Der Boom ist vorbei und Bietergefechte dürften der Vergangenheit angehören. Müssen Eigentümer sich nun Sorgen machen?
Experten sind sich einig, der Immobilienmarkt steht vor großen Veränderungen, der jahrelange Preisanstieg scheint zumindest gestoppt. Nach den ersten statistischen Erhebungen fallen die Preise – auch in Hamburg. Noch ist der Rückgang überschaubar, doch stark gestiegene Bauzinsen, die hohe Inflation und Konjunktursorgen sorgen für eine große Verunsicherung.
Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung für Kaufinteressenten und Immobilienbesitzer? Nehmen Zwangsversteigerungen bereits zu? Was passiert bei der jetzt so beliebten Verrentung von Immobilien? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Immobilien Hamburg: Welche Anzeichen gibt es für sinkende Preise?
Nach Einschätzung des Immobilienportals Scoperty ist der jahrelange Preisboom im zweiten Quartal erstmals sichtbar zum Erliegen gekommen. Makler berichten vermehrt von deutlichen Abschlägen, die sie gegenüber den Angebotspreisen hinnehmen müssen. Sie schreiben mittlerweile von sich aus vorgemerkte Interessenten an und bieten ihnen Objekte mit einem Preisabschlag an – eine Praxis, die vor wenigen Monaten noch nicht notwendig war. Während im ersten Quartal die Preise noch deutlich zugelegt hatten, zeigt sich im zweiten Quartal eine deutliche Veränderung. Der Grund sind die gestiegenen Zinsen für Baufinanzierungen, die hohe Inflationsrate einhergehend mit explodierenden Energiepreisen.
„Immobilieninteressenten denken vor einem Kauf jetzt länger nach. Hohe Immobilienpreise und das allgemein gestiegene Zinsniveau machen sich daher auch bei uns seit dem zweiten Quartal im Neugeschäft für Baufinanzierungen bemerkbar“, sagt André Janke, Baufinanzierungsexperte bei der Hamburger Sparkasse (Haspa). Nach einer Studie des Immobilienportals ImmoScout24 sind die Preise in Hamburg im zweiten Quartal 2022, verglichen mit dem ersten Quartal, nur noch bei Bestandswohnungen leicht um 1,3 Prozent gestiegen.
Bei Einfamilienhäusern aus dem Bestand und Neubau-Eigentumswohnungen sowie neuen Einfamilienhäusern gibt es dagegen Preisabschläge von bis zu 5,5 Prozent. Vor allem ältere Häuser sind schwer zu verkaufen – vermutlich wegen der hohen Energiekosten. Und nach einer neuen Studie des Baufinanzierungsvermittlers Interhyp, deren Hamburg-Daten dem Abendblatt exklusiv vorliegen, sind die Preise für Immobilien in der Hansestadt über alle Kategorien hinweg vom zweiten auf das erste Quartal 2022 um 0,4 Prozent gesunken.
Immobilienpreise sinken: Was bedeutet das für Käufer?
Potenzielle Interessenten können sich für ihre Kaufentscheidung mehr Zeit lassen, denn auch der Zinsanstieg ist vorerst gestoppt. Dass die Finanzierung immer teurer wird, ist zumindest vorerst nicht mehr zu befürchten. Außerdem haben Interessenten beim Immobilienkauf jetzt weniger Mitbewerber. Nach einer Studie des Immobilienportals ImmoWelt ist die Nachfrage nach Immobilien in Hamburg im zweiten Quartal 2022, verglichen mit dem zweiten Quartal 2021, um 47 Prozent zurückgegangen.
Bietergefechte, bei denen sich Kaufinteressenten mit immer höheren Preisen für das Objekt gegenseitig überbieten, dürften der Vergangenheit angehören. „Lange Zeit waren Preisverhandlungen für Hamburger Immobilien unmöglich – und wenn, dann nur nach oben. Jetzt können Interessenten erstmals wieder ein bisschen am Preis drehen“, sagt Frank Lösche, Spezialist für Baufinanzierung von Dr. Klein in Hamburg. Mit den höheren Energiepreisen und staatlichen Auflagen wie dem bundesweiten Ende der Gasheizung bei einem Austausch von 2024 an oder der Solardachpflicht bei Neueindeckung für Bestandsgebäude ab 2025 in Hamburg ist der energetische Zustand vor allem von Einfamilienhäusern stärker ins Bewusstsein gedrungen als noch vor einem Jahr.
Wer die Auflagen erfüllen will, muss mit hohen Investitionen von bis zu 100.000 Euro rechnen. Objekte, die in hohe Energieffizienzklassen wie E, F,G oder H eingestuft sind, bieten mit Sicherheit Verhandlungsspielraum beim Preis. „Der Immobilienmarkt befindet sich in einer Phase der Anpassung an die neue ökonomische Realität“, sagt Thomas Schroeter, Geschäftsführer von ImmoScout24.
Was bedeutet das für Immobilien-Verkäufer?
Die Vermarktungszeiten von Immobilien werden sich verlängern. Manche zweifeln am Können der Makler und versuchen sich zunehmend selbst am Verkauf von Haus oder Wohnung – zu Preisen, die der frühere Nachbar noch Ende 2021 oder im ersten Quartal 2022 erzielen konnte. Das wird schwierig werden. Einen Preiseinbruch in Hamburg sehen Experten zwar nicht. Aber die Verkaufsangebote dürften nicht mehr bis zum letzten Euro ausgereizt werden können.
Es mag zwar noch viele Kaufwillige geben, die bisher leer ausgegangen sind, aber auch die Banken haben ihre Vergaberichtlinien bei Wohnungsbaukrediten erheblich verschärft und dürften noch vorsichtiger werden, wenn sich der Preistrend nach unten bestätigt. Noch sind es nur erste Indizien. Aber wer darauf hofft, dass es sich nur um eine Preisdelle handelt und danach die Preise wie gewohnt weiter steigen werden, geht eine riskante Strategie ein, wenn er Verkaufspläne hegt.
Müssen sich Immobilienbesitzer Sorgen machen?
Das hängt davon ab, wann bei ihnen eine Anschlussfinanzierung ansteht und wie groß dann die Restschuld ist. Bei dem aktuellen Zinsniveau und der Beibehaltung der inzwischen erreichten Tilgung drohen nach Berechnungen von Scoperty Hamburger Immobilienbesitzern monatliche Mehrbelastungen von mehreren Hundert Euro. Bei einem Zinsanstieg auf vier Prozent könnte die 2019 vereinbarte monatliche Kreditrate von 1421 Euro auf 2487 Euro ab dem Jahr 2024 steigen, weil nur eine fünfjährige Zinsbindungsfrist vereinbart wurde.
Zur Erleichterung kann aber die Tilgungsrate von vier Prozent wieder auf das anfängliche Niveau von zwei Prozent reduziert werden. Steht die Verlängerung des Kredits in ein oder zwei Jahren an, kann man sich auch für ein Forward-Darlehen entscheiden. Damit kann man sich mit einem kleinen Aufschlag das aktuelle Zinsniveau sichern und ist vor möglichen weiteren Zinsanstiegen geschützt. Ein Forward-Darlehen ist eine Art Zinswette. Denn das Darlehen muss zu den vereinbarten Konditionen abgenommen werden, auch wenn die Zinsen am Markt wieder niedriger sein sollten.
Können Banken wegen fallender Immobilienwerte Kredite kündigen?
Um innerhalb der Zinsbindungsfrist den Kredit außerordentlich zu kündigen, muss sich der Wert der gestellten Sicherheit, also in dem Fall der Immobilie, deutlich verschlechtern. Das kann bei fallenden Immobilienpreisen passieren. Wie groß die Gefahr ist, hängt davon ab, wie stark die Immobilie beliehen wurde. Am größten ist also die Gefahr, wenn die Immobilie zu 100 Prozent von der Bank finanziert und der Kredit bisher kaum getilgt wurde.
Das allein reicht aber für eine Kündigung nicht aus. Die Bank müsste zusätzlich darlegen können, dass die Rückzahlung des Kredits gefährdet ist. Das könnte eintreten, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Immobilienbesitzers verschlechtern sollten, etwa durch den Verlust des Jobs.
Nehmen Zwangsversteigerungen zu?
In Hamburg wurden im ersten Halbjahr lediglich zwölf Eigentumswohnungen und 23 Einfamilienhäuser versteigert. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum sind das lediglich drei Objekte mehr, bei denen es sich ausschließlich um Eigentumswohnungen handelt. Die Summe der Verkehrswerte beläuft sich auf rund 20 Millionen Euro, was gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von zwölf Prozent ist. Deutschlandweit ging die Zahl der Zwangsversteigerungen um knapp drei Prozent auf 6248 zurück.
„Viele coronabedingte Stundungsverfahren sowie die Tatsache, dass Eigentümer mit Zahlungsschwierigkeiten ihre Immobilien auf dem Markt offenbar veräußern, bevor Banken oder Sparkassen die Zwangsversteigerung beantragen mussten, verhinderte bislang einen Anstieg der Zwangsversteigerungen“, sagt Arno Ruesch von Argetra, Verlag für Wirtschaftsinformation, der die Zwangsversteigerungen auswertet. „Angesichts der für dieses Jahr prognostizierten bis zu 95.000 Privatinsolvenzen rechnen wir künftig wieder mit einer deutlichen Zunahme von Zwangsversteigerungen“, sagt Ruesch.
„Vor allem finanzschwache Haushalte sind es, die mit Einkommensknappheit, Pandemiefolgen, steigenden Energiekosten und allgemeiner Inflation zu kämpfen haben.“ Da sich aber ein Zwangsvollstreckungsverfahren ein bis zwei Jahre hinzieht, rechnet Rusch erst 2023 und 2024 mit einem Anstieg der Zwangsversteigerungen.
Welche Folgen hat die Entwicklung für Verrentungsmodelle/Teilverkäufe?
In den vergangenen Jahren hat sich ein ganz neues Marktsegment für ältere Immobilienbesitzer entwickelt: die Verwertung der Immobilie im Alter, ohne dass die Besitzer ausziehen müssen. Sie können für ihr Haus einen Seniorenkredit, eine Umkehrhypothek aufnehmen oder Geld aus einem vollständigen Verkauf (Leibrente) oder einem Teilverkauf ziehen, um ihre finanzielle Lage zu verbessern.
„Wer bereits einen Vertrag hat, ist von den Zinssteigerungen nicht betroffen. Hier bleibt alles beim Alten. Allerdings kann es durch die steigenden Zinsen zu Veränderungen kommen, wenn die Bedingungen nicht bis zum Lebensende festgezurrt sind, wie das beim Teilverkauf einer Immobilie oder auch der Umkehrhypothek typisch ist“, sagt Georg F. Doll, Geschäftsführer der WIR Wohnimmobilienrente GmbH aus Hamburg. Bei der Leibrente werden Haus oder Wohnung gegen Wohnrecht, Einmalzahlung oder lebenslange Rente verkauft.
Doll berichtet von einem Interessenten für eine Leibrente, der Anfang des Jahres noch abwarten wollte. „Bei der Neuberechnung fiel das Angebot dann wegen der gestiegenen Zinsen um 20 Prozent niedriger aus. Wer sich also für die Verrentung seiner Immobilie interessiert, sollte jetzt nicht zu lange abwarten“, sagt Doll. Da die Käufer sich auch refinanzieren müssen, sind sie von den gestiegenen Zinsen betroffen.
„Noch entscheidender als die Zinsen ist der Immobilienwert. Fallende Preise, würden die Verrentungsmodelle noch stärker beeinträchtigen, aber wir gehen in der Metropolregion Hamburg zunächst von einer stabilen Preisentwicklung aus. Fakt ist aber, dass sich eine verringerte Nachfrage, wie wir sie jetzt durch die gestiegenen Zinsen haben, langfristig auch auf die Preise auswirken kann“, sagt der Experte.
Immobilien Hamburg: Was ist bei Verrentungsmodellen zu beachten?
Beim Teilverkauf wird die Immobilie zu maximal 50 Prozent verkauft und dieser Teil dann zurückgemietet. Das Nutzungsentgelt bei Teilverkäufen steigt, wenn die Zinsen steigen. Bei der Umkehrhypothek handelt es sich um einen Kredit, der erst nach Ende der Laufzeit durch den Verkauf der Immobilie zurückgezahlt wird. Während der Laufzeit werden keine laufenden Zinsen und keine Tilgung gezahlt. Meist sind die Zinsen nicht für die gesamte Laufzeit vereinbart. Steigen sie, hat das zwar auf die laufenden Auszahlungen keinen Einfluss, aber nach dem Verkauf bleibt so weniger Geld für die Erben.
Bei dem Seniorenkredit handelt es sich um einen klassischen Kredit an Immobilienbesitzer 60plus, bei dem monatlich Zinsen gezahlt werden. Die Tilgung ist aber ausgesetzt. Maximal können 40 Prozent des Immobilienwertes beliehen werden. Mit dem Marktzins steigt der Zins für neu abzuschließende Seniorenkredite. Seit Jahresbeginn haben sich die Zinsen von 1,50 Prozent auf aktuell 3,50 Prozent mehr als verdoppelt. Laufende Verträge sind von Zinsänderungen nicht betroffen, da die Zinsen lange festgeschrieben werden.