Luhmühlen. Olympiasiegerin aus Warendorf dominiert Deutsche Meisterschaft und ist als Trainerin erfolgreich. Eine andere Große muss operiert werden.
Klar, natürlich freute sie sich über ihren dritten deutschen Meistertitel in der Vielseitigkeitsreiterei, ein etwas komisches Gefühl beschlich Julia Krajewski aber doch. Einerseits war sie selbst dafür verantwortlich, andererseits konnte sie ja nichts dafür, dass die Konkurrenz in den Tagen von Luhmühlen selten an die Leistungen der Olympiasiegerin und Vizeweltmeisterin herankam.
Nach dem Geländeritt gab es die ungewöhnliche Konstellation einer Doppelführung für die 34-Jährige aus Warendorf. Mit ihrem ersten Pferd Nickel lag sei an der Spitze des Zwischenklassements (27,5 Punkte), mit Ero de Cantraie folgte sie sich selbst auf Rang zwei (30,2).
Deutscher Meistertitel ist lange vor den letzten Startern perfekt
Da es nicht zumutbar ist, innerhalb weniger Augenblicke von einem auf das andere Pferd zu wechseln, ging Julia Krajewski im abschließenden Springen mit einem ihrer Pferde schon als elfte Starterin früh in den Parcours. Mit Ero erlaubte sie sich keinen Abwurf, bekam lediglich 0,4 Fehlerpunkte für Zeitüberschreitung und nahm die Spannung aus dem Wettbewerb.
Denn es war klar, dass die Nachfolgerin von Michael Jung als deutscher Meister der Vielseitigkeitsreiter Julia Krajewski heißt – nur noch nicht mit welchem Pferd. „Nickel war kurz irritiert und hat an Höhe verloren. Es sei ihm verziehen“, erklärte Krajewski die zwei Abwürfe mit ihrem zweiten Pferd als letzte Starterin.
Silbermedaille für Christoph Wahler, Bronze gewinnt Anna Lena Schaaf
Damit belegte sie im Endklassement der internationalen Vier-Sterne-Prüfung von Luhmühlen die Plätze eins und drei. Da für die deutsche Meisterschaft nur das beste Pferd gewertet wird, gingen Silber und Bronze an Christoph Wahler aus Bad Bevensen mit D’Accord und die junge Anna Lena Schaaf (21) aus Warendorf mit Fairytale. „Anna Lena ist schon lange dabei. Jetzt hat sie gezeigt, dass sie auch bei den Senioren Medaillen gewinnen kann“, sagte Bundestrainer Peter Thomsen. „Nachwuchssorgen haben wir jedenfalls nicht.“
Augenfällig war, dass sich trotz des Fehlens von Michael Jung und Sandra Auffarth, die beim CHIO in Aachen in zwei Wochen starten, viele junge deutsche Reiter gegen die internationale Konkurrenz behaupten konnten. Die ersten sechs Plätze im CCI4*-S gingen an Teilnehmer mit dem Bundesadler am Revers, neben den bereits Genannten noch Nadine Marzahl aus Munster (5.) und Calvin Böckmann aus Münster (6.). Böckmann trainiert bei Julia Krajewski und lag nach dem Geländeritt unmittelbar hinter seiner Trainerin auf Rang drei.
Calvin Böckmann: 2022 noch Zuschauer, nun Dritter nach Geländeritt
Der 22 Jahre alte BWL-Student hatte sich mit einer Null-Fehler-Runde auf dem Rücken von „The Phantom of the Opera“ vom elften Platz nach der Dressur auf Rang drei nach der zweiten Teildisziplin verbessert. Auf den 3730 Metern war er acht Sekunden schneller als seine Trainerin. „Es ist surreal. Letztes Jahr war ich in Luhmühlen als Zuschauer dabei und jetzt sitze ich hier mit diesem Ergebnis. Ich bin selbst überrascht und habe nicht damit gerechnet“, sagte Böckmann, im Vorjahr Deutscher Meister der Jungen Reiter (bis 21 Jahre).
Sein Pferd – kurz „Phanti“ genannt – hat er vor anderthalb Jahren von Sandra Auffarth übernommen. „Mittlerweile vertrauen wir uns voll und ganz. Ich habe gemerkt, wie viel Spaß er hatte.“ Daran konnte auch das nicht ganz perfekte Springen mit zwei Abwürfen etwas ändern. Wenn Calvin Böckmann voraussichtlich im März 2024 mit dem Studium fertig ist, möchte er am liebsten voll auf die Vielseitigkeitsreiterei setzen.
Krajewskis ärgste Konkurrentinnen scheiden vorzeitig aus
Zurück zu Julia Krajewski: Ihre ärgsten Konkurrentinnen im Kampf um den Vier-Sterne-Sieg hatten mit dem nicht leicht zu reitenden Geländekurs zu kämpfen. Der nach der Dressur führenden Mollie Sunderland (Großbritannien) unterlief im Stadion zunächst ein Vorbeiläufer an einer schrägstehenden Kombination, wenig später beendet sie ihren Ritt vorzeitig.
Und auch Publikumsliebling Ingrid Klimke (Dritte nach der Dressur) erwischte nicht ihre beste Runde. Zunächst lief ihr Pferd Siena just do it an einem Hindernis vorbei, dann kamen die beiden im Stadion vor der Haupttribüne sogar zu Fall und schieden aus. Auf den ersten Blick schienen sich Reiterin und Pferd keine schwerwiegenden Verletzungen zugezogen zu haben.
Ingrid Klimke stürzt, bricht sich das Schlüsselbein und wird operiert
Klimke wurde ebenso wie Susanna Bordone (Italien), die zwischen zwei Hindernissen stürzte, zu weiteren Untersuchungen in ein Krankenhaus gebracht. Am Sonntag wurde bekannt, dass sich die 55-jährige Klimke einen Bruch des rechten Schlüsselbeins zugezogen hat, schon operiert wurde und zuversichtlich ist, bald in das Wettkampfgeschehen zurückkehren zu können.
Mit ihren beiden neunjährigen Nachwuchspferden war Julia Krajewski vorsichtig an die Geländeaufgabe herangegangen. „Gerade bei so jungen Pferden weiß man nie, wie sie mit so einer Atmosphäre umgehen“, sagte die 34-Jährige. Nach Veranstalterangaben bevölkerten mindestens 17.000 Zuschauer das Turniergelände in der Westergellerser Heide am Geländetag, am Sonntag dürften es noch einmal 7000 bis 8000 gewesen sein.
17.000 Zuschauer am Geländetag, dazu 7000 bis 8000 beim Springen
Als Ero dann mit den Ohren gewackelt und Krajewski ein gutes Gefühl gegeben habe, sei sie offensiver geritten. Das Ergebnis: sie absolvierte die 3730 Meter lange Geländestrecke der Vier-Sterne-Prüfung exakt in der Richtzeit von 6:33 Minuten. Auch mit ihrem zweiten Pferd legte die neue deutsche Meisterin später fast eine Punktlandung hin: mit Nickel war sie nur zwei Sekunden langsamer.
Bei den Europameisterschaften im August in Frankreich wird Krajewski fehlen. Ihre beiden Pferde aus Luhmühlen sind nicht qualifiziert, ihr Olympiapferd Amande de B’Neville nach einer Verletzung noch nicht wieder fit. „Ich gucke mir das ganz entspannt an“, sagte die Warendorferin, als Peter Thomsen sich nicht zu möglichen Nominierungen äußern wollte. Der Bundestrainer möchte noch den Auftritt seiner zehn Top-Paare beim CHIO in Aachen abwarten.