Berlin/Buchholz. Nach dem 27:25-Sieg im Relegations-Rückspiel bei den Füchsen Berlin müssen die Auswärtstore über 1. oder 2. Bundesliga entscheiden.
Am Ende mochte selbst der Kameramann in der Sporthalle Charlottenburg nicht mehr hinsehen. Nach der Schlusssirene wurde das Bild der Internet-Übertragung plötzlich schwarz. Zumindest der Ton lief weiter: da konnte man die Spielerinnen der Handball-Luchse im Hintergrund kreischen, jubeln und singen hören. Als das Bild nach endlos langen Sekunden wieder da war, zeigte der Mann oder die Frau an der Kamera die enttäuschten, auf dem Boden hockende Spielerinnen der Füchse Berlin. Auch einen Schwenk auf den Luchse-Tross gönnte man den Fans am heimischen Laptop, der Eindruck: So lange hatten sich die Spielerinnen aus der Nordheide noch nie umarmt, so fest hatten sie sich noch nie gedrückt. Sie hatten allen Grund dazu.
Dramatischer hätte sich ein Drehbuchautor diese Geschichte nicht ausdenken können: Mit einem allerletzten Kraftakt und dem letzten Tropfen Sprit im Tank gelang den Handball-Luchsen Buchholz 08-Rosengarten der Klassenerhalt in der 1. Bundesliga. Sie gewannen das Relegations-Rückspiel um den letzten freien Platz mit 27:25 (12:12) bei den Füchsen Berlin und egalisierten damit die 22:24-Niederlage aus dem Hinspiel am Sonntag. 49:49 nach 120 Minuten Power-Handball.
36 Saisonspiele, allein sechs in den vergangenen 19 Tagen
Als Kriterium über 1. Liga oder 2. Liga musste die größere Anzahl der auswärts erzielten Tore herhalten, und da hatten die Luchse in Berlin (27) drei mehr erzielt als die Füchse in Buchholz (24). Dieses Happy End krönt die erfolgreichste Saison in der Vereinsgeschichte der Handballfrauen aus Buchholz und Rosengarten. Nach dem dritten Aufstieg in die 1. Bundesliga schafften sie zum ersten Mal den Klassenerhalt, dazu kommt die wundersame Reise im DHB-Pokal, die mit der Finalniederlage gegen Bietigheim endete.
„Ich bin überglücklich“, sagte Trainer Dubravko Prelcec nach dem Erfolg in Berlin. „Eigentlich sprach alles gegen uns, denn aufgrund der unglaublichen Belastung in den vergangenen Wochen war fast keine Spielerin beschwerdefrei.“ Für die Luchse war es das 36. Pflichtspiel in der Saison 2020/2021, das sechste innerhalb der vergangenen 19 Tage. Zuletzt fast immer mit dem mentalen Druck, die Partie gewinnen zu müssen, um überhaupt auf den Klassenerhalt hoffen zu dürfen.
Zwei Packungen Schmerzmittel für angeschlagene Spielerinnen
Für den letzten Kraftakt bissen alle auf die Zähne, es liefen auch die am Sonntag angeschlagenen Melissa Luschnat (drei Tore im letzten Spiel, sie beendet die Karriere) und Marleen Kadenbach auf. In der Schlussphase bekam sogar Alexia Hauf, die sich elf Tage zuvor einen Muskelbündelriss in der Wade zugezogen hatte, einige Minuten auf Linksaußen. „Wir sind auf der allerletzten Rille gelaufen. Ich glaube, wir haben zwei Packungen Schmerzmittel verbraucht“, sagte Co-Trainer Matthias Steinkamp.
Es hätte nicht zur Saison der Luchse gepasst, hätten sie nicht auch beim Show-down ein nervenaufreibendes Auf und Ab geboten. Die Gäste aus Niedersachsen erwischten einen erstklassigen Start, lagen nach achteinhalb Minuten mit 5:0 in Führung. Füchse-Trainerin Susann Müller nahm bei 1:6 (10. Minute) die erste Auszeit, stellte ihre Defensive um und wechselte dreimal – mit Erfolg.
Ex-Nationalspielerin Nina Müller wirft zehn Tore für Berlin
Angeführt von ihrer Ehefrau Nina Müller – unter dem Mädchennamen Wörz bestritt die heute 40-Jährige fast 200 Länderspiele – waren nun die Gastgeberinnen am Zug, verkürzten auf 8:9 (19.) und schafften bei 11:11 (26.) den Ausgleich. Die Luchse vergaben Würfe von den Außenpositionen, Torhüterin Zoe Ludwig ließ mehrere Würfe der erfahrenen Müller durch die Beine rutschen.
Nach dem Seitenwechsel ging es erstmal so weiter. Ludwig kassierte das nächste Gegentor durch die Beine, Julia Herbst leistete sich zwei Fahrkarten. Schon stand es 16:12 für die Füchse Berlin. Zusammen mit der Hinspielniederlage musste Buchholz-Rosengarten in den verbleibenden 26 Minuten sechs Tore aufholen, der Klassenerhalt war in weite Ferne gerückt. In der 34. Minute nahm Trainer Dubravko Prelcec seine dritte und letzte Auszeit. Er schickte Ariela Witthöft ins Tor und stellte die Abwehr auf 5:1 um.
„Jetzt erst recht“ nach der Roten Karte gegen Kim Berndt
Kapitänin Evelyn Schulz mit zwei Toren zum 14:16 aus Luchse-Sicht und die an diesem Abend erstmals eingesetzte Jessica Inacio zum 15:16 (38.) brachten ihre Farben zurück ins Spiel. Die unter ihrem Mädchenname Oldenburg bekanntere 29-Jährige war die entscheidende Figur für die Wende zum Guten. Sie erzielte nicht nur drei Tore selbst, sie eroberte auch innerhalb kurzer Zeit zwei Bälle in der Defensive und schickte Maj Nielsen steil, die zum 19:18 und 20:18 (42.) für die Luchse traf.
Ein weiterer Rückschlag warf das Team des Trainerduos Prelcec/Steinkamp nun nicht mehr aus der Bahn. Kim Berndt war nach einem Schrittfehler in der Vorwärtsbewegung zu spät zurück in der Abwehr, versetzte Lisanne Kruijswijk einen leichten Schubser in den Rücken und sah die Rote Karte (43.). Prelcec versuchte vergeblich, seine Spielmacherin mit dem Gespräch an der Bank aus der Schusslinie der Schiedsrichter zu nehmen. Die Köpfe der anderen Luchse gingen nicht nach unten, sie feuerten sich eher noch kräftiger an. „Jetzt erst recht, haben wir uns gedacht“, sagte Steinkamp später.
Kreisläuferin Evelyn Schulz wirft die letzten beiden Luchse-Tore
Es blieb unglaublich spannend. Nach ihrer Auszeit auf der Bank zeigte Zoe Ludwig gute Paraden, Kreisläuferin Evelyn Schulz sorgte für Unruhe in der Füchse-Defensive. Der Erstligist zog durch Fatos Kücükyildiz auf 24:20 und 25:21 davon. Zu dem Zeitpunkt war klar, dass ein Sieg mit zwei Toren Vorsprung für den Klassenerhalt genügte. Die Füchse verkürzten durch Nina Müller und Fem Boeters auf 23:25 (55.). Noch ein Tor und sie wären in die 1. Liga aufgestiegen.
Doch dann parierte Zoe Ludwig einen Siebenmeter und machte einen Rückraumwurf unschädlich. Kapitänin Evelyn Schulz erzielte nach Anspiel von Jessica Oldenburg das 26:23 und nach dem erneuten Anschlusstreffer auch das entscheidende 27:24 für die Luchse, dieses Anspiel kam von Lisa Borutta. Da waren noch 30 Sekunden auf der Uhr, Berlin hätte zwei Tore machen müssen. Zu mehr als dem 25:27-Endstand durch das zehnte Tor von Nina Müller reichte es nicht mehr. Rotsünderin Kim Berndt hielt es kaum noch auf der Tribüne, nach der Schlusssirene durfte sich die 30-Jährige in die Jubeltraube einreihen.
Trainer Dubravko Prelcec verteilt Sonderlob an Jessica Inacio
„Der Klassenerhalt ist der Lohn für extrem harte Arbeit in den vergangenen zehn, elf Monaten“, sagte Co-Trainer Matthias Steinkamp. „Wir waren im Tunnel und haben kaum einmal auf das Ergebnis geschaut. In den letzten zehn Minuten hatten wir das Gefühl, dass wir es schaffen können.“ Trainer Dubravko Prelcec hob in seiner Analyse die Körpersprache, Willenskraft und Nervenstärke hervor und stellte fest: „Der Schlüssel zum Erfolg war die überragende Abwehrarbeit.“ Der Kroate führte den Sieg auf eine geschlossene Mannschaftsleistung zurück. „Dennoch muss ich Jessica Inacio hervorheben, die trotz ihrer Fußschmerzen mit ihren Toren den Ausschlag zum Sieg gegeben hat.“
Die Tore: Evelyn Schulz (6), Fatos Kücükyildiz (6/2), Jessica Inacio, Melissa Luschnat, Maj Nielsen (alle 3), Marleen Kadenbach (3/2), Kim Berndt (2) und Julia Herbst (1)