Vierhöfen. Weltklassepferd wird am Sonnabend in Luhmühlen in den Ruhestand verabschiedet. Mit Andreas Dibowski gewann der 18-Jährige Olympiagold und Vier-Sterne-Prüfung.

Die kühle Frische am Morgen. Über der Reitanlage in Vierhöfen steht die Sonne. Im Stall gehen die Schwalben geschwätzig ihrer Arbeit nach. Es ist kurz vor neun Uhr. Die richtige Zeit, um einen Rentner zu besuchen. Doch sein Wiehern zur Begrüßung klingt ungeduldig. Butts Leon, der inzwischen 18 Jahre alte Weltstar der Vielseitigkeitsreiterei, drängt es aus seiner Box. Pflegerin Maria Rieckmann muss sich beeilen. Draußen am Gatter wartet bereits Susanne Heigel mit Lenni, Leons neuem Kumpel.

Jeden Morgen wiederholt sich das wundervolle Schauspiel. Leon, der Boss, prescht schnaubend und wiehernd davon. Lenni, der verspielte Jüngling, ihm hinterher. Die Mähnen der Pferde wehen im Wind. Die beiden jagen sich, machen Sprünge, recken die Köpfe, schauen sich in die Augen, um plötzlich abzudrehen und das Spiel von Neuem zu beginnen.

Susanne Heigel, zusammen mit ihrem Mann Eigentümerin der Tiere, und Maria Rieckmann, die Pferdepflegerin, stehen beieinander. Sie lächeln und schweigen. Es sind Bilder voller Kraft und Schönheit, und die Demonstration von Freiheit und Lebensfreude. „Jeden Morgen stehen wir hier und schauen zu“, sagt Susanne Heigel leise und wie zu sich selbst. „Und jeden Morgen ist das eine Wohltat für die Seele.“

Sie hat dem Reiterhof in Vierhöfen den wunderschönen Namen „Abendsonnenschein“ gegeben. Alle vierbeinigen Bewohner waren einst erfolgreiche Hochleistungssportler in der Vielseitigkeit. Butts Leon, der vor gut einem Jahr Einzug hielt, ist auch hier der ungekrönte König. Wie zuvor viele Jahre auf dem Irenenhof in Döhle, als Andreas Dibowski Welterfolge mit ihm feierte.

Am heutigen Sonnabend um etwa 13.45 Uhr, wenn der Geländeritt in der Vier-Sterne-Prüfung beendet ist, haben sie ihren letzten großen gemeinsamen Auftritt. Butts Leon bekommt seinen Abschied in Luhmühlen. Wie im vergangenen Jahr sein Halbbruder Butts Abraxxas, mit dem Ingrid Klimke Vielseitigkeitsgeschichte schrieb.

Wenn Bundestrainer Hans Melzer vor der Haupttribüne die Laudatio für das glorreiche Pferd und natürlich seinen Reiter hält, werden auf der Leinwand die stolzesten Leistungen zu bewundern sein. Da war zum Beispiel das Mannschaftsgold bei den Olympischen Reiterspielen 2008 in Hongkong. Da war vor allem aber der Triumph vor vier Jahren in Luhmühlen. Mit Butts Leon gelang Andreas Dibowski der erste und bisher einzige Sieg in der großen Vier-Sterne Prüfung. Wenn Dibowski heute mit Leon in die letzte Ehrenrunde galoppiert, wird Luhmühlen jubeln und applaudieren. Und mancher einer der vielen tausend Zuschauer wird ge­gen die Tränen ankämpfen müssen.

Dabei war der Beginn der großartigen Partnerschaft voller Tücken. „Leon war vier, als er zu mir in die Ausbildung kam“, erzählt Dibo. „Er ist empfindsam und sensibel und hat einen sehr starken Charakter. Als Pferd mit hohem Vollblutanteil hat ihm Dressurarbeit wenig Spaß gemacht. Dabei haben wir beide uns so aneinander gerieben, dass ich spürte, es geht nicht mehr. Ich bin aus dem Sattel, habe meiner Frau die Zügel in die Hand gedrückt und gesagt: Versuch du es mit ihm.“

Im Rückblick muss man nicht betonen, dass Susanna Dibowski den Eigenwilligen für sich und damit auch für ihren Mann und für den großen Sport gewinnen konnte. Sie hatte Tränen in den Augen, als Leon nach dem Triumph in Luhmühlen 2011 verkauft und in die USA geflogen wurde. Die dort lebende, 19-jährige Thailänderin Nina Ligon qualifizierte sich mit dem Weltklasseroutinier aus Döhle für die Olympischen Spiele 2012 in London.

„Man darf ein so wundervolles Tier doch nicht im Alter durch die Welt treiben lassen“, dachte Susanne Heigel, als sie hörte, dass Butts Leon anschließend kaum noch in Championaten eingesetzt wurde. Ehemann Holger Heigel flog nach London, kaufte Butts Leon und holte ihn zurück auf den Irenenhof. „Dass ich danach mit Leon deutscher Meister werden konnte“, sagt Andreas Dibowski „damit hat er mich am meisten überrascht und dafür sage ich am lautesten Danke.“

Auf der Koppel in Viehhöfen haben sich Leon und Lenni, sein neuer Kumpel, der eigentlich Llanevo, also Bursche, heißt, ausgetobt. „Bei den großen Prüfungen habe ich immer bewundert, mit welcher Gelassenheit und Selbstverständlichkeit Leon seine Aufgaben erfüllt“, sagt Susanne Heigel, Behüterin der vierbeinigen Rentner. „Ich habe großen Respekt und Ehrfurcht vor seiner Leistung“. Maria Rieckmann gibt Leon vorsichtig einen Kuss und flüstert: „Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der das darf“. Als er jetzt zum Frühsport abgeholt wird blickt sie ihm nach und sagt lächelnd: „Ich wünsche uns allen, dass wir unseren Ruhestand so genießen können.“