Stove . Schlechtes Wetter beschert dem Rennverein wie 2014 ein sattes Minus. Holländischer Wallach Automatic Frisia verpasst Jahrhundertrekord.
Wieder Regen, wieder Nässe. Im zweiten Jahr nacheinander hat schlechtes Wetter die Besucherzahlen bei einem der traditionsreichsten Pferderennen in Deutschland fast halbiert. Aber all das ist vergessen, als über die Lautsprecher Jan von Witzleben mit getragener Stimme verkündet: „Und nun der Höhepunkt – der Große Preis von Stove 2015“. Die Schlangen vor den Totokassen werden länger.
Von den Bierständen und aus dem Kaffeezelt dängen die Menschen an die Bahn. Und der Sprecher oben im Richterturm heizt die Wettleidenschaft mit einem möglichen Jahrhundertrekord bei diesem 141. Stover Rennen an: „Dreimal hintereinander hat Automatic Frisia mit Eddy van der Galien im Sulky den Großen Preis gewonnen. Gelingt das heute wieder? Das hat noch kein anderes Pferd geschafft“.
Die Mehrheit der Zocker ist davon überzeugt. Der Wallach aus Holland ist ihr klarer Favorit. Das heißt, die Quote ist niedrig. Wer zehn Euro auf Sieg setzt, würde 27 Euro zurückbekommen. Das Fatale an der Sache: Weil Automatic Frisia bereits mehr als 32.000 Euro an Preisgeldern eingefahren hat, muss er 50 Meter hinter dem Feld starten. „Der Start ist geglückt“, schallt es über die Bahn hinter dem Deich. „Manfred Walter hat mit Bastian die Führung übernommen“. Lauter und drängender die Stimme dann: „Aber Jochen Holzschuh mit Ann Marie kommt auf. Er greift an!“
Die Mehrheit der Zocker setzt auf den favorisierten Wallach aus Holland
Ganz vorne, beim Zieleinlauf drängt sich eine junge Frau in einer blauen Regenjacke an die Absperrung. Mit den Händen verbirgt sie ihr Gesicht, als der Pulk der Traber an ihr vorbei rauscht. Nach der ersten Runde ist Automatic Frisia noch immer Schlusslicht. „Aber er schiebt sich nach vorne“, ist aus den Lautsprechern zu hören. „Noch zwei Runden. Ann Marie und Bastiaan jetzt gleich auf. Aber Ann Marie kommt! Jochen Holzschuh übernimmt die Spitze“.
Die junge Frau in Blau ballt die Fäuste. Automatic Frisia hat sich auf Platz vier vorgeschoben. „Die letzte Runde“, kündigt Jan von Witzleben an. Schreien, Toben, Lachen. Da ist keiner unter den Tausenden an der Zielgeraden, der nicht mitgerissen wird von diesen Emotionen. „Noch 200 Meter“, kommt der Schrei. „Ann Marie führt. Ann Marie! Ann Marie mit Jochen Holzschuh! Jaa! Das sind die Sieger“. Die junge Frau in Blau springt hoch, jauchzt, schreit, fällt lachend ihrem Mann in die Arme.
Es gibt so viele Facetten, die diesen Renntag in der Elbmarsch prägen und zu etwas Einmaligem machen. Da ist vor allem das Spielparadies für die Kinder, die Familien, die Freunde und Nachbarn, die sich alle Jahre hier auf und hinter dem Deich treffen. Das Herzstück dieser Kultveranstaltung aber ist der Toto, der für Spannung und Aufregung, für Enttäuschung und natürlich auch für das eigentliche Glück in Stove sorgt.
Beim Großen Preis hatte Jochen Holzschuh mit seinem dritten Tagessieg 2200 Euro Siegprämie verdient. Manfred Walter mit Bastiaan B wurde Zweiter und Mario Krismann mit Helios Dritter. Und Eddy van der Galien, der große Favorit mit Automatic Frisia? Die mussten sich am Ende mit Platz vier zufrieden geben. Dabei hatte der Wallach aus Holland zuvor im sechsten Rennen einem kleinen Jungen ein Erlebnis beschert, an das dieser sich lange erinnern wird. „Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen“, rief Jan-Philippe Schäfer, der mit der Familie zum ersten Mal bei einem Pferderennen war. „Papa hast Du meinen Pass dabei, damit ich das Geld abholen kann“. Der Vater lachte. „Da werde ich doch wohl mitgehen müssen“.
Jan-Philippe hatte das Pferd mit den meisten Siegen ausgesucht und gleich 20 Euro auf Automatic Frisia gesetzt. „Was ich verdient habe, weiß ich ja noch nicht“. Mehr als 100 Euro wird er wohl ausbezahlt bekommen haben. Die Mama musste Charlotte, die sechsjährige Tochter ein wenig trösten. „Sie hat auf die Nummer 8, auf Olrando de Bresles, gesetzt“, erzählt sie lächelnd, „weil ihr der Name so gut gefiel. Auch ich finde das toll hier, das macht wirklich Spaß. Schade nur, dass die Sonne nicht scheint. Ich hätte so gerne einen tollen Hut aufgesetzt. Das gehört doch eigentlich dazu, wenn man zum Pferderennen geht.“ Vielleicht werden in Stove ja auch einmal die spektakulärsten Damenhüte prämiert.
Nach einer ersten groben Rechnung ergibt sich wieder ein Defizit
Einer von vielen sportlichen Höhepunkten war das Trabreiten. Das wurde auch in Stove von den Frauen dominiert. In einem dramatischen Finish setzte sich die Holländerin Angeline Batist (auch im Galoppsport erfolgreich) mit Beat It vor Ronja Walter auf Charom durch. Dritte wurde Sytske de Vries, auch aus den Niederlanden, die im Sattel von Yugo durchs Ziel trabte.
Schlechtes Wetter bedeutet in Stove immer auch weniger Einnahmen. Nach der ersten groben Abrechnung gab Günther Porth, der Vorsitzende des Rennvereins die Zahl der zahlenden Besucher „mit etwas mehr als 4000“ an. Und fügte hinzu: „Wir werden wieder Minus machen. Das kommt zu den 45.000 Euro hinzu, die wir bereits im letzten Jahr aus unseren Reserven zubuttern mussten. In einem sind wir uns im Vorstand einig – wir machen keine Schulden. Dann würde es keine Rennen in Stove mehr geben“.
Aber als Günther Porth, der pensionierte Polizeibeamte, das sagt, verspricht Hermann Kohlhaus, der Vorstand der Volksbank Winsener Marsch, spontan Unterstützung. „Dann würden wir und sicher auch andere Sponsoren dem Verein zur Seite stehen. So arm ist die Elbmarsch nicht, das sie diese großartige Tradition nicht erhalten kann.“