sechs Millionen Euro neuen Krediten aus. Dass nun noch ein "Vorsichtsabschlag" von den Steuerprognosen abgezogen wird, um ja keine böse Überraschung erleben zu müssen, unterstreicht diese zurückhaltend-kaufmännische Haushaltspolitik.
Mit diesem Konzept grenzen sich Scholz und Tschentscher bewusst und scharf von ihren schwarz-grünen Vorgängern ab. Deren Verständnis war es eher, auszugeben, was vorhanden war, es fürs kommende Jahr auch gleich einzuplanen - und wenn die Steuern dann nicht wie geplant sprudeln, werden die Bürger halt auf große Sparpakete eingestimmt. Mit so einer Blut-, Schweiß- und Tränen-Rede hatte sich Ole von Beust im Sommer 2010 aus dem Amt verabschiedet. Es ist die feste und wohl auch berechtigte Überzeugung von Scholz, dass die Bürger dieses unstete Hin- und Her nicht schätzen. Zumal es sich als nahezu aussichtslos erwiesen hat, mal eben ein paar Hundert Millionen Euro aus dem Etat zu streichen - den Protest dagegen hält kein Senat aus.
Allerdings verleitet diese Erkenntnis Scholz auch zu seinem größten finanzpolitischen Fehler: Er sagt nicht, wo er sparen will, lehnt jede Art von Sparlisten kategorisch ab. Doch wer den Menschen regelmäßig das Lied vom Sparen singt, wer bei ihnen zu Recht einen Überdruss an der Schuldenpolitik und die Bereitschaft für Einschnitte ausgemacht hat, der muss auch irgendwann die Noten auf den Tisch legen. Davon war gestern mal wieder nichts zu sehen. Seitenweise jubelten die Behörden, wofür sie künftig genauso viel oder noch mehr Geld ausgeben. Sparmaßnahmen? Waren nur mit der Lupe zu finden.
Die interessierte Öffentlichkeit wird den Doppelhaushalt nun sehr genau unter die Lupe nehmen. Und entweder finden sich tatsächlich keine Einschnitte, dann wird das Zweifel am Konzept des Senats säen. Oder es tauchen doch Sparmaßnahmen auf, dann wird sich der Scholz-Senat aus der Defensive heraus dafür rechtfertigen müssen.
Die Chance, in die Offensive zu gehen und den Bürgern die ganze Wahrheit zu sagen, hat der Bürgermeister gestern verstreichen lassen.