Harburg. Immer wieder wird bei Bauarbeiten Überraschendes im Erdreich gefunden. Gibt es keine Pläne? Die Antwort ist komplizierter, als die Frage.

Das war eine Schrecksekunde für den Baggerfahrer: Eigentlich wollte er an der Kreuzung Nartenstraße/Hannoversche Straße/Neuländer Hauptdeich lediglich eine Schaufel voll Erdreich heben, als auf einmal meterhoch Wasser aus dem Boden spritzte. Er hatte eine Leitung getroffen (wir berichteten). Dabei traf den Kettenfahrzeugführer keine Schuld: Die Wasserleitung war dort nicht verzeichnet. Ebenso wenig, wie die Gasleitung, die bei der Gelegenheit mitentdeckt wurde und zum Glück unbeschädigt blieb.

Immer wieder kommt es bei Straßenbaustellen in Harburg und anderen Stadtteilen zu solchen Vorfällen und damit zu Verzögerungen. Gleich zweimal in den vergangenen drei Jahren zerrissen Bagger Breitbandkabel, die eigentlich woanders verzeichnet waren und schnitten jeweils Zehntausende Harburger von der Welt des World Wide Web ab. Bei der Sanierung der Hannoverschen Straße mussten mehrmals die Zeitpläne verworfen werden, weil überraschende Untergrundinstallationen zur Neuplanung zwangen. Und am Ehestorfer Heuweg war es ein ganzes Bergwerk, von dem man zwar wusste, von dem aber offensichtlich nicht jeder Schacht verzeichnet war, und das einen Teil der Baustelle schlicht einstürzen ließ.

Ein „Tagesbruch“, ein Einsturz  bei Straßenbauarbeiten über dem Bergwerk Robertshall, wird wieder zugeschüttet.
Ein „Tagesbruch“, ein Einsturz bei Straßenbauarbeiten über dem Bergwerk Robertshall, wird wieder zugeschüttet. © xl | Lars Hansen

Wie kann das sein? Hat die Stadt keinen Plan? Die Antwort ist komplizierter, als die Frage. Doch, es gibt Pläne, in denen die Lage der Leitungen unter Hamburgs Straßen verzeichnet ist. „Im Geo-Informationssystem der Freien und Hansestadt Hamburg ist eigentlich jedes unserer Rohre und jede andere unterirdische Installation zu finden, inklusive Angaben zu Leitungstyp, Leitungsdurchmesser, Material und Materialstärke, Einbauhöhe und bei Apparaturen, Typ, Hersteller und Baujahr“, sagt Bernd Eilitz, Pressesprecher von Gasnetz Hamburg. „Dass eine Leitung entdeckt wird, von der wir nichts wussten, kommt sehr selten vor. Diese ist in den fünf Jahren, die ich beim Gasnetz arbeite, die erste.“

Anders, als zunächst berichtet wurde, lag zumindest die Gasleitung, die man einen halben Meter unter der Kreuzung fand, nicht in der falschen Einbautiefe, betont Eilitz: „Das ist eine Niederdruckleitung. Solche Leitungen liegen 45 bis 60 Zentimeter unter der Fahrbahn. Nur unter besonders stark belasteten Straßen liegen sie tiefer oder abseits.“

Das Internet-Kabel hätt tiefer und etwas entfernt von der Baggerstelle verlaufen müssen

Auch Hamburg Wasser rätselt darüber, wie die Leitung dorthin kam, wo man sie fand und beschädigte. Sie lag nun definitiv zu hoch, denn ein halber Meter Tiefe ist nicht frostsicher, dass die Leitung in ihrer Geschichte nie eingefroren ist, ist glücklicher Zufall. „Wir können nicht genau nachvollziehen, wieso die Leitung in dieser geringen Tiefe verlegt worden ist“, sagt Pressesprecherin Nicole Buschermöhle. „Nun werden wir sie in die richtige Tiefe umverlegen.“

Auch die Breitbandkabel, die Bagger zerrissen, waren grundsätzlich verzeichnet, nur nicht genau da, wo sie getroffen wurden. Unter dem Herbert-und-Greta-Wehner-Platz etwa hätte das Kabel nach Plan tiefer und etwas entfernt von der Baggerstelle verlaufen müssen. Pfusch passiert.

Bezirksbaustelle behindert world wide web: Am Harburger Ring durchtrennte ein Bagger  das Vodafone-Breitbandkabel
Bezirksbaustelle behindert world wide web: Am Harburger Ring durchtrennte ein Bagger  das Vodafone-Breitbandkabel © xl | Lars Hansen

Es kommt ein weiterer Faktor hinzu: Zeit. Die heilt zwar alle Wunden, bewahrt aber nicht alle Unterlagen auf. „Unser Hamburger Leitungsnetz ist historisch gewachsen, seit wir vor 160 Jahren die ersten Rohre legten“, sagt Gasnetz-Sprecher Eilitz.

In dieser Zeit wechselte Harburg von Hannover zu Preußen, von Preußen ins deutsche Reich und wurde 1937 nach Hamburg zwangseingemeindet. In 160 Jahren durchlebte Harburg eine industrielle Revolution inklusive rasantem Wachstum, zwei Weltkriege mit einem Aufstand nach dem ersten und schweren Bombenangriffen am Ende des zweiten, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Da kann auch mal eine Akte verlorengehen oder verbrennen, oder eine Leitung als Kriegsschaden schnell, pragmatisch und undokumentiert repariert werden.

„Vor der Hacke ist es duster“, ist ein altes Bergmannssprichwort, das auch für Tiefbauer gilt

Das Bergwerk Robertshall in Hausbruch, über dem der Ehestorfer Heuweg einstürzte, war 100 Jahre zuvor an dieser Stelle schlampig verfüllt worden. Diese Tatsache hielten die saumseligen Bergleute von damals natürlich nicht auch noch schriftlich fest, ebensowenig, wie den Umstand, dass sie mehr Schächte gruben, als das Bergamt ihnen zugestand, und sie diese deshalb auch lieber nicht in einer Karte verzeichneten.

„Vor der Hacke ist es duster“, ist ein altes Bergmannssprichwort, das bedeutet, dass man nie wissen kann, was man unter der Erde vorfindet, bis man dort gegraben hat. Das könnte so auch für Tiefbauer gelten. Unter Harburgs Straßen finden sie alles Mögliche, außer vielleicht den legendären Störtebekerschatz, der auch noch irgendwo im Bezirk vergraben sein soll. Um vor Überraschungen gefeit zu sein, werden auch schon Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.

Tiefer im Thema buddeln:

„Bei großen Straßenbaustellen sondieren wir vorher den Boden, um Baugrunduntersuchungen zu machen“, sagt Bezirksamts-Pressesprecherin Sandra Stolle. „Das ist kostspielig und zeitaufwändig. Damit wir nicht schon Wochen vor den eigentlichen Bauarbeiten ganze Straßen für den Verkehr sperren müssen, beschränken wir die Sondierungen auf wenige, nicht störende Stellen. Explizit nach unverzeichneten Leitungen zu suchen, wäre unverhältnismäßig.“