Luhmühlen. Nach vergeblichen Anläufen gewinnt die Spitzenreiterin erstmals die Vier-Sterne-Vielseitigkeitsprüfung. Andreas Ostholt wird deutscher Meister.

Die Krone der Reiterei – die internationalen Vielseitigkeitstage in Luhmühlen. Jubel und Applaus und Trampeln und Bravorufe – und zehntausend fröhlich lachende Gesichter. Die Frau, die von den Zuschauern rund um den Turnierplatz frenetisch gefeiert wird, bedankt sich mit der rechten Hand bei den Menschen und mit der linken immer wieder bei ihrem Pferd. Ingrid Klimke, ohnehin schon halb in der Heide zu Hause, gewinnt zum ersten Mal in ihrer glanzvollen Karriere die große Vier-Sterne-Prüfung in Luhmühlen.

Das Pferd aber, das ihr zu diesem Triumph verhalt – so viel Lokalpatriotismus muss sein – ist ja eigentlich ein Mädchen aus Luhmühlen. Escada, die springstarke Stute, ist von Jürgen Stuhtmann gezüchtet worden. Und der Mann, der Pferdeabstammungen über viele Generationen aufsagen kann, ist Vorsitzender der Züchter im Pferdezucht- und Reitverein Luhmühlen.

Zur Dramatik im reiterlichen Dreikampf gehört, dass nach Dressur- und Geländeprüfung das führende Paar als letzte in den Springparcours muss. Das ist für Ingrid Klimke in Luhmühlen nicht neu. Viele Dauergäste erinnern sich an zurückliegende Schreckmomente, als die so verehrte Reiterin mit polternden Abwürfen ihren Sieg verspielt hatte. Michael Jung, mit Sam Dritter nach dem Geländeritt, blieb ohne Abwurf. Ionelle Price, die lebensfreudige Neuseeländerin, nur um winzige 0,1 Punkte hinter Ingrid Klimke, hatte mit Faerie Dianimo das Springen ebenfalls souverän gemeistert.

Nicht einmal einen Zeitfehler darf sich Ingrid Klimke erlauben. Die Spannung ist kaum zu ertragen. Absolute Stille, als Klimke und Escada das erste, das zweite, das dritte Hindernis nehmen. „Mehr Tempo“, dröhnt plötzlich ein Kommando über den Platz. Kurt Gravemeier, der Springtrainer treibt Ingrid Klimke nach vorn. Sie hatte ihn extra für die letzte Entscheidung nach Luhmühlen kommen lassen. Dann, der letzte Sprung, die Galoppade über die Ziellinie. Der Jubel ist wohl bis nach Salzhausen zu hören.

Wie stark der Vielseitigkeitssport inzwischen auch Menschen begeistert, die sich nie auf ein Pferd wagen würden, dafür war wieder der Geländeritt der Maßstab. Am Sonnabend gegen elf Uhr meldete Julia Otto, die Geschäftsführerin der Turniergesellschaft: „Die Zuschauerzahlen gehen auf die 20.000 zu.“ Als Michael Jung mit Sam morgens als erste auf die 6500 Meter lange Geländestrecke mit den 30 Hindernissen und 45 Sprüngen preschte, war an den Beifallsstürmen zu erkennen, auf welchem Teil der Strecke die beiden unterwegs waren. Aus den Lautsprechern drang: „Den Wittinger Bierstand haben die beiden genommen, jetzt auch fehlerfrei über Heiners Jagdhütte.“

Dann der Meßmer Teich, um den sich tausende Zuschauer scharen. Nach dem letzten Sprung beugt sich Michael Jung im Sattel nach vorn. Sam wird schneller, seine wirbelnden Beine erzeugen dumpfen Rhythmus, wenn sie den Boden berühren. Die Kraft, die Schnelligkeit des Pferdes, die Spannung im Gesicht des Reiters – es sind diese kurzen Augenblicke, die einen auch als Zuschauer mitreißen.

„Ein Ritt wie fürs Lehrbuch“, sagt Bundestrainer Hans Melzer. „Sam liebt das Galoppieren über alles“, sagt Brigitte Jung, die Mutter des zur Zeit besten Vielseitigkeitsreiter weltweit. „Mir geht jedes Mal das Herz auf, wenn ich den beiden im Gelände zusehen kann. Für mich gibt es nichts Schöneres.“

Lange bevor Ingrid Klimke über die Lautsprecher zum Start gerufen wurde, drängten sich ihre Bewunderer am Startgatter. Handys wurden hoch gereckt und der Reiterin freundliche Worte zugerufen. Die Stars der Vielseitigkeitsszene sind und werden populär wie Popidole. Der Unterschied allerdings ist, dass sie auch im Erfolg nahbar und freundlich und bescheiden bleiben. Als Ingrid Klimke nach ihrem Geländeritt dem ZDF das erste Interview gibt, umklammert die jüngste Tochter ihre Beine und versteckt sich hinter ihr.

Bevor Andreas Dibowski mit Butts Avedon als Vorletzter ins Gelände startet, bekommt Ehefrau Susanna einen Kuss. Das gehört zum festen Ritual. Nach elf Minuten und sechs Sekunden sind die beiden im Ziel und der Luhmühlen-Sieger von 2011 hoch zufrieden. Beim Springen allerdings gab es zwei Abwürfe. In der Endabrechnung bedeute t dies Rang elf.

Butts Leon, sein Siegpferd von vor vier Jahren, war am Sonnabend mit großem Applaus und viel Anteilnahme verabschiedet worden. Den deutschen Meistertitel, den Dibowski mit Leon 2013 erkämpft hatte, gaben die beiden an Andreas Ostholt aus Warendorf weiter. Auch in dieser Drei-Sterne-Prüfung landete Ingrid Klimke weit vorne. Mit Hale Bob wurde sie DM-Zweite.